Enttäuschte Gesichter bei den Zuschauenden des Public Viewings im Brlo beim WM-Spiel Kolumbien gegen Deutschland (Bild: rbb/Lynn Kraemer)

Public Viewing bei Fifa Frauen WM Wolkig mit Hoffnung aufs Achtelfinale

Stand: 30.07.2023 18:37 Uhr

Viele Angebote zum Public Viewing der Deutschland-Spiele gibt es in Berlin nicht. Doch dort, wo die FIFA Frauen WM übertragen wird, ist es voll. Auch an einem Sonntag um 11:30 Uhr. Wie im Biergarten die 1:2-Niederlage gegen Kolumbien verfolgt wurde. Von Lynn Kraemer

Die Augen sind zusammengekniffen und der angestrengte Blick richtet sich leicht nach oben. Ist gerade Lena Oberdorf oder ihre kolumbianische Gegenspielerin am Ball? Für die Zuschauenden beim Public Viewing am Gleisdreieck ist das in den ersten Minuten auch mit der Hand als abdunkelndes Visier nur schwer auseinanderzuhalten. Pünktlich zum Anpfiff des WM-Gruppenspiels scheint die Sonne genau auf die große LED-Leinwand im Brlo-Biergarten. Erst ein zerfetzter Wolkenteppich schafft Abhilfe. Er gibt den Blick auf ein 0:0 frei – nichts verpasst.

Besucher des Public Viewings im Brlo verfolgen an Blätterranken vorbei das WM-Spiel zwischen Kolumbien und Deutschland (Bild: rbb/Lynn Kraemer)

Eingeschränkte Sicht beim Public Viewing im Brlo: Ein Teil der Zuschauenden verfolgt das Spiel durch Blätterranken

In dem Biergarten sind alle Plätze mit direkter Sicht auf die Leinwand oder einen der drei kleinen Fernseher besetzt. Und auch dahinter ist es voll. Auf der Terrasse versperren immer wieder Balken und Blätterranken Teile des Spielfelds. Wie Scheibenwischer bewegen sich die Köpfe von links nach rechts an den Blättern vorbei. "Ein bisschen schief, aber man bleibt in Bewegung", lacht Simone Herlitz aus Lichterfelde. Für einen Sitzplatz direkt vor der Leinwand war ihre Gruppe selbst eine Dreiviertelstunde vor Anpfiff schon zu spät dran. Die Stimmung ist trotzdem gut. Vor sich auf dem Tisch haben sie einen Läufer in Deutschlandfarben ausgebreitet. Von der Übertragung im Brlo hätten sie in der Abendschau erfahren. Und viele andere Orte gebe es ja nicht. "Für den Zuspruch, den die Mädels haben, ist es zu wenig. Vielleicht wird es ja noch mehr, wenn sie gewinnen", so Herlitz.

Begrenztes Angebot trifft auf hohe Nachfrage

Wer ein paar Tage vor Turnierstart nach Orten in Berlin und Brandenburg zum Public Viewing suchte, wurde nur begrenzt fündig. Nicht mal zehn aktiv beworbene Angebote in der Hauptstadt und auf Nachfrage in Potsdam oder Cottbus oft die Antwort: “Wenn jemand vorbeikommt und fragt, machen wir das Spiel an.” Viele der Kneipen haben zum Spielstart am Vormittag schlichtweg noch nicht auf. Für die WM in Australien und Neuseeland öffnet das Brlo seinen Biergarten an Spieltagen früher. Seit 2019 werden hier auch die Turniere der Frauen auf großer Leinwand gezeigt.
 
Zur zweiten Hälfte - inzwischen haben wirklich alle ausgeschlafen – wird es nochmal voller. So voll, dass einige der Nachzügler direkt wieder umdrehen, um das Spiel doch lieber vom Sofa zu verfolgen. Einige Gruppen schauen parallel übers Smartphone. "Lieber mit mehreren zusammen gucken als zuhause alleine", sagt der 29-jährige Timo. Er komme für die Stimmung beim Fußballgucken her.

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Auf dem kleinen Handybildschirm sehen sie, wie Kolumbien nach einer eher chancenarmen ersten Hälfte in der 52. Minute in Führung geht. Nach einer Ecke landet der Ball bei Nachwuchstalent Linda Caicedo auf der linken Sechzehnerseite. Die 18-Jährige zieht an Sara Däbritz und Svenja Huth vorbei nach innen und versenkt den Ball im langen Eck. Das kollektive Stöhnen zieht sich durch den ganzen Biergarten und wird nur durch die Jubelschreie der kolumbianischen Fans an drei sehr gelben Tischen durchbrochen.

"It’s the she-conomy, stupid!"

