Wintersport | Biathlon Biathlon-Bundestrainer Kirchner: "Athleten verkraften nicht noch mehr Wettbewerbe"

Stand: 15.03.2022 07:00 Uhr

Wann ist eine Saison eigentlich zu lang? Während beim Bob- und Rodelsport nach dem Saisonhöhepunkt im Februar Schluss ist, müssen die Biathleten noch drei Weltcups absolvieren. Über die Sinnhaftigkeit dessen gehen die Meinungen auseinander.

Wo man hinschaut, strahlende Gesichter. Die Stimmung während der beiden post-olympischen Biathlon-Weltcups in Finnland und Estland ist gelöst. An wettkampffreien Tagen heizt die deutsche Mannschaft auch mal auf Skidos durch das estnische Otepää, statt am Schießstand akribisch jeden Schuss ins Schwarze zu setzen.

Alle Jahre wieder fragt man sich im Biathlon-Zirkus: Ist das letzte Trimester einer Saison sinnvoll oder sinnlos? Das letzte Trimester - oder der "letzte Block" - bezeichnet die finalen drei Weltcup-Wochenenden der Saison. Und zwar nach dem Saisonhöhepunkt - nach Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen. So wie in diesem Jahr.

Bundestrainer Kirchner sieht Saisonlänge ausgereizt

Bundestrainer Mark Kirchner kennt das letzte Trimester als Aktiver und auch als Trainer. Seit 2010 trägt der 51-Jährige beim DSV die Verantwortung für die Biathleten. "Wir haben uns dahin entwickelt, dass wir sicher an einer Grenze angelangt sind, an der Athleten nicht noch mehr Wettkämpfe verkraften können", sagt Kirchner: "Sowohl von der Physis als auch von den Kosten für die Nationen. Das ist ja auch nicht ganz unerheblich, was da immer auf uns zukommt. Das ist jetzt schon die Grenze des Machbaren."

Als Kirchner selbst noch über die Loipen raste, war die Anzahl der Weltcups pro Saison deutlich geringer. Anfang der 1990er Jahre waren sechs Weltcups plus Weltmeisterschaft Usus. "Hier muss man klar darauf hinweisen, wie sich der Biathlon seitdem entwickelt hat", ordnet Felix Bitterling, Sports und Event Director der Internationalen Biathlon-Union, ein: "Viele Parteien haben mittlerweile Interesse daran, dass es möglichst viel Biathlon gibt."

Dazu zählen, aufgrund sehr guter Einschaltquoten, die großen Fernsehanstalten, in Deutschland also ARD und ZDF, sowie natürlich auch Werbepartner und Sponsoren. Dass auch die Athletinnen und Athleten von einer größeren medialen Präsenz profitieren und so für Sponsoren interessant werden, kommt hinzu. 

Von 210 auf 335 Rennkilometer in den vergangenen 30 Jahren

Um die Entwicklung in Zahlen zu verdeutlichen: In der Saison 1992/1993 absolvierte Mark Kirchner alle 14 Einzelrennen und legte dabei 210 Renn-Kilometer zurück. Zum Vergleich: Wenn ein Biathlet in der aktuellen Saison alle Einzelrennen gelaufen wäre, also die Staffeln ausgenommen, hätte er 26 Rennen und 335 Kilometer in den Beinen.

"Wir haben die derzeitige Anzahl an Wettkämpfen als Maximalanzahl fixiert", sagt Felix Bitterling von der IBU: "Um auch ganz klar zu zeigen, dass wir an der Grenze des Machbaren für die Athleten angekommen sind." Seit zehn Jahren startet der Weltcup bereits Ende November, statt wie zuvor im Dezember.

Von zehn auf neun Weltcups im Jahr der Fußball-WM

Seit zwei Jahren etablierte die Internationale Biathlon Union das Season Opening, also ein zusätzliches Weltcup-Wochenende zum Auftakt, das aus neun Weltcups zehn machte. Das wird sich zur kommenden Saison wieder ändern. 

"Wir stehen in sehr engem Austausch mit den Verbänden und haben auf das Feedback reagiert: Nach zwei Jahren mit zehn Weltcups werden im nächsten Jahr zu einem System mit neun Weltcups zurückkehren", berichtet Felix Bitterling. "Das ist für uns als IBU auch die ideale Anzahl mit Blick auf die Machbarkeit für die Athleten und auch die Interessen der anderen Stakeholder zu befriedigen."

Zwischen Saisonendspurt und Blick in die Zukunft

Bleibt noch die Diskussion um das finale Trimester. "Mir fällt es überhaupt nicht schwer, mich dafür zu motivieren", berichtet Erik Lesser in der Mixed Zone in Otepää: "Ich habe nach Olympia Einiges wieder gut machen." Für den Routinier, der nach dieser Saison seine Karriere beenden wird, spielt das letzte Trimester eine wichtige Rolle.

"Ich finde es genau richtig, dass wir nach Olympia noch was haben. Es ist natürlich dann ein komisches Gefühl, die Spannung noch hochzuhalten. Gerade für Sportler, die die großen Medaillen bei Olympia gewonnen haben. Aber für alle anderen 100 Athleten ist die Motivation definitiv noch da", sagt Lesser.

Bis auf Johannes Bö sind alle da - und bringen Leistung

Die Weltelite, so zeigen es die beiden Weltcups nach Olympia bislang, nimmt den Saisonendspurt auch sportlich ernst. Bis auf Johannes Thingnes Bö aus Norwegen, der nach Peking seine Saison beendete, ist die Biathlon-Elite weiterhin am Start. Und ein Blick auf die Podestplatzierungen zeigt: Sowohl bei den Staffeln als auch bei den Einzelrennen blieben die ganz großen Überraschungen aus.

Doch nicht allen fällt die Fokussierung auf die Wettkämpfe leicht. "Also ich merke schon, dass ich dieses Jahr extrem ausgelaugt bin, ich nicht mehr so dafür brenne", berichtet Franziska Preuß. Sie liegt nach einer Saison mit gesundheitlichen Rückschlägen auf dem 22. Platz im Gesamtweltcup: "Ich habe kein so richtiges konkretes Ziel mehr."

Biathlon-WM im März?

Was könnten Alternativen zum aktuellen Modell sein? Häufig diskutiert: Die Verlegung des Höhepunktes in den März. "Wir hatten ja auch schon WMs, die im März stattgefunden haben", erinnert sich Mark Kirchner: "Das waren auch nicht die schlechtesten Jahre. Dann hatten wir nur noch ein Weltcup-Wochenende zum Abschluss. Das macht schon Sinn."

Weltcup-Abschluss im norwegischen Oslo

Felix Bitterling hält dagegen: "Wir sind seit 2018 eng in Verbindung mit den Nationalverbänden und den Teams. Das Feedback ist ganz klar: Der Saisonhöhepunkt soll im Februar sein, wenn auch die besten äußeren Bedingungen zu erwarten sind."

Dem stimmt Bundestrainer Mark Kirchner schließlich auch zu: "Im März können unter Umständen unfaire Bedingungen für das gesamte Feld herrschen. Wenn es zu sehr ins Sommerliche reingeht. Von daher ist der Februar schon der bessere Monat."