Tennis | ATP Finals in Turin Alexander Zverev: Das Warten auf den Grand-Slam-Titel

Stand: 22.11.2021 15:01 Uhr

Nach seinem zweiten Sieg bei den ATP Finals in Turin feiern Alexander Zverev und sein Team ausgelassen, aber nicht überschwänglich. Das Ziel für 2022, das weiß der deutsche Topspieler selbst, kann nur lauten: Angriff auf einen Grand-Slam-Titel.

Von Jannik Schneider (Turin)

"Null, kein bisschen." Alexander Zverev ist unabhängig von sportlichen Leistungen auf Pressekonferenzen weit nach Spielende zuweilen nicht nur ein Mann der klaren Worte – sondern auch der kurzen Antworten. Und beim Thema Saisonende gibt es beim besten deutschen Tennisspieler seit Boris Becker dieses Jahr keinen Diskussionsspielraum. Es sei absolut nicht schade, dass er jetzt den Schwung dieses für ihn so erfolgreichen Turniers der besten acht Spieler des Jahres in Turin nicht irgendwohin zum nächsten Turnier nehmen könne.

Nur einige freie Tage - auch im Urlaub

"Ich freue mich einfach auf den Urlaub", sprach der nun 19-malige ATP-Turniersieger und verschwand nach absolvierter Medienarbeit noch am Sonntagabend in Richtung Mailand. Von dort fliegt er mit Freunden am heutigen Montag (22.11.2021) auf die Malediven. "Wir werden sicher viel Quatsch machen", sagte der gebürtige Hamburger und schob vorsichtshalber nach: "Aber keine Sorge, nichts Gefährliches." Die Pläne klingen erholsam und spaßig. Doch der 24-Jährige wird nach ein paar komplett freien Tagen die für ihn so elementare Fitnessarbeit noch im Urlaub wiederaufnehmen. Denn nicht nur für die Experten und Medien gab es am Sonntag nur eine Frage. Alexander Zverev selbst strebt, das ist kein großes Geheimnis, schon seit langem nach einem Grand-Slam-Titel. Der Druck, aus einer sehr guten Laufbahn eine Weltkarriere zu entwickeln, steigt.

Es gibt immer noch diese Diskrepanz zwischen dem, was der Rechtshänder auf der regulären ATP-Tour bei den Spielen mit nur zwei Gewinnsätzen leistet und dem, was in den Statistiken der Grand-Slam-Jahrbücher der vergangenen Jahre festgehalten ist.

Zverev auf den Spuren von Agassi

39-mal (bei 80 Versuchen) hat der Weltranglistendritte in seiner immer noch recht jungen Laufbahn gegen Top-10-Spieler gewonnen. Damit liegt er absolut im Soll. Zwölfmal gelang ihm das (bei 20 Versuchen) in diesem Jahr. In Turin beim für ihn letzten Turnier des Jahres besiegte er mit Novak Djokovic im Halbfinale und Daniil Medwedew im Finale die Nummer eins und zwei der Weltrangliste hintereinander. Das war beim wichtigsten Turnier außerhalb der Grand Slams – Traditionalisten nennen die Finals immer noch inoffizielle Weltmeisterschaft – zuletzt Andre Agassi vor 31 Jahren gelungen.

Das 6:4, 6:4 im Finale gegen Medwedew steht stellvertretend für alles, was ein Alexander Zverev mit Selbstvertrauen in diesem Modus auszeichnet: harte, präzise und variantenreiche Aufschläge, die konstante beidhändige Rückhand als Waffe, sowie ein hervorragender Übergang ans Netz. Geht es Zverev gut, kommt sogar die Vorhand auf Weltklasseniveau. Medwedew, der mit Zverev seit dem Jugendalter befreundet ist und die jüngsten fünf Aufeinandertreffen der beiden allesamt gewonnen hatte, hatte am Sonntag nichts entgegenzusetzen. Der US-Open-Sieger erspielte sich keine einzige Breakmöglichkeit.

Zverevs Problem bei Grand-Slam-Turnieren

Bei den vier großen Turnieren im Modus mit drei Gewinnsätzen, und nur die interessieren die breitere Sport-Öffentlichkeit in der Regel, hatte Zverev immer wieder Probleme. Zwar erreichte er seit den Australian Open 2020 von sieben Turnieren viermal mindestens das Halbfinale. Bei den US Open 2020 fehlten im Finale gegen Dominic Thiem sogar nur zwei Punkte zum großen Triumph. Trotzdem fehlt ihm auf diesen Turnieren noch immer ein größerer Sieg gegen einen Top-10-Spieler (0:11).

Das wurmt niemand mehr als Zverev selbst. Auf Nachfragen reagiert er meist professionell, bei den French Open dieses Jahr auch schon mal genervt. Dort verlor er gegen seinen Rivalen Stefanos Tsitsipas knapp im Halbfinale. Auch gegen Djokovic reichte es in New York trotz guter Leistung nicht.

Natürlich war das Abschneiden und Siegen bei Grand-Slam-Turnieren am Sonntag in Turin Thema: "Ich kann nur eines sagen. Ich werde alles tun, was von mir verlangt wird und in meiner Macht steht und werde mir den Arsch aufreißen, damit das 2022 passiert. Alles andere kann ich nicht beeinflussen."

Australian Open: Zverev Mitfavorit

Zverev will endlich den Grand-Slam-Titel und Nummer eins werden. Gelingt eine verletzungsfreie Vorbereitung, ist der Deutsche mindestens mal Mitfavorit in Melbourne bei den Australian Open. Dort dürfen, das hat die Regierung vergangene Woche bestätigt, 2022 ausschließlich geimpfte Spieler antreten. Novak Djokovic mochte sich bislang öffentlich nicht zu seinem Impfstatus äußern, wiederholte in Turin, wie wichtig ihm die Meinungs- und Entscheidungsfreiheit sei. Auf Nachfrage, ob er nach der Entscheidung der australischen Regierung Down Under spielen werde, antwortete er kurz und knapp: "Wir werden sehen." Rafael Nadal wird nach überstandener Verletzungspause zwar sicher zurückkehren und trainiert seit Wochen bereits unbehelligt von der Öffentlichkeit in Manacor auf Mallorca. Doch Roger Federer wird sein Comeback nach einer neuerlichen Knieoperation frühestens zur Rasensaison Mitte 2022 geben. Und bei Tsitsipas gibt es wegen anhaltender Ellenbogenprobleme ebenfalls viele Fragezeichen. Momentan steht eine Operation im Raum.

Gegen die vielen jungen Wilden auf der Tour hat sich Zverev bislang immer durchgesetzt. Alexander Zverev hat also beste Chancen, bei den Australian Open um den Titel mit zu spielen. Alles andere wäre nach dem Sieg bei den ATP Finals eine herbe Enttäuschung.