Ben Pommer bekommt davon nur wenig mit. Der Brlo-Geschäftsführer steht in einem Container weiter hinten und hilft beim Ausschank. Dass das Tor für Kolumbien und nicht Deutschland war, erfährt er erst in der 70. Minute, als er Pause machen kann. Für ihn sei es auch nach mehreren Jahren noch nicht ganz abzuschätzen, wie gut das Angebot angenommen wird. "Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich bin wahnsinnig stolz darauf, dass wir uns das seit 2019 trauen. Man sieht, dass es funktioniert", sagt Pommer mit Blick auf den fast schon überfüllten Biergarten.

Das Geschäft profitiert davon, dass das Angebot so begrenzt ist. "Ich finde es grundsätzlich schade, dass wir mit unserer kleinen Fläche die größte sind. Da kann man schon wesentlich mehr rausholen." Die aktuelle Situation werde dem Sport und den Spielerinnen nicht gerecht. "Es gibt noch ein so signifikantes Ungleichgewicht und das gehört geändert", so Pommer. Er glaube aber, dass sich das Angebot in den nächsten Jahren signifikant ändern werde.
 
Denn eigentlich kommt die FIFA Frauen WM 2023, abgesehen von den Anpfiffzeiten, genau zum richtigen Zeitpunkt. In einem Sommer, der durch Barbie plötzlich sehr viel pinker ist und der Ticketverkauf für Taylor Swifts Europa-Welttour europaweit für überlastete Server und leere Konten sorgt, passt auch hochklassiger Frauensport gut ins Bild. Was funktioniert, sind Angebote, die sich an Frauen richten und sie ernst nehmen. Die Spielerinnen der deutschen Nationalmannschaft geben sich auf Social Media nahbar und haben sich so eine neue Fanbase aufgebaut. Frei nach Bill Clintons Wahlkampteam Anfang der 90er: "It’s the she-conomy, stupid!" Wer sich traut, auf die eher junge, weibliche Zielgruppe einzugehen, könnte überrascht werden.

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Andere Atmosphäre

Auf den Tischen wechseln sich Bier und Caffè Latte mit Milchschaumherzen ab. Der Appetit bewegt sich zwischen spätem Frühstück und deftiger Mittagspause. Weite Teile des Publikums sind in Alltagskleidung da. Sie vermischen sich mit kleineren Gruppen in Trikots der deutschen Fußballnationalmannschaft der Männer und Frauen. Franka Dümpelmann, Anfang 20, trägt selbstbewusst zwei Sterne und die Nummer von Lieblingsspielerin Jule Brand auf dem Rücken: "Letztes Jahr während der EM habe ich ein Spiel geguckt und seitdem bin ich absolut Fan. Männerfußball habe ich so nie geguckt. Jetzt bin ich voll dabei." Sie freue sich, dass es einen Ort zum Schauen gebe.
 
Dümpelmann sieht auch einen Unterschied zum Public Viewing bei vergangenen Turnieren: "Bei den Männern ist die Stimmung sehr viel aggressiver und sehr viel aufgeladener. Hier finde ich es viel angenehmer." Im Brlo gibt es Applaus für erfolgreiche Paraden und wer sich ins Sichtfeld stellt, wird freundlich angetippt. Abgesehen vom Torjubel bleibt die Lautstärke entspannt.

Applaus für beide Teams

Erst nachdem Alexandra Popp in der 89. Minute einen Elfmeter nach einem Foul der kolumbianischen Torhüterin Catalina Perez an Lena Oberdorf verwandelt, wird jede noch so kleine Szene mit "Oh!" und "Ah!" bedacht. Als das 1:1 in der siebten Minute der Nachspielzeit zu einem 1:2 wird, zieht sich das "Oooooooooh" vermutlich vom Biergarten aus durch den ganzen Park am Gleisdreieck. Manuela Vangas steht bei einer rechten Ecke komplett frei vor dem Strafraum, in dem sich fast alle deutschen Spielerinnen tummeln, und köpft Kolumbien zum Sieg.
 
Von den Gästen beim Public Viewing wird auch das nach Abpfiff mit einem respektvollen Applaus gewürdigt. Schließlich wollen alle hier mehr Frauenfußball sehen und Deutschland möglichst im Finale. Damit das passiert, ist Deutschland am Donnerstag gegen Südkorea gefordert. Aktuell stehen sie auf Platz zwei der Gruppe H hinter Kolumbien. Mit einem Sieg (6:0 gegen Marokko) und einer 1:2-Niederlage müssen die deutschen Fußballerinnen am 3. Gruppenspieltag gegen Südkorea gewinnen, um sicher ins Achtelfinale weiterzukommen [Alle weiteren Szenarien auf sportschau.de].

Sendung: rbb24 Abendschau, 30.07.2023, 19:30 Uhr