Felix Neureuther
interview

Felix Neureuther im Interview "Dürr und Straßer sind im perfekten WM-Alter"

Stand: 08.02.2023 11:03 Uhr

Sportschau-Experte Felix Neureuther schätzt die Chancen der Deutschen bei der Ski-WM ein, spricht über die schwierige L'Éclipse in Courchevel, eine nachhaltige WM und über die cleveren Schweizer.

Sportschau.de: Die Ski-WM in Courchevel/Méribel ist gestartet. Auf wen muss man aus deutscher Sicht achten?

Felix Neureuther: Auf alle deutschen Athleten erst einmal, weil wir ihnen allen natürlich die Daumen drücken. Aber so haben wir, wenn man über Medaillenhoffnungen sprechen will: Lena Dürr, sie hat den letzten Slalom vor der Weltmeisterschaft gewonnen, und Linus Straßer. Der kann auch im Slalom eine Medaille gewinnen. Von den anderen dürfen wir uns sehr gerne überraschen lassen.

Sportschau.de: Wer wäre das zum Beispiel?

Neureuther: Ich habe Alex Schmid im Hinterkopf, weil der Kerl unfassbar schnell Ski fahren kann und vom Grundbild her es definitiv drauf hätte im Riesenslalom. Im Slalom fährt er jetzt auch ganz schön gut, das aber leider mit einer Startnummer sehr weit hinten. Und auch von Kira Weidle können wir als amtierende Vizeweltmeisterin eine Medaille erwarten. Sie hat schon mal eine Medaille gewonnen – sie weiß, wie es geht.

Sportschau.de: Das eigentlich größere Männer-Team im Speed-Bereich haben Sie jetzt noch nicht genannt. Wenn man es verfolgt hat, hatten die Fahrer in den schnellen Disziplinen in dieser Saison auch mit Materialproblemen zu kämpfen…

Neureuther: Das waren nicht nur Materialprobleme, sondern da spielen viele Faktoren eine Rolle. Die anderen Fahrer haben auch einen Wahnsinnsschritt gemacht. Mit Aleksander Aamodt Kilde und Marco Odermatt sind momentan zwei vorne, die einfach in einer eigenen Liga unterwegs sind. Das muss man ganz klar sagen. Und um die zu schlagen, braucht es schon sehr, sehr, sehr, sehr viel.

Dann ist es einfach im Speed-Bereich so, dass momentan wirklich viele schnell fahren. Das ist erstaunlich, welche Breite sich dort gerade in der Spitze gebildet hat. Da sind unsere Deutschen auch nicht mehr die Allerjüngsten. Es fehlt mir noch der Nachwuchs, der von unten nachschiebt und Gas gibt. Thomas Dreßen wäre natürlich einer, der immer um eine Medaille mitfahren könnte, wenn er fit ist. Wenn er es bei dieser Weltmeisterschaft hinbekommt, dann kann er auch überraschen. Dem traue ich prinzipiell immer alles zu, man darf ihn nie niemals abschreiben.

Felix Neureuther

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Sportschau.de: Kommt es den erfahrenen Deutschen entgegen, dass die L’Eclipse, die neue Strecke in Courchevel, noch keiner so richtig kennt?

Neureuther: Gut, dadurch, dass jetzt unsere Athleten nicht mehr unbedingt die Allerjüngsten sind, wäre es eigentlich besser, wenn sie dort auch schon öfter gefahren wären, weil sie dort dann Erfahrungen gesammelt hätten. So ist es für jeden Neuland, außer für die Franzosen und die Schweizer, weil sie dort trainiert haben. Die Schweizer sind dafür eine Kooperation mit den Franzosen eingegangen, das war sehr clever. Sie haben daher schon einen Vorteil. Für den Rest ist die Piste Neuland. Das kann auch eine große Chance für unsere Abfahrer sein: Wie bei der WM in Cortina d’Ampezzo 2021 ja auch, da haben sie schon mal auf einer neuen Strecke überrascht.

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Sportschau.de: Was zeichnet diese Strecke in Courchevel aus? Von vielen Licht-Schatten-Wechseln ist die Rede. Was sind weitere Tücken?

Neureuther: Sie ist nicht leicht. Von der Schwierigkeit her kann man die Piste schon mit den schwersten im Weltcup vergleichen. Es sind viele Übergänge drinnen, schöne Passagen und man muss technisch einfach sauber Skifahren.

Sportschau.de: Eine neue Strecke heißt auch, dass da am Berg gearbeitet wurde. Wie bewerten Sie diese WM aus Sicht des Umweltschutzes?

Neureuther: Bei diesen Weltmeisterschaften sehe ich das nicht so kritisch. Méribel und Courchevel sind sehr nachhaltige Ski-Weltmeisterschaften, weil man sehr viel nutzen kann, was sowieso schon da gewesen ist. Ich glaube, dass das sehr würdige und tolle Weltmeisterschaften werden, worauf sich jeder Wintersportfan freuen kann.

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Sportschau.de: Sie haben es einleitend erwähnt: Die deutschen Fans werden vor allem mit großen Erwartungen aufs Abschlusswochenende schauen, wenn die WM mit den beiden Slaloms endet. Kann Lena Dürr der großen Mikaela Shiffrin ein Bein stellen?

Neureuther: Sie hat es schon gezeigt, dass sie es kann. Auch wenn es für Mikaela Shiffrin keine Superlative gibt, weil sie ein eigener Superlativ ist. Sie kann sich letzten Endes nur selber schlagen, auch bei dieser Weltmeisterschaft. Aber die Lena ist heiß. Was mir so gefällt ist einfach diese Freude, die sie mitbringt momentan beim Skifahren. Und sie will gewinnen, das hat sie ja auch in Spindlermühle gezeigt. Die ist nicht mehr zufrieden mit dem zweiten Platz, sondern haut dann im zweiten Durchgang einen raus und dann kann sie auch eine Shiffrin schlagen.

Sportschau.de: Wie kam es dazu, dass Dürr nach schwereren Jahren nun seit der vergangenen Saison mittendrin in der Weltspitze mitfährt?

Neureuther: Ich glaube, dass sie in der Vergangenheit sehr viel gelernt hat, auch von den Olympischen Spielen in Peking vor einem Jahr, als sie nach dem ersten Durchgang geführt hat und dann Vierte geworden ist. Sie weiß mittlerweile, wie man mit solchen Situationen umgeht. Und ich meine, wenn man sieht, in welchem Alter sie eigentlich gut geworden ist: Da hätten andere schon längst aufgehört. Sie hat immer weitergemacht, weitergekämpft. Das gefällt mir so – und auch, wie sie ihre Teamkameradinnen mitnimmt. Welche Stimmung in der Mannschaft ist, das ist einfach ganz toll anzusehen. Ich hoffe, dass sich die anderen, also auch unsere Männermannschaft, von dieser Stimmung in der Frauenmannschaft im Technikerbereich anstecken lässt. Das kann total beflügeln.

Sportschau.de: Lena Dürr und Linus Straßer sind beide knapp über 30 Jahre alt. Sind sie für den Medaillenkampf bei dieser Weltmeisterschaft jetzt im genau richtigen Alter?

Neureuther: Klar, es ist das perfekte Alter. Die wissen auch: Viele Chancen werden sie nicht mehr bekommen. Sie haben viel Erfahrung gesammelt, wissen, mit Dingen umzugehen. Jetzt wird es Zeit, das Ganze auch abzurufen.