Sonnenschein in Courchevel: Frankreichs Ski-Fans bei der WM.
analyse

Fazit der Alpinen Ski-WM Historische Überraschungen – und Deutsche vor Österreichern

Stand: 20.02.2023 17:47 Uhr

Die 47. Ski-Weltmeisterschaften in Courchevel und Méribel hinterließen einen ungewohnten Medaillenspiegel und historische Griechen und Norweger. Eine Partystimmung wie ein paar Hundert Kilometer weiter östlich in den Alpen vermochte das Nobelskigebiet aber nicht zu entfachen.

Der deutsche Slalomfahrer Sebastian Holzmann stand am letzten Tag der Alpinen Ski-WM im Zielraum von Courchevel, die Menschen um ihn herum spiegelten sich in seiner Sonnenbrille. Ein paar Zentimeter weiter unten kamen seine Zähne zum Vorschein, Holzmann bekam das Lächeln an diesem Nachmittag gar nicht mehr aus seinem Gesicht am Sonntag (19.02.2023). Er sagte schließlich: "Das ist gigantisch."

Gigantisch: Mit dieser Empfindung war er bei weitem nicht der Einzige in diesen zwei Wochen der Ski-WM in Frankreichs Nobelskigebiet Courchevel und Méribel. Holzmann meinte in dem Falle eigentlich nur sein Ergebnis im WM-Slalom. Aber im Grunde stand dieses Wort für so vieles, was sich bei diesen 47. Ski-Weltmeisterschaften in den Savoyer Alpen zutrug. Auch der Sportschau-Experte Felix Neureuther sagte schlicht: "Es ist richtig gigantisch."

Neureuther und Holzmann schwärmen vom Skigebiet

Denn gigantisch war ja so vieles in Frankreich: Da war einerseits das riesige Skigebiet, auf das wiederum Neureuther zu sprechen kam, mit aus deutscher Warte schier unvorstellbaren etwa 600 Pistenkilometern und gut – im Falle Courchevels vielleicht auch mal zu gut/eisig – präparierten Rennstrecken. "Diese Landschaft, dieses Gebiet hier, das ist das Schönste und Tollste, was es gibt auf diesem Planeten", sagte Neureuther. Holzmann meinte: "Jeder, der da ein Herzblut hat im Skisport, der muss echt mal hierher."

Und da war das Wetter, das der Allgäuer schon ein paar Tage zuvor ebenfalls als "gigantisch" bewertete und das seine und Neureuthers Einschätzung vielleicht noch einmal verstärkte. Denn das meinte es besonders gut mit den Skirennfahrern sowie ihren Zuschauern, die erstmals wieder ohne Corona-Beschränkungen bei einem Ski-Großereignis dabei sein durften. Kein Regen, kein Schneefall, stets Sonnenschein – eine Winter-WM mit Sonnenbrandgefahr.

Norwegen holt die meisten Medaillen

Und mit der eingebauten Treppchengefahr aus Norwegen. Henrik Kristoffersen siegte am Sonntag im Slalom zum Abschluss – sein Land hat mit neun Medaillen die meisten der WM gesammelt. Das schafften die Skandinavier zuvor noch nie. Im Medaillenspiegel ganz oben stand jedoch die Schweiz, die die meisten Gold-Plaketten (drei) sammelte.

A propos Medaillenspiegel: Zum ersten Mal seit 30 Jahren beendeten die Deutschen eine Ski-WM vor den Österreichern, die zwar sieben Medaillen gewannen, aber erstmals seit 1987 ohne Gold abreisten. Das DSV-Team wurde Sechster, das ÖSV-Team Achter, ein ungewohnter Endstand. Der Ski-Großmacht drohen ungemütliche Wochen und Monate, einen Ausnahmekönner wie zuletzt Marcel Hirscher gibt es derzeit eben nicht.

Slalom der Männer - der zweite Lauf von Linus Straßer

Sportschau Wintersport, 19.02.2023 10:00 Uhr

Weltmeister Alexander Schmid, Lena Dürr holt Bronze

Ausnahmeathleten sind zwar auch beim Deutschen Skiverband (DSV) rar gesät. Dennoch zieht der DSV-Alpinvorstand Wolfgang Maier das Fazit: "Es ist okay gewesen." Eine Note wollte er nicht vergeben, aber nach den zwei Medaillen stellte er fest: "Wir haben gesagt, wir wollen pro Geschlecht eine Medaille gewinnen. Wir haben auch einen Weltmeister gestellt. Es ist eigentlich eine Übererfüllung des Solls."

Im Vergleich mit der WM 2021 in Cortina d’Ampezzo drehte es sich um aus deutscher Sicht: In Italien holten noch die Speedfahrer drei Medaillen und das Techniker-Team eine. Nun gewannen die beiden Medaillen: der neue Parallel-Weltmeister Alexander Schmid vom SC Fischen sowie die Slalomfahrerin Lena Dürr vom SV Germering Bronze. Auch das deutsche Team weckte also Erinnerungen ans Jahr 1987 in Crans-Montana. Als der DSV zum letzten Mal einen Technik-Weltmeister stellte – im Slalomfahrer Frank Wörndl ebenfalls ein Allgäuer.

