Wintersport | Interview mit Jörg Sommer Klimapositiver Wintersport? "Unseriöse" Pläne

Stand: 11.11.2021 18:00 Uhr

Der Ski-Weltverband FIS will mit Hilfe einer Regenwald-Initiative klimapositiv werden. Jörg Sommer, Vorsitzender der Deutschen Umweltstiftung, kritisiert die Aktion im Interview scharf - ebenso die Doppelrolle von Präsident Johan Eliasch.

Sportschau: Die FIS nennt es eine bahnbrechende Aktion: Sie will schon 2022 klimapositiv sein, also mehr CO2 kompensieren als ausstoßen, als erster internationaler Sportverband überhaupt. Wie klingt das in Ihren Ohren?

Jörg Sommer: Lassen Sie es mich freundlich formulieren: Es klingt unseriös. Mir fallen durchaus noch drastischere Worte dafür ein. Denn diese sogenannte klimapositive oder klimaneutrale Position wird nicht dadurch dargestellt, dass man kein CO2 mehr ausstößt oder sich besonders ökologisch verhält, sondern dass man kompensiert. Das heißt, dass man irgendwo in anderen Teilen der Welt durch mehr oder weniger kluge Projekte CO2-Bindung verursacht und sich das dann schönrechnet.

Im Beispiel der FIS ist es eine eigene Regenwald-Initiative. Im peruanischen Amazonasgebiet soll die Abholzung des Regenwaldes verhindert werden. Das klingt doch erst einmal sinnvoll.

Sommer: Auf den ersten Blick ist es tatsächlich gar nicht so verkehrt, denn das Nichtabholzen von Regenwäldern ist um Klassen ökologisch sinnvoller als das Neuanpflanzen von Bäumen. Sie brauchen tausende, zehntausende Jahre, bis aus einer Anpflanzung von Bäumen wieder ein echt ökologisches Urwaldsystem entsteht. Aber es wird natürlich völlig schräg, wenn man den Verzicht, Regenwald abzuholzen, benutzt, um sich seinen eigenen CO2-Ausstoß schönzurechnen. Dadurch wird etwas, das im Skizirkus in Österreich stattfindet, in keiner Weise besser fürs Klima.

Die FIS hat den Fußabdruck ihrer Wettbewerbe durch die Organisation Planet Mark berechnen lassen. Ist das ein sinnvolles Vorgehen?

Sommer: Das ist im Grunde eine gute Vorgehensweise, Planet Mark ist eine von vielen Organisationen, die das machen. Die FIS sollte natürlich transparent damit umgehen und veröffentlichen, welche Bilanz man berechnet hat und wie man sich vorstellt, diese Bilanz tatsächlich zu reduzieren. Da wäre ich auf ein paar Vorschläge gespannt, bisher haben wir nur luftige Versprechungen.

Beim Schutz des Regenwaldes lässt sich die FIS zudem durch die Organisation Cool Earth unterstützen.

Sommer: Es ist sicherlich gut, sich einen externen Partner zu holen, der sich mit so etwas auskennt und für Seriosität sorgt, damit nicht alles in der Familie bleibt. Hier ist es allerdings spannend zu wissen, dass der Gründer von Cool Earth Johan Eliasch ist, also der Präsident der FIS. Von daher ist es eine familieninterne Veranstaltung, um das salopp zu formulieren. Da sollte man genauer hinschauen: Wer profitiert davon? Denn auch eine Organisation wie Cool Earth lässt sich das bezahlen.

Hinzu kommt, dass Cool Earth besonders in Brasilien auch schon in der Kritik stand für die Vorgehensweise, große Teile des Regenwaldes aufzukaufen.

Sommer: Wir haben uns in den westlichen Industrienationen über Jahrhunderte hinweg auf Kosten unserer eigenen Natur und auch der Natur dort unten entwickelt. Und jetzt kommen wir her mit unserem Geld, kaufen den Nationen Regenwald weg und wollen sie davon überzeugen, auf Entwicklungspotenzial zu verzichten. Damit wir weiter unseren Skizirkus veranstalten und den weiter verursachten CO2-Ausstoß schönrechnen können. Das hat einen Charakter von Neokolonialismus und steht zu Recht in der Kritik.

