"Tour-Teufel" Dieter "Didi" Senft bei einem Rennen. Quelle: imago images/Panoramic International

Interview | "Tour-Teufel" Dieter Senft "Ich möchte eines Tages auf einem Berg bei der Tour de France umfallen"

Stand: 28.06.2023 10:23 Uhr

Die Radsport-Welt kennt Dieter "Didi" Senft nur als "Tour-Teufel" oder "El Diablo". Dieses Jahr feiert er als Teufel verkleidet sein 30-jähriges Jubiläum bei der Tour de France. Im Interview erinnert er sich an große und dramatische Momente.

rbb|24: Am 1. Juli beginnt die Tour de France. Wie weit sind ihre Planungen als "Tour-Teufel"?
 
Senft: Ich war vor kurzem noch bei einem Ableger der Tour de France in Dänemark - das Rennen heißt "L'Étape du Tour". Dann bin ich zurückgeflogen und einen Tag später, am 27. Juni, mit dem Auto nach Bilbao gefahren. Ich bin bis zum Ende in Paris dabei.

Sie waren 1993 zum ersten Mal dabei. In diesem Jahr feiern Sie also Jubiläum.
 
Ja, ich habe in drei Jahrzehnten schon viel mitgemacht - große Siege, aber auch dramatische Situationen bis zu Todesstürzen.
 
Es ist schwer, ein Highlight zu benennen. Die Anfangsjahre waren natürlich super, weil unsere deutschen Athleten und der Telekom-Rennstall die Tour beeinflusst und dominiert haben. 1996 hatten wir mit Bjarne Riis den ersten Telekom-Sieger, 1997 Jan Ullrich und 1998 kam dann Marco Pantani. Dann folgte die Serie von Lance Armstrong. Das war schon sehr beeindruckend. Heute ist das ähnlich, die deutsche Euphorie ist nur zurückgegangen.

Didi Senft in Aktion. (Quelle: Marco Bertorello/AFP)
Fahrrad-Fahrfan und Tour-Teufel Didi Senft aus Storkow feiert 70.

"Didi" will es auch mit 70 noch wissen und kann einfach nicht ruhiger, wenn es um seine große Passion - den Radsport - geht. Auch an seinem Geburtstag kreisen seine Gedanken nur ums Fahrrad und die weltweiten Radrennen, die auch 2022 wieder anstehen.mehr

Woran denken Sie, wenn Sie von dramatischen Situationen sprechen?
 
Natürlich an die vielen schweren Stürze, aber auch an positive Dramatik. Zum Beispiel war es 2020 so, dass Primoz Roglic quasi schon als Sieger feststand, sein slowenischer Landsmann Tadej Pogacar ihm das gelbe Trikot aber am vorletzten Tag im Zeitfahren noch abgenommen hat. Das war eine positive Dramatik, die einmalig war - einfach spannend und überraschend.

Wo hat Ihre Liebe zum Radsport den Ursprung?
 
In Frankfurt an der Oder! (lacht) Mein großes Idol war damals Täve Schur (berühmter Radfahrer der DDR, Anm. d. Red.). Wir hatten damals, als ich ein Kind war, noch kein Fernsehen, sondern nur Radio. So haben wir dann immer die Friedensfahrt gehört - das war beeindruckend. Täve Schur war unser großer Held.

Ihre Leidenschaft reichte soweit, dass sie vor einigen Jahren ein eigenes Radfahr-Museum eröffneten.
 
Ich habe irgendwann aus der Euphorie heraus mit ein paar Freunden angefangen jedes Jahr zu Himmelfahrt ein kurioses Fahrrad zu bauen. Irgendwann wurde die Begeisterung so groß, dass wir es auch häufiger gemacht haben - inzwischen sind es über 200 Stück. Ich habe 17 Weltrekorde im Guinness-Buch aufgestellt mit meinen Rädern. Die Leidenschaft zum Fahrradbau kam also parallel dazu auf. Ich habe auch mal einen abgesägten Trabi an ein Fahrrad gebaut - quasi als Rikscha. Damit bin ich dann am Grand Hotel Berlin Unter den Linden vorgefahren. Das waren lustige, sensationelle Sachen. Mittlerweile sind die Fahrräder größtenteils in der Schweiz ausgestellt. Es stehen aber zum Beispiel auch einige Weltrekord-Räder im österreichischen Radstadt.

Wofür stehen Sie im Guinness-Buch?
 
Da ist alles dabei. Vom größten, höchsten, längsten bis zum kleinsten Fahrrad - all solche Rekorde. Irgendwann baute ich den schiefen Turm von Pisa als Fahrrad und fuhr damit in Pisa, dann baute ich den Eiffelturm als Fahrrad und bin damit in Paris gefahren - das waren alles Rekorde. Wichtig waren immer nur: Räder, Ketten und Pedale.

Bei der Tour de France sind Sie mittlerweile weltbekannt, weil Sie sich seit Jahren als Teufel verkleiden. Wann und wie entstand die Kostüm-Idee?
 
Die Idee hatte ich schon als Jugendlicher, als ich selbst noch Radrennen fuhr. Ich konnte ja in Ost-Berlin heimlich West-Fernsehen gucken - mit viel Schnee auf dem Bildschirm. So habe ich die Übertragung der Tour de France immer geschaut. Die Reporter sagten immer: Jetzt sind die Fahrer am roten Teufelslappen. Was man heute als "flamme rouge" kennt, also die Kennzeichnung für den letzten Kilometer eines Rennens, das gab es schon immer. Ich habe dann gesagt: Wenn ich Rentner bin, werde ich Teufel. Durch den Mauerfall kam das dann glücklicherweise alles schon deutlich früher. Jetzt bin ich zum 30. Mal bei der Tour de France dabei.

Überall werde ich erkannt, selbst im Flugzeug mache ich Fotos. Wenn man mit so viel Freundlichkeit empfangen wird, schwebt man durch die Welt - man läuft nicht mehr.

Mittlerweile reisen Sie sogar auf Einladung der Veranstalter zu den Rennen.
 
Die Amaury Sport Organization organisiert viele sogenannte Jedermannrennen auf der ganzen Welt. Zum Beispiel gibt es eben die "L'Étape du Tour", die in verschiedenen Ländern stattfindet - zum Beispiel Brasilien, Mexiko oder Equador. Dort werde ich überall eingeladen. Ich kreuze eigentlich nur noch von Tokio nach Las Vegas und von Bulgarien nach Kanada - es geht immer hin und her. Von den großen Rennen begleite ich eigentlich mittlerweile nur noch die Tour de France.

Wird die Reiserei - mit mittlerweile 71 - nie anstrengend?
 
Nein, die Euphorie ist einfach riesengroß. Ich fliege dann schon als Teufel verkleidet dort hin und werde begeistert empfangen. Überall werde ich erkannt, selbst im Flugzeug mache ich Fotos. Wenn man mit so viel Freundlichkeit empfangen wird, schwebt man durch die Welt - man läuft nicht mehr. Ans Aufhören denke ich also nicht. Ich möchte eines Tages irgendwo auf einem Berg bei der Tour de France umfallen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 28.06.23, 10:15 Uhr