Hadern über Frauen-Riesenslalom: "Absolut nicht konkurrenzfähig"

Das Saisonhighlight in den französischen Alpen offenbarte aber auch deutliche Schwachstellen. "Wir haben rein vom Ergebnis die absolute Weltspitze im Speed verloren", sagte Maier mit Blick auf die Männer-Rennen. Andreas Sander als Neunter im Super-G sowie Thomas Dreßen als Zehnter in der Abfahrt hatten die besten deutschen Ergebnisse bei den Hochgeschwindigkeitsfahrern erzielt.

Zudem setzte sich bei den Frauen der Abwärtstrend im Riesenslalom fort. Keine Deutsche schaffte es unter die besten 30. "Wir haben bei den Mädels gesehen, dass wir im Riesenslalom absolut nicht konkurrenzfähig sind. Da braucht man auch nichts schönreden, wir finden keinen Weg da rein", sagte Maier.

Auch Odermatt erinnert an 1987

Die deutsche und die österreichische Mannschaft waren nicht die einzigen mit 1987er-Erinnerungen: auch Marco Odermatt, der Athlet der WM. Als erster Schweizer seit Pirmin Zurbriggen damals gewann er zwei Goldmedaillen. Bei den Frauen war Mikaela Shiffrin die erfolgreichste Athletin mit einer Gold- und zwei Silbermedaillen.

Alexander John Ginnis' Husarenstück zu Silber

Im Slalom vergab sie dabei jedoch einen fast schon sicher geglaubten Vorsprung auf die Sensationssiegerin Laurence St. Germain. Ja, da waren eben auch die Kanadier in Courchevel und Méribel: die Überraschungsmänner und -frauen dieser WM. Neben St. Germain raste James Crawford ohne Weltcupsieg zu Gold im Super-G und Cameron Alexander wurde Dritter in der Abfahrt.

Eine genauso große Sensation war Alexander John Ginnis‘ Husarenstück zum Abschluss, das einen historischen Höhepunkt markierte: Der 28-Jährige foppte im Slalom bis auf Kristoffersen alle und gewann Silber. Es war die erste griechische Ski-WM-Medaille überhaupt.

Slalom der Männer - die Zusammenfassung

Sportschau Wintersport, 19.02.2023 16:07 Uhr

Alexis Pinturault gewinnt zwei Medaillen daheim

Eine schöne Geschichte lieferte auch der Lokalmatador Alexis Pinturault vom CS Courchevel. Er sicherte sich in der ersten WM-Woche Gold in der Kombination und Bronze im Super-G. Wie stolz die gesamte Region auf Pinturault war, ließ sich auch daran erkennen, dass bis zum WM-Ende immer wieder die Worte "Bravo Alexis" samt Kombi-Siegerfoto an LED-Werbewänden aufploppten.

Wenn er sich auf der Piste nach unten aufmachte, schwenkten die Fans ihre Frankreich-Fahnen, es war der Moment, in dem in jedem Rennen die beste Stimmung im Zielstadion war. Auch bei den letzten Läufern von Slalom und Riesenslalom nahm das Klatschen und Schreien auf den Tribünen zu, ebbte aber dann schnell wieder ab. In Courchevel und Méribel erlebte man stattdessen entspannte Gastgeber eines Großereignisses, mit Ruhe und Bedacht kümmerten sich die Volunteers um die Gäste.

"Von der Organisation her war das sicher eine der besten Weltmeisterschaften, die ich bisher gesehen habe", sagt Maier. Dazu gehörten im Sinne der Nachhaltigkeit auch Busse und Gondeln, die die Fans an ihre Übernachtungsorte brachten. Schließlich ist das Skigebiet "Les 3 Vallees" eben weit verzweigt. Kritikwürdig war hier nur das frühe Fahrtende der Gondeln in Méribel. Wer etwa die Siegerehrung von Alexander Schmid sehen wollte, verpasste deren letzte Talfahrt.

Alexis Pinturault - der Star aus Courchevel

Sportschau, 15.02.2023 13:56 Uhr

Keine Halligalli-Partystimmung wie in Kitzbühel oder Schladming

Am Nobelskiort, an dem der Döner am Zielstadion beispielsweise 12,90 Euro und die belgische Waffel acht Euro kosteten und die Speisen in den angrenzenden Restaurants noch deutlich teurer waren, entwickelte sich aber keine Halligalli-Partystimmung wie an traditionellen Weltcup-Orten wie Kitzbühel oder Schladming. "Das hier ist etwas anderes. Ich habe noch nie so viele Menschen in einem Skigebiet gesehen wie hier", sagt Neureuther. "Aber da spielt jetzt die Weltmeisterschaft eher so ein bisschen eine Nebenrolle, das muss man ganz ehrlich sagen." In Österreich würde sich stattdessen alles im Skigebiet an der WM orientieren.

Beobachten können wird man das bei den nächsten, den 48. Ski-Weltmeisterschaften in Saalbach/Hinterglemm in zwei Jahren. Im Pinzgau wird es mit Sicherheit noch einmal eine Stufe lauter werden auf den Zuschauerrängen. Vermutlich werden dort auch mehr Anhänger und mehr Fanklubs anreisen als in Méribel (dort war der des Österreichers Marco Schwarz einer der wenigen, der herausstach). Gigantisch könnte dann auch die WM 2025 für die Skifahrer werden - aber mit Sicherheit auf eine andere Weise als die in Courchevel und Méribel.