Andrea Petkovic während ihres Erstrundenspiels bei den US Open

Karriereende bei US Open Andrea Petkovics hochemotionaler Abschied

Stand: 31.08.2022 10:03 Uhr

Die Grand-Slam-Laufbahn von Andrea Petkovic ist am Dienstag (30.08.2022) bei den US Open unter großen Emotionen zu Ende gegangen. Gegen Olympiasiegerin Belinda Bencic lieferte die 34-Jährige in der ersten Runde trotz körperlicher Probleme nochmal einen großen Kampf ab und sprach anschließend erstmals so richtig über die Gründe ihres Rücktritts - immer wieder von Tränen unterbrochen.

Von Jannik Schneider, New York

Schon auf dem Weg zum Netz kullerten die ersten Tränen an den Wangen herunter. Am Netz gab es eine sekundenlange Umarmung von Gegnerin und Freundin Belinda Bencic. Die Olympiasiegerin aus der Schweiz war es, die ihre Gegnerin wenige Momente später aufforderte, sich von ihrer Spielerbank zu erheben. Also schlurfte Andrea Petkovic trotz der Niederlage in Richtung Platzmitte und erhielt auf Court Nummer sieben in der nachmittäglichen brütenden Sommerhitze in Queens nach mehr als 15 Jahren Profitennis ihre wohlverdienten Standing Ovations.

Unter lautstarken "Petkovic, Petkovic"-Rufen verließ sie anschließend den Nebenplatz. Eine Mitarbeiterin des amerikanischen Tennisverbandes bahnte ihr den Weg durch eine Menschentraube voll mit deutschen, aber auch internationalen Fans. Die sahen einen Menschen, der mit seinen Emotionen, Gefühlen und Tränen rang und dennoch geduldig letzte Autogramme schrieb. Es war eine überfordernde Situation - für alle Beteiligten.

Einige Meter weiter fiel die Deutsche in die Arme von Ex-Profi Rennae Stubbs, die auf Petkovic gewartet hatte. Gemeinsam liefen sie die wenigen hundert Meter über die Anlage hinein in die Tiefen des Arthur-Ashe-Stadions, vorbei am Pressezentrum in Richtung Spielerbereich. Auf den letzten Metern hatte die Australierin ihren rechten Arm um Petkovic gelegt. Längst waren es nicht mehr nur erste Tränen, die kullerten.

Noch einmal mit "Biss, Hartnäckigkeit und Respekt für das Spiel"

Es waren die letzten, hochemotionalen Momente in der aktiven Laufbahn von Andrea Petkovic, die am Dienstagnachmittag nach 2:11 Stunden mit 2:6, 6:4 und 4:6 in der ersten Runde der US Open gegen die an 14 gesetzte Weltklassespielerin Belinda Bencic verlor. Sie tat das, wie so oft in den vergangenen Jahren im Spätherbst ihrer Karriere, ungesetzt und unter großem Kampf.

Sie sei glücklich, sagte sie später im größten Pressekonferenzsaal der US Open, dass sie im letzten Match all das abrufen konnte, was ihre Karriere ausgezeichnet hatte: "Biss, Hartnäckigkeit, und ja, einfach Respekt für diesen Sport und meine Gegner." Das hatte sie, zugegeben nach einem Horrorstart mit acht verlorenen Punkten in Folge, auf dem vor Hitze glühenden Hartcourt in Flushing Meadows tatsächlich noch hinbekommen.  

In den Sätzen zwei und drei diktierte "Petko" mit ihren gefürchteten flachen Angriffsschlägen das Match zeitweise und scheuchte Bencic dank eines verbesserten ersten Aufschlags oft in die Ecken. "Wofür kennen dich die Leute? Wofür stehst du? Für Kämpfen! Nach jedem Ball rennen! Niemals aufgeben!" Sie habe sich nach dem Start zusammengerissen, sagte Petkovic. "So möchte ich auch in Erinnerung behalten werden." 