Dieser CO2-Ausgleich ist aber schwer in Mode, bei privaten Flügen und auch bei großen Firmen. Solle man das also besser sein lassen?

Sommer: Sie gleichen ja nichts aus, Sie rechnen es sich schön. Sie verursachen den CO2-Ausstoß mit ihrem Flug ganz genauso, ob sie da jetzt noch ein paar Euro draufpacken oder nicht. Zudem versickert das Geld in vielen Fällen einfach. Und wenn es gut läuft, wird eventuell irgendwo ein Bäumchen gepflanzt, das irgendwann, wenn man es niemals abhackt, aber auch nur dann, gewisse CO2-Mengen binden kann. Das ändert aber nichts daran, dass durch den Flug CO2 ausgestoßen wird - und das ist klimarelevant.

Die FIS betont, dass sie zusätzlich zur Kompensation die Wettbewerbs-Organisatoren auch anleiten will, ihren CO2-Ausstoß zu verringern. Wer dabei besonders erfolgreich ist, soll eine Auszeichnung erhalten. Vermutlich sind Sie mit diesen Bestrebungen eher einverstanden.

Sommer: Auf jeden Fall, das ist der richtige Schritt. Aber man muss bei einem Veranstalter, der sich jetzt sogar ab nächstem Jahr schon klimapositiv nennen möchte, aufpassen. Da ist im Verhältnis zu dem, was geleistet wird, doch sehr viel Marketing-Getrommel dabei.

Zum Stichwort Marketing passt, dass Eliasch als Beweggrund für seine Öko-Offensive auch aufführt, dass der Wintersport nur so attraktiv bleibe für die jüngere Generation.

Sommer: Natürlich hat der Spitzen-Skisport ein großes Akzeptanzproblem bei Menschen, die ökologisch denken. Es ist völlig legitim, dass die Veranstalter versuchen, Akzeptanz zu schaffen und sich gut darzustellen. Das sollten Sie aber mit Substanz unterlegen und nicht mit Marketingsprech und gekauften Zertifikaten, die im Grunde nur eine moderne Form des Ablasshandels sind. Die junge Generation ist sehr reflektiert unterwegs. Der Skisport, der Auto-Rennsport und viele andere Spitzensportevents müssen sehr viel mehr tun als bisher, um weiter akzeptiert zu sein.

Eliasch hat sich für seine FIS-Präsidentschaft den Klimaschutz groß auf die Fahne geschrieben. Gleichzeitig will er den Rennzirkus expandieren, neue Märkte auf neuen Kontinenten erschließen. Er denkt laut über zusätzliche Oktober-Rennen auf Gletschern nach und über Sommer-Events in Skihallen, zum Beispiel in Dubai. Wie passt das zusammen?

Sommer: Offensichtlich gar nicht. Eliasch ist auch CEO eines großen Sportartikelherstellers, Multimilliardär, hat sein Geld anfangs durch die Effizienzsteigerung von Gasunternehmen gemacht. Er kommt aus einer Branche, in der Wachstum und Gewinnmaximierung im Fokus stehen, und verhält sich nach wie vor so. Das kann man mit einem effizienten klimakompatiblen Verhalten sehr schwierig unter einen Hut bringen. Da irritieren mich Sprüche wie ein "klimapositiver Wintersport" umso mehr. Er ist nicht klimapositiv, wird es niemals sein, muss es übrigens auch nicht sein. Er muss nur ehrlich darum ringen, klimakompatibler zu werden. Je größer und vollmundiger die Marketingsprüche sind, desto weniger ist meist dahinter.

Sie plädieren generell für ein Umdenken, für weniger Egoismus, für einen nachhaltigen, bescheidenen Lebensstil. Inwiefern hat Wintersport in dieser Welt überhaupt noch Platz?

Sommer: Wintersport ist ökologisch immer eine große Herausforderung, auch auf Naturschnee. Es ist aber durchaus möglich, ihn einigermaßen verträglich zu gestalten. Ich möchte auch den Unterschied machen zwischen Breitensport und Spitzensport, der als Medienereignis inszeniert wird und für viele Akteure eine Wirtschaftshandlung ist. Da wird man in Zukunft sehr genau überlegen müssen, welche Art von kommerziellen Sportevents mit welchem Aufwand betrieben werden sollen.

Das Interview führte Volker Schulte