Deutschlands Biathletin Selina Grotian während des Sprints über 7,5 km in Obertilliach.

Weltcup-Debüt in Oslo Biathlon-Hoffnung Grotian - "Will meinen eigenen Weg gehen"

Stand: 16.03.2023 21:14 Uhr

Auf den Schultern von Selina Grotian lastet eine immense Erwartungshaltung. Vier Goldmedaillen gewann die junge Biathletin zuletzt bei der Junioren-WM. In Oslo gibt sie ihr Weltcup-Debüt auf der großen Bühne.

"Biathlon-Wunderkind", "Deutschlands Nachwuchshoffnung", "die neue Magdalena Neuner": All das wurde in den vergangenen Wochen und Monaten über Selina Grotian geschrieben. "Klar kriege ich das mit", sagt die 18-Jährige bei strahlendem Sonnenschein im Biathlonstadion von Oslo. "Es wird auch viel in den sozialen Medien geredet. Aber ich versuche das auszublenden.

Grotian gibt in Oslo ihr Weltcup-Debüt

Am berühmten Holmenkollen, der Wiege des norwegischen Skisports, geht die Bayerin erstmals in ihrer Karriere im Weltcup an den Start. Verdient hat sie sich das durch starke Leistungen im zweitklassigen IBU-Cup - dort ist sie die beste Deutsche. Dass da in Mittenwald, im Landkreis Garmisch-Partenkirchen, unter den Fittichen von Trainer Bernhard Kröll eine heranwächst, die außergewöhnliche Fähigkeiten hat, ist in Biathlon-Fachkreisen schon länger bekannt.

Jüngst erbrachte Selina Grotian auch als es darauf ankam den Beweis. Bei der Junioren-WM in Kasachstan gewann sie vier Goldmedaillen, zwei mit der Staffel und jeweils eine Sprint und Verfolgung. "Ich hätte es mir nicht besser vorstellen können und hatte auch gar nicht damit gerechnet, dass es so gut ausgehen würde", berichtet die Skijägerin. Bescheiden ist sie. Keine Spur von Größenwahn. 

Bruder Tim ist eine große Stütze

Das hat, sagt sie selbst, auch mit ihrem Umfeld zu tun. Mit sechs Jahren beginnt Grotian mit dem Langlauf, wechselt drei Jahre später zum Biathlon - und eifert damit ihren älteren Brüdern nach. Vor allen Dingen der sechs Jahre ältere Tim, der selbst Junioren-Europameister wurde, unterstützt sie, wo er kann. Seine Ratschläge sind wertvoll. "Tim ist halt selbst auch Biathlet und weiß einfach, was ich zu tun habe, auch wenn es mal nicht so läuft. Da bin ich schon sehr froh, dass ich so einen großen Support hinter mir habe."

Grotian wohnt in Mittenwald weiterhin im Haus ihrer Eltern, hat dort eine eigene Wohnung. "Das Umfeld ist extrem wichtig", pflichtet auch Sportschau-Experte Arnd Peiffer bei. "Ansonsten ist der Leistungssport natürlich ein extrem volatiles Geschäft. Wenn’s gut läuft, sagen alle, wie toll man ist. Wenn’s schlecht läuft, gibt’s viele die fragen: ’Was ist denn bei dir los? Warum hörst du nicht auf?’ Familie und Freunde sind ein entscheidender Baustein, um dem ganzen Trubel entgegenzutreten."

Odyssee von Kasachstan nach Oslo

Nervosität jeglicher Art ist Selina Grotian in den ersten Tagen von Oslo überhaupt nicht anzumerken. Dass sich die Newcomerin auch von Unwägbarkeiten nicht aus der Ruhe bringen lässt, unterstreicht ihre Reise von der Junioren-WM in Kasachstan Richtung Norwegens Hauptstadt. Kleiner Spoiler: Die Reise sollte 30 Stunden dauern.

"Wir haben in Kasachstan erstmal fünf Stunden zum Flughafen gebraucht. Dann hat der Check-In ewig gedauert und wir sind mit zwei Stunden Verspätung losgeflogen", skizziert sie die Odyssee. "Es waren sieben Stunden Flugzeit, dann haben wir den Anschluss in Frankfurt nach Oslo verpasst und waren da nochmal ein paar Stunden am Flughafen. Das war schon ziemlich zäh." All das berichtet Grotian und schmunzelt dabei. 

Klar stecke der Trip noch etwas in den Knochen, schiebt sie nach. Aber sie würde mit Komplikationen und auch sportlichen Rückschlägen ziemlich gut umgehen können. So richtig viele Rückschläge gab es in der Karriere der Berufs-Zollbeamtin nicht. "Die hervorstechendste Stärke ist ihre Laufleistung", ordnet Arnd Peiffer ein. "Sie kann wirklich Zeiten anbieten, die auch im Seniorenbereich Topniveau sind. Gepaart wird das mit durchaus gutem Schießen, das ist wiederum noch manchmal wechselhaft."

"Ich will meinen eigenen Weg gehen"

So richtige Vorbilder hat Selina Grotian nicht, sagt sie. "Ich will meinen eigenen Weg gehen", fügt sie an. Aber klar, Laura Dahlmeier und Magdalena Neuner kommen aus ihrer Gegend und haben die 18-Jährige durch ihre großartigen Erfolge im Weltcup, aber eben auch bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften beeindruckt. "Das ist natürlich unglaublich, was die beiden geleistet haben", erläutert sie. "Und ich habe Laura dann auch öfter im Training gesehen, als ich noch kleiner war."

Ihr sportlicher Traum sei es, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Das traut ihr auch Olympiasieger Arnd Peiffer zu: "Die Voraussetzungen sind sehr gut", ordnet er ein. "Aber wir haben in Deutschland schon ganz viele Junioren-Weltmeister gehabt, die es nicht geschafft haben, sich im Senioren-Bereich zu etablieren. Ich würde ihr wünschen, dass sie nicht zu diesen zählt. Aber Garantien gibt es keine."

Garantiert wird sich Selina Grotian für immer an ihren ersten Weltcup-Auftritt erinnern. Noch nie zuvor war sie in Oslo. Jetzt innerhalb kürzester Zeit gleich zweimal. Zunächst auf der großen Biathlon-Bühne und zwei Wochen später dann zum Urlaub machen.