Triathlon | Karriereende Sebastian Kienle zieht für Ende 2023 den Schlussstrich

Stand: 02.11.2021 11:49 Uhr

Mit Sebastian Kienle verliert der Triathlon eine seiner markantesten und charakterstärksten Figuren. Der 37-Jährige hört Ende 2023 auf - und leitet einen Generationenwechsel auf der Langdistanz ein.

Der Entschluss war gut überlegt: Mit Sebastian Kienle hat einer der prägenden und erfolgreichsten deutschen Triathleten angekündigt, seine Karriere beenden zu wollen. Nicht sofort, aber Ende 2023 soll es heißen: "That’s it. That’s the end!"

Eine Art Ziellinie für ihn selbst

Das sagte der 37-Jährige am späten Montagabend (01.11.2021) auf seinen sozialen Kanälen mit seinem Markenzeichen, der leicht schräg auf den Kopf gestülpten Kappe. Immer mal wieder sei ihm der Gedanke ans Aufhören durch den Kopf gegangen, "aber es kommen dann auch andere Stimmen, die sagen: ‚Du hast ein super Leben!‘"

In den vergangenen zwei Jahren kam der Wunsch auf, für sich selbst ein definiertes Ende zu setzen. "Den Druck, den ich mir selber gemacht habe, möchte ich nicht mehr. Ich habe gemerkt, dass ich eine Art Ziellinie brauche." Er sei schließlich mehr als 20 Jahre als Profi unterwegs gewesen.

Nicht so aufhören wie Faris Al-Sultan

"Ich hatte längere Phasen, wo ich wirklich keinen Bock mehr hatte." Er habe eben nicht so abtreten wollen wie Faris Al-Sultan, der bei einem Rennausstieg spontan seinen Rücktritt erklärte. "Für mich ist der Sport eine ganz klare Einbahnstraße: Ich will immer besser werden", erklärte Kienle. "Wenn ich merke, dass das nicht mehr geht, dann ist es Zeit abzutreten. Das ist natürlich verdammt hart, das anzuerkennen."

Dass sich die Verletzungsprobleme häuften - vor allem die linke Achillessehne ("meine Stimme links unten") und er im Sommer erstmals Vater wurde, spielt mit hinein. Einschneidend war das Traditionsrennen in Roth Anfang September, als der Hawaii-Sieger aus 2014 das dritte Mal in seiner Karriere vorzeitig aufgab. Wieder schmerzte die Ferse zu sehr.

Ziel ist ein WM-Titel 2022

Trotzdem bleibt noch ein ehrgeiziges Ziel: "Ich will noch einen WM-Titel holen." Dass der Ironman Hawaii im nächsten Jahr zweimal stattfinden soll - im Februar und Oktober 2022 - gibt dem Ausdauerenthusiasten aus dem baden-württembergischen Mühlacker sogar zwei Optionen. Für 2023 plane er dann eine Art Abschiedstour mit Rennen, die "ich noch nie machen konnte" und an Orten, "die ich schon immer sehen wollte".

Mit Kienles Abgang kündigt sich unter den deutschen Langdistanz-Triathleten ein Generationenwechsel an: Fast schon unbemerkt hört ja demnächst auch Andreas Raelert auf. Der 45-jährige Rostocker, der mehrfach nur hauchdünn am Hawaii-Triumph vorbeischrammte, gehörte die vergangenen Jahre schon nicht mehr zur Weltspitze.

Der dominierende Jan Frodeno ist schon 40 Jahre alt

Anders als der der dreifache Hawaii-Champion Jan Frodeno, der zuletzt einigen Frust über Wettkämpfe schob, die wegen Corona oder Wetterkapriolen ausfielen. Beim in Girona lebenden Strahlemann wird erwartet, dass er noch einmal alle Kräfte für seinen vierten Hawaii-Sieg bündelt - und dann in Kona seine Karriere vielleicht beendet. Frodeno ist im Sommer 40 Jahre alt geworden.

Von den seit 2014 im Ironman-Mekka dominierenden Deutschen wäre dann nur noch der in Salzburg lebende Patrick Lange aktiv, der vor zwei Monaten auch bei der Challenge-Konkurrenz in Roth triumphierte. Der 35-Jährige steckt noch voller Motivation und Pläne, bringt im nächsten Jahr seine Biographie heraus und hat offenbar durch die lange Zwangspause in der Pandemie an so vielen Stellschrauben gedreht, dass dem gebürtigen Hesse noch der eine oder andere Coup zuzutrauen ist.

Es braucht auf der Langdistanz lange Zeit

Gute Ergebnisse schaffte auch immer wieder Nils Frommhold, aber der Berliner ist auch schon 35 - und wartet international noch auf den ganz großen Durchbruch. Problem ist, dass es eine Menge Grenzerfahrungen in dieser extremen Sportart braucht, die den Körper an den Rand des Zusammenbruchs führt. Nicht zu unterschätzen ist die enorme mentale Stärke, die die meisten Topstars erst im Laufe der Jahre entwickeln, wenn sie diverse Tiefs durchlebt haben.

Kienle ist sich ziemlich sicher, dass die deutsche Dominanz bald bröckelt, sieht darin aber eher eine Chance: "Es ist ganz cool, dass ganz neue Länder auf der Landkarte erscheinen. Das wird unseren Sport attraktiv halten und wachsen lassen." Das sieht er selbst als seine Aufgabe an, junge Menschen für diesen Sport zu begeistern. Er könne sich gut vorstellen, Nachwuchsprogramme aufzulegen, die sich auch an die Kids richten.

Sorgen um den Klimawandel

Seinen aktiven Lebensstil will der Gin-Sammler und Lebenskünstler beibehalten, Schwimm-Wettkämpfe oder Gravel Rennen ständen nach Karriereende auf der To-do-Liste, aber eben kein Triathlon mehr. Ansonsten ist beim langjährigen Physikstudenten das Thema Nachhaltigkeit verankert.

Die rasanten Veränderungen durch den Klimawandel würden ihn erschrecken, verriet Kienle fast zeitgleich im Podcast "Pushing Limits". In Südafrika habe er zuletzt erlebt, wie wegen des Wassermangels die Wasserhähne abgeschraubt worden seien. Es ist ein Thema, dass ihm sichtlich am Herzen liegt - und auch ein schlechtes Gewissen macht, "wenn ich mit einem Flug nach Hawaii elf Tonnen CO2 emittiere - mehr als der Bundesbürger im Durchschnitt in einem Jahr."

Er gab auch Lance Armstrong Kontra

Kienle, der in Hawaii noch einmal Zweiter (2016) und zweimal Dritter (2013, 2019), dazu allein dreimal Ironman-Europameister in Frankfurt (2014, 2016, 2017) wurde, hat sich als reflektierter Sportler einen Namen gemacht. Seine Schlagfertigkeit ist bemerkenswert, seine Haltung beispielhaft.

Als der Ironman 2012 vor allem aus Profitgründen dem dopenden Radstar Lance Armstrong den roten Teppich ausrollte, um mit dem US-Amerikaner die Aufmerksamkeit zu steigern, war der Charakterkopf einer der wenigen, der sich gegen diese PR-Aktion stellte.

"Der Triathlon hat Lance Armstrong nicht nötig. Der Weltverband vollzieht damit eine 180-Grad-Kehrtwende, wenn erst massiv mit einem Antidoping-Programm geworben, dann jemand eingeladen wird, dessen Indizien eindeutig sind", kritisierte Kienle. Kurz danach brach Armstrongs Lügenkonstrukt in sich zusammen.