Oberwiesenthal Flutlicht

Energiekrise im Wintersport Breitensport zwischen Sparen, Modernisieren und Bangen

Stand: 11.11.2022 16:45 Uhr

Der Winter steht vor der Tür. Doch statt Vorfreude herrscht im Breitensport Angst vor der Energiekrise. Wie die Vereine trotzdem durch die Saison kommen wollen.

Am vergangenen Wochenende war die Politik zu Gast in Oberhof – zur feierlichen Veranstaltung anlässlich der Fertigstellung des Wintersportzentrums in Thüringen, das für über 80 Millionen Euro modernisiert wurde. So soll Oberhof nicht nur dem Klimawandel trotzen, sondern auch die Energiekrise besser überstehen. Die 80 Millionen Euro waren eine hohe und zukunftsweisende Investition, ohne die eines der wichtigsten Leistungszentren des Wintersports in Deutschland mittelfristig wohl nur schwer überlebt hätte.

Schnee lag noch nicht, als Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) den symbolischen Schlüssel zur Eisarena übergab. Zumindest nicht sichtbar. Denn schon jetzt lagern dort über 40.000 Kubikmeter der kleinen Eiskristalle, die in diesem Winter vielleicht so wertvoll sind wie nie zuvor. Unter Sägespänen liegt Schnee, der in der Vorsaison auf den Loipen und Pisten zum Einsatz gekommen ist und nun als unterste Schicht für die Sportstätten dienen soll.

Recycelter Schnee in ganz Deutschland

"Wir wollen den Schnee nicht nur eine Saison nutzen, sondern, soweit es geht, mehrere Saisons hintereinander", sagt Sebastian Lenk, der für das Finanzministerium Thüringen die Medienkoordination der Biathlon- und Bob-WM 2023 macht und für die Standortkommunikation in Oberhof mitverantwortlich ist, gegenüber sportschau.de.

Schneelager sind mittlerweile an vielen Wintersportorten in Deutschland Standard, um den mangelnden Schnee durch die Klimaerwärmung auszugleichen. Doch das Energiekonzept in Oberhof ist deutlich komplexer.

Oberhof: Ab 2026 nur Energie aus eigener Herstellung

Die Eisschicht im Eiskanal ist dank einer speziellen Profilierung besonders dünn, Streckenabschnitte können einzeln gekühlt werden. Mit der Abwärme, die beim Kühlen entsteht, werden die Gebäude auf dem Areal beheizt.

Bodo Ramelow in Oberhof

Auf lange Sicht sollen auch das Sportgymnasium und Hotels in der Nähe des Geländes an das System angeschlossen werden. Und durch die Photovoltaik-Anlagen können schon in diesem Jahr die zusätzlichen Energiekosten durch die Krise zumindest für die Skihalle aufgefangen werden, so Lenk.

Lenk: Keine Kürzungen im Breitensport

Aktuell muss man Energie allerdings noch zukaufen. Wie hoch die zusätzlichen Kosten für den Rest der Anlage sein werden, könne er aktuell nicht abschätzen, so Lenk. Eines sei jedoch sicher: "Wir werden alles tun, was möglich ist, um Leistungssport, Nachwuchssport und Breitensport in diesem Winter zu ermöglichen. Es stehen keine Kürzungen zur Debatte", sagt Lenk und fügt an: "Das sind wir den Kindern, den Jugendlichen und den Vereinen schuldig."

Oberhof wird derzeit gerne als Vorzeigeprojekt bezeichnet – dafür, wie der Wintersport nachhaltiger werden, wie er weniger Energie verbrauchen, wie er auch in Zukunft überleben kann. Liftanlagen, Kühlsysteme, Flutlicht, Kunstschnee, ohne den kein professioneller Wettbewerb mehr auskommt, das alles kostet eine Menge Energie – und somit viel Geld. Besonders in der aktuellen Krise.

Freitag: "Spiel mit dem Feuer"

Doch eine solche Modernisierung benötigt ebenfalls eine Menge Geld, das ohne Förderung von Bund und dem Land Thüringen in Oberhof gefehlt hätte. Das Wintersportzentrum ist gleichermaßen Leistungssportstandort, soll aber auch den Breiten- und Nachwuchssport fördern. Mehr als die Hälfte der Trainingsstunden gehen an den Nachwuchs.

Doch derartige Maßnahmen helfen nur langfristig. In vielen Wintersportvereinen in Deutschland geht es nicht mit Vorfreude, sondern mit bangen Blicken in den bevorstehenden Winter. "Was mich vor allen Dingen besorgt, ist die Planbarkeit", sagt Christian Freitag, Geschäftsführer des Wintersportclubs (WSC) Oberwiesenthal. Er fühlt sich von Politik und Verbänden in der jetzigen Phase der Krise alleingelassen. "Was da gerade geschieht, ist ein Spiel mit dem Feuer. Man riskiert, dass gerade kleinere Sportvereine die Kosten nicht mehr bezahlen können und irgendwann aufgeben", so Freitag.

Strom- und Gaspreisbremse auch für Sportvereine

Auf Bundesebene wurde auf der Sportministerkonferenz am 4. November entschieden, dass sowohl die Strom- als auch die Gaspreisbremse für Sportvereine gelten soll. Unklar ist allerdings, ob der Bund, wie von der Konferenz gefordert, die Vereine auch für eine Härtefallregelung einschließt, wenn Vereine die Strom- und Heizkosten nicht mehr bezahlen können. Weitere Maßnahmen sind derzeit Länder- und Kommunensache.

Während die Bayerische Landesregierung Härtefallfonds von 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung stellt und die Vereinspauschale für das kommende Jahr verdoppelt hat, warten Vereine in anderen Bundesländern noch auf weitere konkrete Maßnahmen. Auf der anderen Seite forderten der Deutsche Olympische Sportbund und die Sportministerkonfernz Vereine dazu auf, 20 Prozent Energie einzusparen.

