Turnen | Sexualisierte Gewalt Sexualisierte Gewalt: Revision nach Missbrauchsprozess in Erfurt

Stand: 11.04.2022 16:36 Uhr

Im Missbrauchsverfahren gegen einen Turntrainer aus Weimar hat der Angeklagte gegen das Urteil von Ende März Revision eingelegt. Das Landgericht Erfurt hatte den Mann wie bereits in einem ersten Prozess 2018 auch in einem zweiten Verfahren zu einer Haftstrafe verurteilt. Dieses Mal: drei Jahre und zwei Monate. Die Kammer sah es erneut als erwiesen an, dass der Trainer seine ehemaligen Turnerinnen sexuell missbraucht hatte. Aber auch jetzt ist es nicht vorbei, die juristische Aufarbeitung der Taten geht weiter.

Auch der im Prozess heftig kritisierte Verein HSV Weimar will das Geschehen offenbar aufarbeiten. So schreibt es der Verein in einer Stellungnahme, die er erst knapp zwei Wochen nach dem Urteil auf seiner Internetseite veröffentlicht hat. Darin gibt der Verein unter anderem zu, "im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen erhebliche Fehler gemacht" zu haben.

So habe die Sensibilisierung für das Thema Kinderschutz gefehlt, Warnsignale seien nicht erkannt worden. "Wir bedauern die Versäumnisse im Verein außerordentlich und möchten unser tiefempfundenes Mitgefühl mit allen Betroffenen zum Ausdruck bringen und entschuldigen uns aufrichtig", heißt es in der Stellungnahme.

Keine Entschuldigung vom Verein

Insgesamt neun betroffene ehemalige Turnerinnen sind als Nebenklägerinnen am Prozess beteiligt. Eine von ihnen hatte jetzt kritisiert, das grenzüberschreitende, manipulative Verhalten des Angeklagten sei allgemein bekannt gewesen. So sei er unter anderem "Dr. Love" genannt worden, aber niemand zum Beispiel vom Verein habe etwas unternommen. Diese Menschen seien zu "Mittäter:innen" geworden. Eine Entschuldigung von ihnen für das Geschehene habe es nicht gegeben.

In seiner Stellungnahme listet der HSV Weimar Maßnahmen auf, die er seit 2019 zum Kinderschutz im Verein auf den Weg gebracht habe. So sei unter anderem eine Kinderschutzbeauftragte berufen worden. Außerdem seien Regeln für den Umgang miteinander aufgestellt worden. Gemeinsam mit dem Landessportbund Thüringen werde aktuell ein Präventionskonzept erarbeitet. Die "intensivere" Aufarbeitung der Vergangenheit soll mithilfe externer Partner geschehen.

Präventionskonzept angekündigt

Der Landessportbund (LSB) Thüringen bestätigte die Zusammenarbeit mit dem Verein bei der Entwicklung eines "tragfähigen" Präventionskonzeptes und nannte eine "vertiefende Aufarbeitung" genau wie der Verein als ein wichtiges Ziel. Partner "außerhalb des Sports sowie (wenn möglich) Betroffene" sollten einbezogen werden.

Führungspersonen des Vereins oder auch die Kinderschutzbeauftragte waren - anders als beim ersten Verfahren - beim zweiten Prozess nicht vor Ort in Erfurt. Das war von verschiedenen Seiten kritisiert worden. Fragen dazu hat der HSV Weimar nicht beantwortet. Eine Betroffene, die wir Lea nennen, sieht darin eine seitens des Vereins "verpasste Chance". Für sie wäre es "ein Akt der Aufrichtigkeit gewesen, Präsenz zu zeigen".

Auch vom LSB Thüringen war im Gegensatz zum ersten Verfahren niemand beim zweiten Prozess dabei. Die neuen Termine seien "sehr kurzfristig" gekommen "und vor allem die schnelle Urteilsverkündung nach drei Verhandlungstagen war für uns überraschend", schrieb der LSB auf Anfrage der Sportschau. Das verwundert, da Medien über jeden Prozesstag berichtet und auch das Datum der Urteilsverkündung genannt hatten.

Der Angeklagte hatte früher die Turnabteilung des HSV Weimar geleitet und dort seine Machtposition gegenüber den Turnerinnen ausgenutzt. So habe er die teilweise unter 14-jährigen Mädchen emotional unter Druck gesetzt, etwa durch sexistische Sprache und harte Trainingsmethoden. Die Manipulationen steigerten sich, in der Folge kam es dann auch zu sexuellen Übergriffen, stellte das Gericht erneut fest.

Betroffene wollen nicht aufgeben

In einem ersten Prozess 2018 war der Trainer zu drei Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt worden. Er hatte ein Teilgeständnis abgelegt, ging dennoch in Revision. Der Bundesgerichtshof sah im ersten Urteil Verfahrensfehler und entschied: Neues Verfahren vor dem Erfurter Landgericht. Erst knapp zwei Jahre nach der BGH-Entscheidung kam es zu dem neuen Prozess. Gegen die dort verhängte, erneute neue Gefängnisstrafe ging der Angeklagte nun wieder in Revision.

Für die betroffenen Turnerinnen ist das Verfahren - sechs Jahre nachdem Lea Anzeige erstattet hatte - immer noch nicht vorbei. Die inzwischen jungen Frauen hatten mit der erneuten Revision gerechnet und angekündigt, sie würden nicht aufgeben. "Da muss er sich drauf gefasst machen, dass wir alle mit der Zeit immer stärker werden und nicht loslassen, bis er zur Rechenschaft gezogen wird", so Lea im Sport-inside-Podcast.

Dass eine Aufarbeitung des Geschehenen durch Verein und LSB angegangen werden soll, ist neu. Einzelheiten oder ein Konzept, wie diese Ankündigung umgesetzt werden soll, sind unklar. Die juristische Aufarbeitung kann sich in die Länge ziehen. Nach dem ersten Prozess lagen zwischen der Urteilsverkündung und der Veröffentlichung der BGH-Entscheidung fast zwei Jahre.