Bedröppelte Spieler des VfB Stuttgart nach dem Relegations-Rückspiel bei Union Berlin (0:0) 2019

Fußball-Bundesliga Union Berlin gegen VfB Stuttgart - Eine unfassbare Entwicklung seit 2019

Stand: 28.03.2023 12:03 Uhr

Am Samstag (15:30 Uhr) kommt es zum Duell zwischen Union Berlin und dem VfB Stuttgart. Dabei werden Erinnerungen wach an die Relegationsspiele 2019. Beide Klubs entwickelten sich danach sehr unterschiedlich.

Es war der 27. Mai 2019, das Relegations-Rückspiel zwischen Union Berlin und dem VfB Stuttgart. Im Hinspiel hatten die Schwaben trotz zweimaliger Führung nur 2:2 gespielt, sodass sie aufgrund der Auswärtstorregel unter Druck standen. In der neunten Spielminute dann großer Jubel bei den Gästen. Dennis Aogo traf per Freistoß aus 18 Metern kompromisslos ins linke Toreck. Doch während die Mitspieler Aogo feierten, hatte Schiedsrichter Christian Dingert nach Intervention der Berliner Spieler Kontakt mit dem Kölner Keller. Der Treffer wurde überprüft - und schließlich nach Videobeweis aberkannt.

Relegations-Rückspiel 2019: VfB-Angreifer Nicolas Gonzalez (ganz links) steht beim Freistoßtor von Dennis Aogo (re.) im Abseits und irritiert den Union-Torhüter

Relegations-Rückspiel 2019: VfB-Angreifer Nicolas Gonzalez (ganz links) steht beim Freistoßtor von Dennis Aogo (re.) im Abseits und irritiert den Union-Torhüter

Der Stuttgarter Angreifer Nicolas Gonzalez hatte meterweit im Abseits gestanden und, so das Urteil des VAR, Union-Keeper Rafal Gikiewicz die Sicht genommen. Aus dem passiven wurde aktives Abseits, kein Tor für den VfB, es blieb beim 0:0. Und das über die kompletten 90 Minuten.

"Der erste Video-Abstieg der Geschichte"

Die Eisernen präsentierten damals eine Blaupause ihres heutigen Spielstils. Dicht gestaffelt hielten sie mit automatisierten defensiven Strukturen und großer Resilienz die Null, weil das ja reichte, solange Stuttgart kein Tor erzielte. Und bekanntlich gelang das den Gästen dann auch nicht mehr - somit war der nächste Abstieg nach 2016 besiegelt.

"Der erste Video-Abstieg der Geschichte", titelte damals der Boulevard, während Union erstmals in die Bundesliga aufstieg. In der Folge entwickelten sich beide Klubs diametral unterschiedlich.

Ein enttäuschter Christian Gentner nach dem Relegations-Rückspiel bei Union Berlin (0:0) 2019

Ein enttäuschter Christian Gentner nach dem Relegations-Rückspiel bei Union Berlin (0:0) 2019

Der VfB Stuttgart konnte den "Betriebsunfall Abstieg" zwar in der Folgesaison reparieren, allerdings in wenig überzeugender Art und Weise. Der Wiederaufstieg war eher der Schwäche der Konkurrenz als der eigenen Stärke geschuldet. Zudem musste der nach dem Abstieg verpflichtete Trainer Tim Walter vorzeitig gehen. Sein Nachfolger Pellegrino Matarazzo schaffte schließlich als Tabellenzweiter die Rückkehr in die Bundesliga.

Euphoriewelle trägt den VfB durch die Saison 2020/2021

Dort wurde die junge, vom damaligen Sportdirektor Sven Mislintat zusammengestellte Mannschaft in der ersten Spielzeit nach dem Wiederaufstieg von einer regelrechten Euphoriewelle getragen. Mit dem Abstiegskampf hatten die "neuen Jungen Wilden" nie etwas zu tun. Emotionaler Höhepunkt war ein fulminanter 5:1-Auswärtssieg bei Borussia Dortmund Mitte Dezember 2020. Am Ende der Saison wurde der VfB Stuttgart starker Neunter, allerdings zogen abseits des Feldes erste dunkle Wolken über Bad Cannstatt auf. Ein offener Brief des damaligen Vorstandchefs Thomas Hitzlsperger an VfB-Präsident Claus Vogt deutete auf große Zerwürfnisse in der Führungsetage hin.

Sportlich bewahrheitete sich die "vermeintliche Wahrheit", dass das zweite Jahr nach dem Aufstieg das schwerste ist. Gebeutelt von schweren Verletzungen und von der Corona-Pandemie, spielte Stuttgart eine weitgehend schwache Runde und konnte erst in letzter Minute den Klassenerhalt perfekt machen - auf dramatischste Art und Weise.

