Wu Yibing aus China bei den US Open

Vor Duell mit Daniil Medwedew Wu Yibing - Chinesischer Rekordmann bei den US Open

Stand: 02.09.2022 12:29 Uhr

Wu Yibing bricht bei den US Open einen chinesischen Tennisrekord nach dem anderen und sorgt vor seinem Drittrundenduell gegen Daniil Medwedew in China und in der Tenniswelt für Aufsehen.

Von Jannik Schneider, New York

An ausführliches Training war für Wu Yibing am Donnerstag in New York nicht zu denken. Fast vier Stunden hatte der Chinese tags zuvor Tennis gearbeitet, Tennis gekämpft gegen Nuno Borges und dabei einen 1:2-Satzrückstand gedreht. Viel Erfahrung mit Marathonmatches hatte er nicht; es war erst sein zweites Duell über die im Tennis längste Distanz überhaupt.

Doppelbewachung beim Interview

Also ließ es die chinesische Turnierüberraschung am Donnerstag ruhig angehen: Wu feuerte am Mittag auf Außenplatz 13 zunächst seine chinesische Landsfrau Zheng Qinwen an, die Drittrundengegnerin von Jule Niemeier, und ließ sich anschließend für eine Stunde vom Physiotherapeuten bearbeiten. Bevor er die Anlage verließ, begab er sich dann an der Seite seiner Agentin von IMG und einem chinesischen Vertreter der ATP für ein kurzes Gespräch mit der Sportschau in den Media Garden.

Eine Art Doppelbewachung für ein kurzes Gespräch ist kein Standardprozedere; das trifft sonst eher auf die absoluten Topstars zu. Aber bei Spielern aus dem Reich der Mitte schauen die Verantwortlichen seit dem plötzlichen Untertauchen von Peng Shuai nach ihren Vergewaltigungsvorwürfen gegen einen ranghohen Politiker der kommunistischen Partei vor einem dreiviertel Jahr genauer hin.

Gewaltige Vermarktungsmöglichkeiten

Dank Wu Yibing jedenfalls schreibt China in der Tenniswelt nun zumindest sportlich positive Schlagzeilen. Der 22-jährige aus Hangzhou, der Hauptstadt der chinesischen Provinz Zhejang im Osten des Landes ist in der Tennisblase kein Unbekannter: 2017 gewann er die US Open bei den Junioren im Einzel und Doppel – als erster Spieler seines Landes überhaupt.

IMG nahm das Toptalent alsbald unter Vertrag, die Vermarktungsmöglichkeiten für einen Chinesen in einem weltweit gespielten Sport wie Tennis sind gewaltig. Doch Schulter- und Armverletzungen bremsten Wu aus. Er sei nach den US Open als Junior körperlich noch nicht bereit gewesen, sagt Wu selbstkritisch. "Ich wollte meine Ziele zu schnell erreichen. Ich habe Fehler begangen bei der Turnierauswahl, zu viel gespielt und habe nicht auf meinen Körper gehört, wenn er Ruhe brauchte."

Dann folgten die Pandemie und die sehr, sehr strengen Reiserestriktionen in seinem Land. Das ungeduldige Talent konnte zwei Jahre nur national aufschlagen, fiel aus den Top 1.000 der Weltrangliste. Anfang 2022 ging es übergangsweise mit seinem argentinischen Trainer Gerado Azcurra in die anerkannte Akademie nach Bradenton in Florida.

"Es gibt nicht genügend internationale Turniere in China, also sind wir hiergeblieben", sagt Wu. Wegen der Causa Peng Shuai hat sich die Damentour WTA aus China zurückgezogen. Auch die ATP-Tour der Männer strich vier Turniere - offiziell aus Pandemiegründen.

"Ich sehe halt gut aus"

Wu gewann 2022 bereits drei Challengerturniere und kämpfte sich durch die Qualifikation von New York und stieg nach dem Sieg gegen den gesetzten Georgier Nikoloz Basilashvili zum ersten chinesischen Einzelsieger bei den US Open auf. Bei einem der anderen drei Grand Slams müssen Sporthistoriker bis ins Nachkriegsjahr 1946 blättern, um mit Kho Sin-Khie einen Chinesen in den Ergebnislisten von Wimbledon zu finden.

Der chinesische Tennisspieler Yibing Wu bei den US Open.

Der chinesische Tennisspieler Yibing Wu bei den US Open.

In China steigt die Aufmerksamkeit derweil für Wu rapide. Auf den prominenten sozialen Plattformen Wechat und Weibo trendet der Suchbegriff Wu Yibing seit Tagen. "Ich sehe halt gut aus, schätze ich", kommentierte Wu das nach seinem Match gegen Nuno Borges lachend.

Chinesische Frauen erfolgreich

Die Frauen aus China sind seit mehr als einem Jahrzehnt anerkannte Herausforderinnen in der erweiterten Weltspitze. Fünf Spielerinnen sind zurzeit Teil der Top 80. In New York stehen vier Spielerinnen in der dritten Runde, wenngleich keine als Mitfavoritin auf den Titel gilt. Li Na gewann 2011 und 2014 zwei Grand-Slam-Turniere.

Sie maximierte nicht nur Aufmerksamkeit und Sponsoren, sondern kritisierte auch, zum Leidwesen der politischen Führung, das kommunistische Sportsystem in China, allen voran die Wahl, wie lange ein Sporttalent zur Schule gehen möchte.

"Das war schon immer ein Problem in China, zwischen Schule und Tennis zu entscheiden", sagt auch Wu Yibing im Gespräch mit der Sportschau. Er sei 14 oder 15 gewesen, als seine Familie mit ihm gemeinsam entschieden habe, die Schule zu verlassen und sich auf das Tennis zu fokussieren. Seine Mutter habe ihm gesagt: "Entweder man tut etwas ganz oder gar nicht." Wie freiwillig diese Entscheidung damals war, bleibt offen.

Erste Lorbeeren in der Provinz Zhejiang

Wie in jeder Sportart in China wird auch im Tennis die Sportförderung vom Staat geführt. Gesiebt und zentralisiert wird lokal, in der jeweiligen Provinz und dann national. Die besten Spielerinnen erhalten früh eine finanzielle Entschädigung und müssen sich nicht um Reisekosten sorgen. Im Gegenzug war es vor nicht allzu langer Zeit noch normal, dass der Reisepass in die Hände des Trainers oder Verantwortlichen landet, schrieb der in China arbeitende Tennistrainer Mark Gellard 2018 in einem Text im "Tennis View Magazine". 

Wu Yibing sammelte früh große Lorbeeren für das Tennisteam der Provinz Zhejiang, unter anderem bei den nur alle vier Jahre stattfindenden "Chinese National Games". Die seien eine gute Schule gewesen, um mit dem "Druck" zurecht zu kommen, erklärte der Chinese am Donnerstag.

Am Freitag in der Nightsession gegen den topgesetzten Titelverteidiger Daniil Medwedew kann Wu Yibing befreit aufspielen. Er sieht sich klar als Außenseiter, weiß aber auch um seine Siegesserie, die nach einem kleineren Turniersieg, der erfolgreichen Qualifikation und zwei Hauptrundensiegen auf 17 angestiegen ist. Für den Youngster aber alles kein Hexenwerk: "In der Tenniswelt gibt es keine Geheimnisse. Es geht zu wie im Dschungel. Wenn du jemanden nicht frisst, wird dich jemand fressen. So einfach ist das."