Der Leverkusener Para-Leichtathlet Johannes Floors hat bei der WM in Paris Gold über 400 Meter geholt

WM in Paris Was Leverkusen zur Para-Leichtathletik-Goldschmiede macht

Stand: 18.07.2023 16:22 Uhr

Der TSV Bayer Leverkusen ist in der Para-Leichtathletik die Top-Adresse in Deutschland. Sechs Leverkusener Athletinnen und Athleten haben bei der WM in Paris Medaillen gewonnen. Der Erfolg hat viele Faktoren.

Von Julian Tilders

Jörg Frischmann ist nach der Para-Leichtathletik-WM in Paris dann doch ein wenig übermüdet. Die Abschlussparty tat ihr Übriges. "Die Letzten sind glaube ich um halb sechs ins Bett gegangen", gesteht der Para-Sport-Geschäftsführer des TSV Bayer 04 Leverkusen im WDR-Gespräch am Dienstag (18.07.2023). "Die Kanadier haben uns gehört – und noch mitgefeiert."

Anlass zur Ausgelassenheit hatte das deutsche Para-Leichtathletik-Team in der Tat. Und im Speziellen auch der TSV Bayer Leverkusen. Denn der Stützpunkt stellte mit zehn Athletinnen und Athleten die meisten im deutschen Kader. Diese holten sechs Medaillen, davon vier goldene. Irmgard Bensusan (200 Meter), Johannes Floors (400 Meter), Léon Schäfer und Markus Rehm (beide Weitsprung) dominierten die Konkurrenz.

WM-Vorbereitung als Test für Paralympics-Trainingslager

Ein gutes Omen also für die Paralympics 2024? "Wir haben für das kommende Jahr getestet", bestätigt Frischmann. Der 60-Jährige, selbst als Beinamputierter einst 1992 Paralympics-Sieger im Kugelstoßen, betont die professionellen Bedingungen der Vorbereitung im Vorfeld der WM in Südfrankreich. Diejenigen, die mit im Trainingslager waren, "haben nun fünf Medaillen geholt", zeigt sich Frischmann zufrieden.

Partnerschaften mit Chemiekonzern und Prothesenbauer

Professionelle Bedingungen sind der Schlüssel zum Erfolg. Und diese suchen in Leverkusen ihresgleichen. "Der Verein lässt mir freie Hand", erklärt Frischmann, der im Oktober sein 25-jähriges Jubiläum als Funktionär feiert. Zudem unterstütze der Landesverband in der Nachwuchsförderung, etwa bei Trainingslagern.

Und einen großen Anteil an den Leverkusener Standortvorteilen haben Partnerschaften mit der Industrie. Der namensgebende Chemiekonzern (Bayer AG) fördert den Para-Sport seit über 70 Jahren. Frischmann weiß ob der Bedeutung des Engagements: "Bayer hat Möglichkeiten, die es so ähnlich in Deutschland sonst nur beim BPRSV e.V. Cottbus gibt, wo sich hauptamtlich um die Sportlerinnen und Sportler gekümmert wird."

Jörg Frischmann (M.), Para-Leichtathletik-Geschäftsführer bei Bayer Leverkusen und Teammanager des Nationalteams

Jörg Frischmann (M.), Para-Leichtathletik-Geschäftsführer bei Bayer Leverkusen und Teammanager des Nationalteams, hatte mit seinen Schützlingen schon einige Medaillen zu feiern.

Außerdem arbeitet der TSV Bayer mit Ottobock zusammen, einem Orthopädietechnik-Unternehmen, das die Prothesen stellt. "Seit 25 Jahren haben wir in Leverkusen einen Schwerpunkt auf Amputiertensport", erklärt Frischmann. Und führt als Modellrechnung an: "Johannes Floors braucht im Jahr sechs bis acht 'Blades'. Die kosten 2.500 Euro." Viele Menschen müssten bei den "Krankenkassen darum kämpfen" – die Leverkusener Para-Athletinnen und -Athleten profitieren von der Zusammenarbeit.

Pionierarbeit bei gemischten Trainingsgruppen

Frischmann hat noch andere Zeiten erlebt. Die Professionalisierung des Para-Sports in Leverkusen ist auch ihm zu verdanken. Und der Arbeit von Karl-Heinz Düe, der mittlerweile im Ruhestand ist, aber die (Para-)Leichtathletik in Leverkusen über Jahrzehnte als Trainer geprägt hat.

So trainierte Frischmann einst in Dües Trainingsgruppe mit Personen ohne Beeinträchtigung. Düe integrierte den beinamputierten Sportler, wie der Ex-Kugelstoßer betont, ohne Sonderbehandlung: "Als ich damals gesagt habe, das mit dem Anschwingen könne ich nicht, meinte er: 'Kann ich nicht – das gibt's bei mir nicht.'"

Team Deutschland dreht am Ende nochmal auf

Teils werde jetzt noch zwischen der Leichtathletik- und Para-Leichtathletik-Abteilung zusammengearbeitet. Allerdings mit dem richtigen Maß an Spezialisierung. "Karl-Heinz hat Olympia und Paralympics gemacht, aber das kann ein Trainer heutzutage nicht mehr abbilden. Die Trainer selbst sind schon der Para-, beziehungsweise der Leichtathletik, zugeordnet", sagt Frischmann.

Coaching und Nachwuchsarbeit als Herausforderungen

Eine Herausforderung sei das Coaching immer noch. Denn "ein linksseitig Arm-Amputierter wirft anders als ein Unterschenkel-Amputierter", wie Frischmann unterstreicht. Steffi Nerius, Erik Schneider und Sara Grädtke haben wohl den richtigen Ansatz gefunden: Sie coachen mit weiteren Personen in ihrem Team die Leverkusener Para-Leichtathlet*innen überaus erfolgreich.

Ein ebenso großes Thema ist laut des 60-Jährigen die Nachwuchsgewinnung, das wissen auch die aktuellen Stars: "Die Top-Athleten sind bei den Talenttagen dabei. Markus Rehm, Johannes Floors, Heinrich Popow, die laufen mit den Talenten." Mit den Talenten, die irgendwann vielleicht auch einmal paralympische Medaillen bis halb sechs Uhr am Morgen zu feiern haben.