Polnische Spieler feiern das Weiterkommen bei der WM 2022.

FIFA WM 2022 Wie die Fairplaywertung unsportliches Spiel fördert 

Stand: 01.12.2022 20:48 Uhr

Die Fairplaywertung soll in den Gruppen bei der WM in Katar 2022 bei völligem Gleichstand zwischen zwei Teams entscheiden - doch das Spiel zwischen Polen und Argentinien hat erneut gezeigt, dass die Fairplaywertung unsportliches Spiel fördert.

Wenn mehrere Teams in der Gruppenphase der WM nach Punkten, Toren und dem direkten Vergleich zufolge gleichauf sind, gibt es eine besondere Form der Entscheidung: Die Fairplaywertung soll das fairere Team belohnen und bei vorigem Gleichstand bevorzugen.

Doch diese Regel führte bei der Partie zwischen Polen und Argentinien zum Gegenteil: zu einem unsportlichen Spiel. 

Polen mit viel Ballgeschiebe

Als Polen mit 0:2 gegen Argentinien zurücklag und Mexiko mit 2:0 gegen Saudi-Arabien führte, war Polen in der Blitztabelle Gruppenzweiter mit Mexiko, nach Punkten, Toren und dem direkten Vergleich zufolge gleichauf. Polen lag aber vorne, weil das Team im Turnierverlauf zwei Gelbe Karten weniger gesehen hatte. Die Folge: Polen vollzog teilweise nur noch ein Ballgeschiebe, durfte gleichzeitig weder ein Tor noch eine Gelbe Karte kassieren. Der Trainer nahm den einzigen verwarnten Spieler vom Platz, um keine Gelb-Rote Karte zu riskieren.

Fast wäre Polen ob seiner Passivität noch mit einem dritten Treffer der Argentinier bestraft worden. Polen aber zockte lange erfolgreich auf die Fairplaywertung, am Ende reichte durch ein Tor Saudi-Arabiens sogar noch offiziell die Tordifferenz.

2018: Auch Japan zockte auf Gelbe Karten

Es ist nicht der erste Fall dieser Art. 2018 in Russland lag Japan mit 0:1 gegen Polen hinten, Senegal befand sich mit 0:1 gegen Kolumbien in Rückstand. Auch Japan entschloss sich in den letzten Minuten zu einem auffälligen Passiv-Gekicke, das zu einem Weiterkommen nach Anzahl der Gelben Karten führte.

Hintergrund des unsportlichen Spiels 2018 wie 2022: die Fairplaywertung. 

Bloß keine Gelbe Karte: japanische Spieler mit Polens Robert Lewandowski bei der WM 2018

Bloß keine Gelbe Karte: japanische Spieler mit Polens Robert Lewandowski bei der WM 2018

Bekannte Bilanz des Gegners als Grundproblem

Das Grundproblem ist, dass man die Bilanz der Konkurrenz bei Anpfiff kennt. Polen wusste um den Zwei-Punkte-Vorsprung in der Fairplay-Wertung und spielte in der Schlussphase auf ein Weiterkommen durch die Anzahl der Gelben Karten. Ein Widerspruch zum Sinn des Spiels, Tore erzielen zu wollen.

Die Kenntnis anderer Ergebnisse führte auch zur Schande von Gijon bei der WM 1982. Damals fanden die letzten Gruppenspiele noch nicht gleichzeitig statt. Deutschland und Österreich wussten, dass ein 1:0-Sieg der Österreicher beiden zum Weiterkommen reicht, und genau das trat ein. Seitdem müssen letzte Gruppenspiele gleichzeitig angepfiffen werden.

Spielszene bei der "Schande von Gijon" bei der WM 1982

Spielszene bei der "Schande von Gijon" bei der WM 1982

Losentscheid wäre unsportlich, lässt aber keine Lücken

Bei der WM stünde bei einem Gleichstand in der Fairplaywertung ein Losentscheid an. Es wäre wohl ein riesiger Nervenkitzel, wenn die Ziehung einer Loskugel über das Weiterkommen in ein WM-Achtelfinale entscheiden würde.

Die Stärke dieser Maßnahme: Teil eines Losentscheids möchte wohl kein Team des Turniers freiwillig sein - der drohende Losentscheid wäre für Polen und jedes andere Team in der derselben Situation deshalb der Antrieb, ein Tor zu schießen, statt ein Ausscheiden in der Lostrommel zu riskieren. Wäre es sinnvoll, diesen Schritt vorzuziehen und auf die Fairplaywertung zu verzichten? Sportlich ist der Losentscheid nicht, aber er verleitet zumindest nicht zum unsportlichen Spiel.

Unrealistisch: Das Entscheidungsspiel

Die Sorge um die Belastung der Spieler und die Terminhatz im modernen Fußball verhindern in der Moderne übrigens echte sportliche Entscheidungen bei Gleichstand.

In den Gruppen gab es in den 50er Jahren bei Punktgleichheit mehrfach Entscheidungsspiele, noch bevor die Tordifferenz entschied. 1954 musste Deutschland auf dem Weg zum "Wunder von Bern" in ein solches Entscheidungsspiel gegen die Türkei. Damals lagen allerdings auch sechs Tage zwischen den letzten Gruppenspielen und der K.o.-Runde - 2022 sind es nur drei, heutzutage ist ein solches Format unrealistisch.  

WM 1954 - Deutschland gegen die Türkei im Entscheidungsspiel

WM 1954 - Deutschland gegen die Türkei im Entscheidungsspiel