Basketball | Euroleague Warum sich Schiedsrichter Barth rasieren sollte - aber nicht wollte
Basketball-Schiedsrichter Benjamin Barth durfte nicht mehr in der Euroleague pfeifen, weil er sich nicht rasieren wollte. Er wehrte sich, erreichte eine Entschuldigung - und ging an die Öffentlichkeit. Ein Interview.
Sportschau: Sie haben einen kuriosen Streit mit dem Schiedsrichter-Chef der Euroleague öffentlich gemacht. Es begann Anfang der laufenden Saison 2021/22, als Richard Stokes Sie per Kurznachricht fragte, ob Sie sich rasieren werden. Was haben Sie da gedacht?
Benjamin Barth: Ich habe das erst für einen Witz gehalten. Aber er meinte das sehr ernst - und daraufhin habe ich gesagt: 'Nein, das mache ich nicht.' Das ist meine Persönlichkeit, ich trage schon sehr lange den Bart und es hat sich auch bisher keiner daran gestört.
Mit dieser Entscheidung haben Sie letztlich ihre Karriere im wichtigsten europäischen Wettbewerb aufs Spiel gesetzt.
Barth: In mehreren Telefonaten hat mir Richard Stokes anschließend ziemlich deutlich gesagt, dass ich keine weiteren Spiele mehr bekommen würde, wenn ich mich nicht rasiere. Seine Begründung war, dass Headcoaches und Sportdirektoren es angeblich nicht mögen, wenn Schiedsrichter Bärte haben. Außerdem würde ich als einziger Schiedsrichter der Liga mit Bart zu sehr im Mittelpunkt stehen, vor allem bei schlechten Entscheidungen. Dabei ist es doch völlig egal, ob ich einen Bart habe, eine Glatze trage oder anders aussehe - wir stehen immer im Mittelpunkt bei schlechten Entscheidungen.
Dass Sie tatsächlich der einzige bärtige Schiedsrichter der Euroleague sind, ist mit Blick auf Ihre Erfahrungen sicherlich kein Zufall.
Auch andere Schiedsrichter betroffen
Barth: Ich habe später herausgefunden, dass auch andere Schiedsrichter die Ansage bekommen haben, sich zu rasieren. Die Kollegen haben sich rasiert und dann, im Gegensatz zu mir, weitere Spiele bekommen. Das sind aber auch Kollegen, die Schiedsrichter als Hauptberuf haben und deshalb abhängiger sind. Wir deutschen Schiedsrichter sind in der Masse nicht hauptberuflich, sondern haben Basketball als sehr gut bezahltes Hobby.
Haben Sie mit den betroffenen Kollegen gesprochen?
Barth: Ja, und jeder hat mir seine Gründe genannt, warum er nicht dagegen aufstehen kann. Das verstehe ich auch. Und deswegen habe ich gesagt: Dann muss ich aufstehen und etwas tun, wenn jemand anderes das nicht kann.
Sie sind juristisch vorgegangen, haben unter anderem Schadenersatz gefordert für die Euroleague-Einsätze, die Ihnen in Aussicht gestellt worden waren.
Barth: Dabei ging es darum, dass ich Druck aufgebaut habe, damit die Euroleague überhaupt reagiert, weil sie das bis dato nicht getan hatte. Letztlich hat sie in der vergangenen Woche ein Schreiben geschickt, in dem sie klargemacht hat, dass sie mir diese Frage (nach der Rasur, Anm. d. Red.) gar nicht hätte stellen dürfen und dass mein Bart kein Grund ist, mir keine weiteren Spiele zu geben.
Die Euroleague hat heute auf unsere Anfrage zudem ein Statement verschickt, in dem sie einen Fehler einräumt und ankündigt, künftig keine unfairen Maßstäbe mehr anzusetzen.
"Ich habe mein Ziel erreicht"
Barth: Damit habe ich mein Ziel erreicht, vielleicht hilft es den Kollegen und der Schiedsrichtergewerkschaft. Ich habe mich auch entschlossen, nicht mehr weiter juristisch vorzugehen. Ich werde keinerlei finanzielle Forderungen stellen und die Anwaltskosten selbst begleichen. Ich habe das nicht des Geldes wegen gemacht, Basketball ist eine Leidenschaft, mein Einkommen liegt woanders.
Schiedsrichter-Chef Stokes hat Sie um Entschuldigung gebeten und Ihnen ein Gespräch angeboten. Werden Sie ihn treffen?
Barth: Ich habe die Entschuldigung angenommen. Für mich gab es aber keinen Grund mehr, ein persönliches Gespräch zu führen. Für mich sind alle Sachen gesagt, die gesagt werden mussten. Er hat sehr klar gesagt, was sein Standpunkt ist, und hat dem auch Taten folgen lassen, indem er mich einfach nicht mehr angesetzt hat. Für mich ist die Sache erledigt.
Allerdings sind Sie jetzt noch an die Öffentlichkeit gegangen. Warum dieser Schritt?
Barth: Weil es offensichtlich ein Problem in der Organisation der Euroleague gibt. Wir haben 2022, es geht einfach nicht mehr, Leute wegen Äußerlichkeiten zu diskriminieren. Bei mir ist es nur der Bart. Vielleicht gibt es aber noch andere Bereiche, in denen etwas Ähnliches passiert. Vielleicht ermutigt das andere, jetzt doch aufzustehen oder sich jemanden zu suchen, der das für sie tut.
"Seit 6 Uhr morgens steht mein Telefon nicht mehr still"
Welche Reaktionen haben Sie bisher bekommen, seit die Geschichte bekannt ist?
Barth: Seit 6 Uhr morgens steht mein Telefon nicht mehr still. Anfangs kamen Rückmeldungen aus Deutschland, mittlerweile aus ganz Europa. Die sind alle positiver Art. Man bedankt sich bei mir, dass ich das tue. Ich glaube, es war der richtige Schritt, wenn ich das Feedback so sehe.
Nach dem Statement der Euroleague scheint zumindest denkbar, dass Sie weiterhin dort eingesetzt werden. Wären Sie interessiert?
Barth: Wenn ich zum Vorbereitungslehrgang eingeladen würde, wovon ich aktuell nicht ausgehe, würde ich sehr wahrscheinlich ablehnen. Ich glaube nicht, dass die Organisation in der Lage ist, sich so schnell zu ändern. Und dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man fasst mich mit Samthandschuhen an. Das will ich nicht, ich möchte behandelt werden wie jeder andere. Oder man wählt andere Wege. Und deswegen habe ich aktuell kein gesteigertes Interesse. Ich glaube, ich habe meinen Auftrag erfüllt: Hier aufzustehen, auf einen Missstand hinzuweisen und für meine Kollegen vielleicht ein leichteres Leben in der Zukunft zu ermöglichen.
Das Interview führte Volker Schulte