Jerome Boateng im Nationaltrikot 2018

Bundesliga | Meinung Boateng nach Heidenheim - droht das Bundesliga-Märchen vom Schlossberg zu scheitern?

Stand: 07.11.2023 17:31 Uhr

Weltmeister Jérôme Boateng ist als Verstärkung für die Heidenheimer Innenverteidigung im Gespräch. Er würde nicht zum 1. FC Heidenheim passen, meint SWR-Sportredakteur Günther Schroth.

Es ist eine Story wie gemalt für Fußballromantiker: armer kleiner Fußballverein verpflichtet einen namenlosen, ortsansässigen Jung-Trainer – und der sucht nach ersten Erfolgen nicht nach Ruhm und Ehre in der großen weiten Welt. Sondern er bleibt einfach beim kleinen Verein in der kleinen Stadt. Und steigt nach etlichen Jahren in die Bundesliga auf. Die Geschichte vom Aufstieg des 1. FC Heidenheim um Trainer Frank Schmidt ist ein Fußballmärchen, wie man es seinen Enkelkindern erzählen möchte.

Und jetzt versuchen sie in Heidenheim, diese Erzählung zu retten. Allerdings mit den falschen Mitteln. Spätestens nach den zwei unterirdischen Auftritten gegen Borussia Mönchengladbach wurde man in Heidenheim nervös und denkt nun offensichtlich an die Verpflichtung eines Retters. Eines Weltmeisters. Eines Innenverteidigers von Weltrang. An Jérôme Boateng. So pfeifen es die Spatzen vom Dach, und sie pfeifen so laut, dass an der Geschichte was dran sein dürfte.  

Spaltet das die Kabine der Heidenheimer?

All denen, die im Fußball das Modell für den – auch sozialen - Aufstieg schlechthin sehen für die, die nur entschlossen genug sind und den entsprechenden Fleiß und das nötige Talent mitbringen, all denen war der völlig unwahrscheinliche Aufstieg der Heidenheimer eine große Genugtuung. Dem Märchen vom Schlossberg aber könnte jetzt ein wenig märchenhaftes Kapitel hinzugefügt werden.

Denn wenn es ein geeignetes Mittel gibt, die Kabine der Heidenheimer zu spalten, die Mannschaft zu sprengen, dann wäre es die überstürzte Maßnahme, einen ins Alter gekommenen Recken für die Innenverteidigung zu holen. Ja, man hört, Boateng habe großartige Konditionswerte. Und ja, man weiß, was Boateng mal konnte und vielleicht immer noch kann.

Dennoch bin ich der Meinung, dass Boateng besser in die Männerwelt Saudi-Arabiens passen würde, als auf die Ostalb. Zumal in Erinnerung gebracht werden muss, dass der Rechtsstreit gegen Boateng wegen häuslicher Gewalt, der demnächst am Landgericht München vermutlich neu aufgerollt wird, diese Personalie massiv belasten würde. In Saudi-Arabien, in der Ronaldo-Liga, könnte Boateng meinethalben auftreten, mich interessiert diese Liga eh nicht.

Passt ein großer Name in einen kleinen Verein?

Die Diskussion um Boateng hatte zuletzt selbst den FC Bayern München davon absehen lassen, ihn zu verpflichten. Wie sehr allein schon ein großer Name einen kleinen Verein belasten und das innere Gefüge eines funktionierenden Teams sprengen kann, hat man zuletzt bei Union Berlin gesehen. Um halbwegs unbeschadet durch die Champions League und die Bundesliga zu kommen, haben sie dort den italienischen Europameister Leonardo Bonucci verpflichtet – gebracht hat es dem Vorjahresclub der Herzen eine Negativserie. Der Fußball von Union Berlin funktioniert seither nicht mehr.

Und was wird sich wohl einer wie Heidenheims Verteidiger Benedikt Gimber denken? Er hatte einen denkwürdigen Auftritt mit einem von allen Fachleuten gelobten Debüt beim 2:0 Sieg gegen den VfB Stuttgart. Mit einer Abwehr-Aktion gegen den Stuttgarter Stürmer Silas, die Defensiv-Fans noch Tage danach mit der Zunge schnalzen lässt. Auch an Gimber wird diese Nachricht sicher nicht spurlos vorbeigehen, dass Jérôme Boateng in der Personalverlosung ist. Einer wie Gimber müsste wieder zurück ins Glied treten.

Die Heidenheimer Bundesliga-Erzählung kann auch ohne Boateng weiter gehen. Und zwar dann, wenn sie sich beim FCH nicht nervös machen lassen und weiter am Märchen vom Schlossberg arbeiten. Abwehr-Talente und Ostalb-Tugenden finden sich im Fußball genug. Da braucht man keine früheren Weltmeister.