YouTube-Video von SWR Sport Fußball : "In letzter Sekunde: VfB Stuttgart sichert Klassenerhalt gegen Köln - DEIN VfB #31 | SWR Sport"

Rote Laterne nach 25 Spieltagen

Auch in der aktuellen Saison läuft bei Stuttgart wenig bis nix zusammen. Erst wurde Anfang Oktober Aufstiegstrainer Matarazzo gefeuert, dann folgte in der WM-Pause die Trennung von Sportdirektor Sven Mislintat - nach Differenzen mit dem neuen VfB-Boss Alexander Wehrle. Auf dem Feld blieben die Schwaben zudem auch fast alles schuldig. Das Resultat ist Platz 18 nach 25 Spieltagen, allerhöchste Abstiegsgefahr. Und jetzt wartet das Auswärtsmatch bei Union Berlin. Dem Kontrahenten von 2019, der im Anschluss als Bundesliga-Novize voll durchstartete.

YouTube-Video von SWR Sport Fußball : "Der VfB Stuttgart in Abstiegsnot - DEIN VfB #62 | SWR Sport"

Pointiert könnte man sagen, dass die Eisernen alles, was beim VfB falsch entschieden wurde, richtig gemacht haben. Das fängt mit der Kontinuität auf dem Trainerposten an. Aufstiegscoach Urs Fischer ist immer noch in Amt und Würden und mittlerweile sogar ein heißer Kandidat bei zahlreichen Klubs, bei denen der Platz auf der Bank mal wieder vakant ist. Denn der Schweizer macht einen Top-Job.

Weiter geht's bei Union mit einer starken Führung, die nach außen Zusammenhalt ausstrahlt. Präsident Dirk Zingler und Manager Oliver Ruhnert arbeiten eng zusammen und leisten ebenfalls herausragende Arbeit.

Starke Spieler gehen, starker Ersatz kommt

Und die Mannschaft performt - fast unabhängig davon, wer auf dem Feld steht. Superstars gibt's bei Union nicht. Herausragende Spieler verlassen den Klub häufig, wie etwa Max Kruse oder Taiwo Awoniyi. Sie zieht es oft weiter zu zahlungskräftigeren Vereinen.

Beinahe ein Alleinstellungsmerkmal von Union Berlin ist, dass die neuen Spieler die alten Akteure quasi 1:1 ersetzen. Das ist auch Trainer Fischer und seinem System geschuldet, in dem die Rollen klar definiert sind. Kritik am oft wenig initiativen Spielstil des FCU perlt ab - denn schließlich sind die Eisernen damit sehr erfolgreich. Die sportliche Entwicklung des Hauptstadtklubs verdient höchste Anerkennung.

Sensationelle sportliche Entwicklung

Nach dem Aufstieg hielt Union in der Saison 2019/2020 als Elfter souverän die Klasse, bevor im Jahr darauf als Siebter sensationell die erstmalige Qualifikation fürs europäische Geschäft, die UEFA Conference League, erfolgte. Wer gedacht hat, dass die Mannschaft ohne vermeintliche Superstars jetzt an ihre Grenzen stößt und aufgrund der Doppelbelastung wie so viele andere Klubs abrutscht, sah sich abermals getäuscht. 2021/2022 wurde Union Fünfter, zog in die Europa League ein und verpasste Rang vier, der für die Teilnahme an der Champions League berechtigt, nur um einen Zähler.

Auf Kurs Köngisklasse

Und wer nun dachte, dass die Berliner doch mal an die Decke stoßen müssten, sah sich erneut getäuscht. In der aktuellen Saison haben die Köpenicker nochmal einen Entwicklungsschritt gemeistert und waren sogar vom sechsten bis zum zwölften Spieltag Tabellenführer. Auch international sorgte Union für Furore, schalte nach der Gruppenphase in der Runde der letzten 32 den europäische Spitzenklub Ajax Amsterdam aus, bevor im Achtelfinale gegen St. Gilloise aus Belgien das Aus folgte. Dafür könnten die Berliner in der Bundesliga erneut Sensationelles schaffen. Nach 25 Spieltagen sind die Eisernen als Dritter auf Kurs Köngisklasse.

Nun also das Wiedersehen mit dem VfB Stuttgart. Den einen geht es hervorragend, den anderen steht das Wasser bis zum Hals. Die einen sind etablierter Bundesligist, die anderen haben Angst, zur Fahrstuhlmannschaft zu werden. Eine Entwicklung, die 2019 nicht absehbar war.