Der Ellenbogen meldete sich trotz Schmerzmitteln

Anders als in den vergangenen Saisons, als diese Einstellung in frühen Grand-Slam-Runden noch für den ein oder anderen Überraschungserfolg gegen gesetzte Spielerinnen gelangt hatte, meldete sich in Satz drei trotz einer Vielzahl an Schmerzmitteln und Injektionen im entscheidenden Moment ihr malader Ellenbogen, der seit Wimbledon chronisch schmerzt und ihr große Probleme bereitete. Ein Doppelfehler und ein vermeidbarer Fehler, und sie hatte das vorentscheidende Break zum 4:5 kassiert; Bencic behielt mit einer souveränen Aufschlagleistung die Nerven. Ein Ass beendete die Karriere auf der großen Tennis-Bühne von Andrea Petkovic.

Mit ihren Tränen und Emotionen kämpfte die Darmstädterin, die seit Jahren ebenfalls einen Wohnsitz in New York hält, auch noch in ihrer Medienrunde. Mehrmals unterbrach sie, um für sich selbst Zeit zu gewinnen.

Sie habe große Emotionen verspürt, während und nach jedem Training geweint. "An einem Tag waren es sogar fünf Stunden. Einfach pure, reine Traurigkeit, die manchmal auch nett sein kann. Es war nicht mal richtig negativ, nur sehr anstrengend." Dann stoppte sie, die Tränen kämpften sich ihren Weg zurück. "Ich liebe dieses Spiel noch immer. Es geht mehr darum, dass mein Körper mir nicht mehr erlaubt, Tennis so zu spielen und zu trainieren, wie ich das möchte."

Wegen Karriereende: Petkovic brach TV-Interview ab

Am Sonntag hatte Petkovic sogar ein erstes TV-Interview mit der Sportschau abgebrochen. Sie fühle sich noch nicht bereit, vor der Kamera über den Rücktritt zu sprechen, ließ den anstehenden Rücktritt aber schriftlich übermitteln.

Seit dem Frühjahr hatte Petkovic immer wieder Unterbrechungen einlegen müssen, musste die Trainingsintensität herunterfahren, dann folgten die Ellenbogenprobleme. "Und wenn ich mal im Rhythmus war, wie in Hamburg, dann gewinn ich zwei Matches und dann kommt eine Verletzung während des Matches." So reifte der Entschluss, es ihren Fans mitzuteilen, just dann, als Serena Williams ihren Rücktritt in der "Vogue" verkündete. Dann habe sie gedacht: "Gut, jetzt interessiert das eh keinen mehr", sagte sie und lachte herzlich.  

So kann Andrea Petkovic am besten in Erinnerung behalten werden - als Entertainerin abseits der Tennisplätze. Klar: Da ist die ehemalige Weltklasse-Spielerin, die es in die Top 10 schaffte (Platz 9, 2011), ins Halbfinale von Paris (2014), die mit Deutschland 2014 in Prag im Fed Cup erst der Übermacht aus Tschechien unterlag und die sich nach mehreren schweren Verletzungen 2014 zurückkämpfte und in Charleston triumphierte und noch vier weitere Titel errang. Einen Erfolg, den sie am Dienstag selbst nochmal hervorhob.

Niemeier weint mit

Noch viel mehr fehlen wird aber die eloquente Gesprächspartnerin, die sich von Tagesform und Emotionen treiben, Medienrunden zu philosophischen Exkursen werden ließ, die sich stets öffnete und trotz ihrer vielen Verbindlichkeiten in den vergangenen Jahren (Moderatorin, Kolumnistin, Buchautorin) Ansprechpartnerin für die nächste deutsche Generation blieb.

Allen voran für Jule Niemeier, die gestern als einzige Deutsche in die zweite Runde der US Open einzog und damit ihren Wimbledonlauf ins Viertelfinale ansatzweise bestätigte. Petkovic ist eine Art Mentorin der 23-Jährigen, mit der sie auch Doppel spielte. "Ich habe auch ein paar Tränchen verdrückt", erklärte Niemeier nach ihrem Erfolg in der Nacht von New York. "Weil wir uns schon länger kennen und mir das extrem leidtut." 

Petkovic hätte dem deutschen Nachwuchs, gerade jetzt in der schwangerschaftsbedingten Abwesenheit der ohnehin zurückhaltenden Angelique Kerber, noch sehr gutgetan. Aber es ging körperlich nicht mehr.