Richard Pound, der Präsident der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA

Diskussionen über Mammut-Projekt "ClearingSport" - neues Kontroll-Organ für den Weltsport?

Stand: 21.03.2024 08:11 Uhr

Sexualisierte Gewalt, Wettbetrug, Korruption - der Sport produziert auf vielen Ebenen auch fernab von Doping immer wieder Skandale. Deshalb werden Rufe nach einer weiteren globalen Regulierungsstelle neben der Welt-Anti-Doping-Agentur immer lauter.

Auf den ersten Blick mutet das Vorhaben äußerst ambitioniert an. Ein weiteres globales Kontroll-Organ für den Weltsport neben der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA? Eine zentrale, unabhängige Regulierungsstelle für alles Schlechte aus dem Sport-Kosmos außer Doping, also Gewalt jeder Art gegen Athletinnen und Athleten, Wettbetrug, Korruption?

Jens Sejer Andersen hat sich bei Diskussionen über das Mammut-Projekt schon so häufig eine blutige Nase geholt, dass er es kaum noch zählen kann. Dennoch sagt der unermüdliche Kämpfer für eine weitere globale Regulierungsstelle und Direktor von "Play the Game": "Das Momentum ist auf unserer Seite. Wir wollen es nutzen."

"Ungeduld und Frustration"

Es ist das zentrale Thema von "Play the Game", einer weltweit exzellent vernetzten Initiative mit Sitz in Dänemark, die seit gut 20 Jahren Machtstrukturen im Sport kritisch beleuchtet. "ClearingSport" lautet der Arbeitstitel für die neue Welt-Agentur, deren Errichtung immer intensiver diskutiert wird – auch weil "Play the Game" eine Vielzahl von Experten für Sport, Korruption und andere Kriminalfelder beharrlich in das Projekt einbezieht.

"In diesem Expertenkreis herrscht große Ungeduld und auch Frustration, dass der Sport eher Lösungen blockiert, als sie voranzutreiben", sagt Sejer Andersen im Gespräch mit der Sportschau: "Der Sport ist ganz unverblümt gegen jede Initiative, die seine Macht beschneidet."  Auch aus der Politik habe er bislang viele Signale der Ablehnung erhalten. Die Angst vor einem "neuen bürokratischen Monster" sei groß, so der Däne.

Skandale auch abseits von Doping

Dabei können mit Blick auf den Status quo kaum Zweifel am grundsätzlichen Sinn einer solchen Einrichtung herrschen. Erschütternde Fälle gibt es auch abseits des Dopings genügend. Der massenhafte und jahrelang nicht geahndete Missbrauch von Turnerinnen in den USA durch Verbandsarzt Larry Nassar oder in Deutschland die Causa Jan Hempel sind nur besonders krasse Beispiele sexualisierter Gewalt, die auf allen Ebenen des Sports immer wieder Nährboden findet.

Oder Wettbetrug: Durch Matchfixing und illegale Wettgeschäfte entgehen dem Sport jährlich Milliarden. Und dann gibt es natürlich das Thema Korruption. Weltverbände wie die für Leichtathletik oder Gewichtheben wurden von skrupellosen Funktionären als Selbstbedienungsläden missbraucht. Im Biathlon sah es kaum besser aus. Und so gut wie nie ist es der Sport selbst, der Missstände aufdeckt.

"ClearingSport muss zuverlässig unabhängig sein"

Vertuschung ist ein gewaltiges Problem, weil in Verbänden und Vereinen allzu häufig ein problematisches Verständnis darüber vorzuherrschen scheint, wer oder was im Umfeld des Sports denn überhaupt schützenswert ist. Jens Sejer Andersen hält deshalb eine Eigenschaft von "ClearingSport" für besonders wichtig: "Die Einrichtung muss unabhängig sein, zuverlässig unabhängig." Die WADA wird zu je 50 Prozent vom Sport und von Regierungen finanziert und kontrolliert - und ist damit nicht vollständig unabhängig.

Der französische Staatsanwalt Jean-Yves Lourgouilloux hält eine Selbstkontrolle des Sports im diskutierten Einflussbereich von "ClearingSport" sogar schlichtweg "unter den vorherrschenden Umständen für unmöglich". Schuld daran seien "die gewaltigen finanziellen und ökonomischen Interessen" innerhalb des Systems.

Lourgouilloux weiß, wovon er spricht. Er war an den Ermittlungen und dem Strafverfahren gegen Lamine Diack beteiligt. Der ehemalige Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes wurde 2020 wegen Beteiligung an einem internationalen Korruptionsnetzwerk zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Ex-WADA-Chef Pound: "Die Idee ist gut"

Korruption, Machtkalkül, Hinterzimmer-Deals auf Kosten von Athleten und das kompromisslose Verteidigen der Autonomie des Sport durch seine Top-Funktionäre – kaum jemand kennt das alles besser als Richard Pound. Der Kanadier war 1999 erster Präsident der WADA, des bis heute größten internationalen Kontrollgremiums im Sport. Zu "ClearingSport" sagt er im ARD-Gespräch: "Ich glaube, die Idee ist gut, und ich glaube, dass die Notwendigkeit für eine solche Einrichtung besteht."

Allerdings klingen beim langjährigen Doyen und heutigen Ehrenmitglied des Internationalen Olympischen Komitees immer auch die Zweifel durch, dass eine zweite große Kontroll-Einrichtung jemals Realität werden könnte. "Es gilt herauszufinden, was genau notwendig ist. Noch wichtiger, aber auch schwieriger ist die Frage, wie das alles umgesetzt werden soll", sagt Pound.

Finanzierung durch Besteuerung?

Dennoch steuert auch der 81-Jährige Ideen zu einer Umsetzung bei, etwa zur Finanzierung. "Nehmen wir zum Beispiel Ticket-Einnahmen bei Großveranstaltungen. Kostet ein Ticket einen Dollar, werden zehn Cent davon für das Projekt versteuert. Ich denke, das könnte man so machen." Aber natürlich, ergänzte Pound, würde es "dann viel Jammern und Heulen aufseiten des Sports geben".

Doch wer weiß: Vor 25 Jahren wurde auch die WADA nach dem Festina-Skandal bei der Tour de France wohl nur deshalb gegründet, weil es angesichts eines völlig ausufernden Dopingproblems nicht mehr anders ging.

Nicht ausgeschlossen, dass es bei "ClearingSport" ähnlich läuft - dass die Vielzahl an Sportskandalen irgendwann eine Gründung unumgänglich macht.