Spitzentennis in Deutschland Nachwuchsförderung im DTB - Fehler im System oder der richtige Weg?

Stand: 10.06.2021 08:00 Uhr

Die deutschen Tennis-Frauen um Angelique Kerber und Andrea Petkovic haben bei den French Open ein klägliches Bild hinterlassen. Alle sind in der ersten Runde gescheitert. Neue, jüngere Spitzenspielerinnen sind nicht in Sicht. Der Deutsche Tennis Bund fühlt sich mit seinem Ausbildungsprogramm dennoch auf dem richtigen Weg. Dagegen regt sich Kritik.

Wenn die Damen-Konkurrenz bei den French Open in die letzten Runden geht, dann sind die deutschen Teilnehmerinnen höchstens noch am TV-Gerät mit dabei. Erstmals seit 1958 hat keine Spielerin des Deutschen Tennis Bundes (DTB) die zweite Runde in Roland Garros erreicht - eine bittere Enttäuschung. Nur Zufall? Oder Teil eines strukturellen Problems beim DTB?

Tatsache ist, dass die Generation um Angelique Kerber, Andrea Petkovic, Laura Siegemund mit jeweils über 30 Jahren auf den Herbst ihrer Karriere zugeht. Mit Julia Görges hat sogar eine Spitzenspielerin ihre Karriere bereits beendet.

Hinter Kerber und Co. klafft eine riesige Lücke

Das Problem: Hinter diesen Jahrgängen klafft eine riesige Lücke. "Wir hatten ja bereits gute Spielerinnen wie Annika Beck, Carina Witthöft und einige andere, die die Lücke hätten schließen können, die sich in dieser Tenniswelt aber nicht richtig wohlgefühlt haben", sagt Tennis-Bundestrainerin Barbara Rittner, die auch für die Jugendförderung zuständig ist, seit längerer Zeit geradezu mantraartig.

Auch Klaus Eberhard ist der Auffassung, dass es sich bei der Entwicklung von Talenten "um Wellenbewegungen handelt. Wir müssen ein bisschen Geduld haben", sagt der Sportdirektor des DTB sportschau.de. Es handele sich bei Beck, Witthöft und Co. um "eine Zwischengeneration", die von den Entwicklungen der vergangenen Jahre noch unberührt bleibt. "Wir haben in den letzten drei bis vier Jahren aber unsere finanziellen Möglichkeiten deutlich verbessern können", sagt Eberhard.

Zusätzliche Mittel für die Ausbildung

Der DTB, mit über 1,3 Millionen der mitgliederstärkste Tennisverband der Welt, bekommt seit 2017 öffentliche Mittel des Bundesministeriums des Innern (BMI), weil er als förderungswürdig im Sinne der Spitzensportförderung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) erklärt wurde.

Ein mittlerer sechsstelliger Betrag fließt dem Verband seitdem jährlich zu, mit dem laut Eberhard sechs zusätzliche, festangestellte Trainer, ein Physiotherapeut und zwei Konditionstrainer engagiert werden konnten. Damit sollen gerade die jungen Spieler und die Stützpunkte etwa in München, Hannover oder Kamen gestützt und gestärkt werden. "Es kommt gerade eine Generation nach, die wieder Hoffnung macht", sagt Eberhard.

Kollektives Ausscheiden kein Zufall?

Das Ausbildungsprogramm des DTB stößt allerdings bei einigen Profi-Trainern außerhalb des Verbandes auf grundsätzliche Kritik. Einige von der Sportschau befragte Trainer wollen sich nicht öffentlich äußern, weil sie mögliche negative Folgen durch ihre Kritik an den DTB-Strukturen befürchten.

Klaus Langenbach, ehemaliger Coach im Boris-Becker-Juniorteam, der unter anderem auch Petkovic, Philipp Kohlschreiber, Kevin Krawietz und einige weitere deutsche Top-Spieler trainiert und selbst im Verbandstennis gearbeitet hat, formuliert dagegen offen seine Bedenken. "Man könnte natürlich oberflächlich betrachtet sagen, dass so etwas grundsätzlich passieren kann, dass alle Spielerinnen so früh in Paris ausscheiden", sagt Langenbach. "Aber aus meiner Sicht hat sich das Problem über viele Jahre entwickelt."

Eigeninitiative der Eltern

Langenbach hat Zweifel an der Struktur des Ausbildungskonzepts. "Fakt ist doch, dass mit ganz wenigen Ausnahmen die meisten Spielerinnen und Spieler es hauptsächlich durch die Eigeninitiative der Eltern in den Spitzenbereich geschafft haben", sagt Langenbach. "Und nicht durch den DTB. Wir reden ja nicht von Verbandserfolgen sondern von Einzelerfolgen."

Aus Sicht des 55-Jährigen fehlt es im Verband an der individualisierten Herangehensweise, am dezidierten Eingehen auf die konkreten Bedürfnisse der talentierten Jungen und Mädchen bereits im jungen Alter. "Es wurde vor allem viel in die Infrastruktur investiert und den Jugendlichen das Konzept einfach übergestülpt", sagt er. "Das ist aus meiner Erfahrung heraus nicht der richtige Weg."

Trainer in den Vereinen müssten gestärkt werden

Auch kritisiert Langenbach die aus seiner Sicht nicht vorhandene Zusammenarbeit etwa mit privaten Tennis-Akademien, in denen viele Spitzensportler regelmäßig trainieren und die vielfach über meist sehr erfahrene und hervorragend ausgebildete Trainer verfügen, die einige Profisportler bereits zu großen Erfolgen geführt haben. "Diese Expertise kann ich beim Verband innerhalb der derzeitigen Personalaufstellung kaum erkennen", sagt Langenbach.

Zudem finde so gut wie keine Zusammenarbeit mit den Vereinen statt. "Die Trainer vor Ort müssen viel mehr gestärkt und unterstützt werden. Wir müssen die jungen Spieler im Umkreis ihres Lebensmittelpunktes ausbilden", sagt Langenbach. "Es fehlt an Struktur, an Zusammenhalt, an Trainiungsinhalten." Deshalb brauche es neben den zentralen Komponenten wie den Leistungsstützpunkten die genauso wichtigen dezentralen Komponenten.