Banger Blick in die Zukunft

In Oberwiesenthal reagiert der WSC mit effektiveren Trainingszeiten auf diese Bitte: Gruppen werden zusammengelegt, die traingsfreien Wochenenden – und somit auch Möglichkeiten zur Regeneration – fallen weg, nur an bestimmten Tagen wird das Flutlicht eingeschaltet. Ein kompletter Verzicht auf die teure Beleuchtung ist nicht möglich, so Freitag: "Unter der Woche trainieren wir nach der Schule, ab 16.30 Uhr. Wenn wir die Kinder dann im Dunkeln stehen lassen, dann bedeutet das: Trainingsausfall."

Auch mit der Energie- und Strompreisbremse befürchtet er, dass sich die Kosten für den WSC Oberwiesenthal verzehnfachen könnten. Eine Summe, die der Verein durch die Hilfe von Sponsoren abfedern kann, wie er sagt. "Aber wie das im Jahr danach aussieht, oder 2024? Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass wieder unsere privatwirtschaftlichen Partner in die Bresche springen werden", so Freitag.

Kosten für Hobby-Skifahrer steigen

Doch auch so muss der Verein seine Reserven zusammenkratzen. Sponsorengelder, die sonst für den Nachwuchssport bestimmt wären, müssen nun für die Energiekosten herhalten. "Bei den Kindern kommt von den Sponsorengeldern aktuell nur der Kunstschnee an", sagt Freitag, der sich um die Entwicklung der Kinder sorgt: "Es geht hier um das Wohl der künftigen Generationen, die hier etwas aufbauen sollen. Sport trägt ungemein viel zum gesellschaftlichen Zusammenleben bei. Es wäre schlimm, wenn Vereine aufgeben müssten und Kinder keinen Sport mehr machen können."

Und auch der Breitensport leidet unter der Energiekrise. Zwar wird in diesem Winter auch an der Zugspitze in Oberbayern reger Betrieb herrschen. Doch das ohnehin schon sehr teure Hobby Skifahren wird nochmal ein ganzes Stück mehr kosten und für einige Menschen in einer angespannten Wirtschaftslage kaum finanzierbar sein. Der Tagespass wird dort um 14 Prozent auf 57 Euro steigen. Gleichzeitig müssen die Besucher aber auf Komfort verzichten.

Zugspitze: Langsamere Lifte, unbeheizte Außenbereiche

Die Pisten auf der Zugspitze selbst sollen gar nicht beschneit werden, im Skigebiet Garmisch Classic werden nur drei der vier Talfahrten in dieser Saison angeboten – und diese mit einer deutlich schmaleren und dünneren Schneedecke. 2,5 Millionen Euro kostete das Beschneien der Pisten die Betreiber vergangenes Jahr, etwa 20 Prozent der Stromkosten des Unternehmens, das davon ausgeht, dass sich die Energiekosten vervierfachen könnten.

Zugspitze halbschnee

Um das aufzufangen, wird es für die Gäste auch kälter werden: keine Sitzheizungen in den Seilbahnen, keine Heizpilze in den Gaststätten, gedrosselte Liftgeschwindigkeiten außerhalb der Stoßzeiten. Viele kleine Maßnahmen sollen hier zu einem großen Ergebnis führen, so die Strategie der Betreiber.

Lenk: "Diese Region atmet Wintersport"

Trotz aller Schwierigkeiten wird in diesem Winter wohl an den meisten Orten trotzdem Wintersport stattfinden – wenn auch mit jeder Menge Einsparungen und Bangen. "Wir kämpfen alle dafür, dass auch in diesem Winter und darüber hinaus für die Kinder und den Breitensport alles erhalten bleibt. Dafür ist der Wintersport in unserer Region einfach zu tief verankert", sagt der Oberwiesenthaler Freitag.

Und auch Lenk stellt die Bedeutung des Wintersports für Südthüringen heraus: "Diese Region atmet Wintersport. Er ist sehr wichtig für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Es geht um die Kinder und Jugendlichen, die ihren Sport lieben und um die Tausenden ehrenamtlichen Helfer, die alles möglich machen, damit hier auch weiter Events stattfinden können."

Wie in diesem Winter eben auch die Biathlon- sowie die Rodel-WM – Oberhof freut sich auf zwei Großveranstaltungen und die Wintersport-Gäste. "Die Hotels der Region sind gut gebucht", sagt Ariane Sturm, Geschäftsführerin des Regionalverbandes Thüringer Wald. "Sicher, der Krieg in der Ukraine bremst gerade die internationale Reiselust. Viele Gäste sind aufgrund der noch immer pandemischen Lage zurückhaltend. Für den Thüringer Wald entstehen gerade aus diesen Herausforderungen auch neue Chancen." Damit meint sie: nahe Naturerlebnisse statt gedrängter Großstädte, sicheres Reisen. Damit punkte die Region seit jeher.

Wintersport im Wandel

Wie lange die Energiekrise dauern wird und wann sich die Situation für die Vereine wieder verbessert, vermag derzeit niemand abzuschätzen. Die Herausforderungen, die sich aktuell stellen, dürften in der ein oder anderen Form auch in Zukunft ein Thema bleiben.

Denn der Klimawandel verringert schon jetzt in allen deutschen Wintersportregionen die Tage mit Schnee, Frost und Eis. Es wird in Zukunft einiges an Innovationen und Modernisierungen bedürfen, um den Wintersport auch weiterhin flächendeckend anzubieten. Die Vereine und Betreiber hoffen dabei auf Unterstützung.