Der SC Norderstedt 1982 bei Freundschaftsspielen in China

Vor 40 Jahren Als Norderstedts A-Jugend in China den deutschen Fußball vertrat

Stand: 04.08.2022 10:40 Uhr

Im Sommer 1982 reiste die A-Jugend des 1. SC Norderstedt zu Freundschaftsspielen nach China - als erste deutsche Vereinsmannschaft. Allerdings hielt man die Kicker im Reich der Mitte für die Junioren-Nationalmannschaft. Ein Irrglaube mit Folgen.

Von Christian Görtzen

Die erste Reaktion am anderen Ende der Telefonleitung: Erstaunen. Olaf Bösselmann, Team-Betreuer bei Eintracht Norderstedt, wägt die Anfrage offenbar noch einmal kurz ab. "Unsere Reise nach China? Aber die ist doch 40 Jahre her. Tja, ob ich mich daran überhaupt erinnern kann?", sagt er dann. Bösselmann kann. Das zeigt sich schnell.

Es scheint, als habe in ihm das Wort "China" sofort etwas ausgelöst, als stünde er in Gedanken längst auf dem Platz - mit dem Ball am Fuß am Mittelpunkt. Bereit zum Anstoß für eine Zeitreise in den Sommer 1982.

22-köpfige Norderstedter Reisegruppe

Verständlich, denn für den 57-Jährigen ist es die Tour seines Lebens. Der Groß- und Außenhandelskaufmann gehörte damals zum Kreis von 16 A-Jugendlichen des Vorgängervereins 1. SC Norderstedt, die sich in der Obhut von sechs Funktionären auf die Reise ins Reich der Mitte begaben - als erste deutsche Vereinsmannschaft. Was sie auf ihrem Flug nach Peking noch nicht ahnten: In China hielt man das Norderstedter Team für die Junioren-Nationalmannschaft des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).

Dabei sei die erste A-Jugend des Clubs seinerzeit in Hamburgs höchster Spielklasse "keine Wundertruppe" gewesen, räumt Bösselmann ein. Er selbst kickte in der zweiten A-Jugend, durfte aber ebenfalls mit.

HFV und DFB unterstützen das Vorhaben

Zustandegekommen war alles durch die Beharrlichkeit des mittlerweile verstorbenen Betreuers Werner Annecker. "Er hatte immer davon erzählt, dass es sein Traum sei, mit einer Jugendmannschaft vom SCN nach China zu fliegen. Wir haben ihm gesagt, er solle aufhören, so herumzuspinnen", so Bösselmann. Annecker aber ließ nicht locker. Er holte den Hamburger Fußball-Verband (HFV) mit ins Boot, vom DFB kam die Genehmigung, über das Auswärtige Amt wurde der Kontakt hergestellt - der Traum wurde wahr. Vor allem das Mitwirken des DFB dürfte wohl in China dazu geführt haben, dass das Norderstedter Team als deutsche Auswahl angesehen wurde.

SCN-Jungs spielen vor 45.000 Zuschauern

Die Konsequenz: Empfänge mit viel Brimborium für die SCN-Junioren, Ausflüge zur Chinesischen Mauer und altertümlichen Palästen. Und das Beste: fünf Spiele vor großem Publikum, davon eines im Nationalstadion vor 45.000 Zuschauern. Drei Partien seien laut Bösselmann sogar live vom chinesischen Fernsehen übertragen worden.

Der SC Norderstedt 1982 bei Freundschaftsspielen in China

Das erste Spiel in Peking fand vor 45.000 Zuschauern statt.

Die Gastgeber ließen sich auch nach der Ankunft der Schleswig-Holsteiner nicht von ihrer Überzeugung abbringen, dass es sich um die deutsche Jugend-Nationalmannschaft handeln müsse. Folglich bot der chinesische Fußballverband für das erste Spiel in Peking seine Top-Auswahl auf.

0:8-Klatsche gegen chinesische Top-Auswahl

Ein Kamerateam des NDR, das die Norderstedter A-Jugend auf ihrer Reise begleitete, filmte auch die Team-Ansprache von Delegationsleiter Friedel Gütt im Mannschaftsbus. "Es kommt darauf an, dass wir hier den deutschen Fußball vertreten. Ihr seid nun mal in die Situation gekommen, dies zu tun. Das war nicht unsere Schuld. Wir konnten nicht ahnen, dass sie uns einfach nicht glauben wollten, dass hier eine Vereinsmannschaft kommt", sagte Gütt, der damalige Vize-Präsident des HFV.

"Es war genial, einfach genial."
— Olaf Bösselmann, Team-Betreuer Eintracht Norderstedt

Die gut zweiwöchige Reise, die Ende Juli 1982 begann, wurde - nicht zuletzt durch dieses Missverständnis - zu einem unvergesslichen Erlebnis. Selbst das 0:8 im ersten Spiel gegen die chinesische Landesauswahl konnte den Gesamteindruck der SCN-Junioren nicht trüben. "Keine Sau kannte uns, aber wir wurden angepriesen als deutsche Junioren-Nationalmannschaft. Wir durften sogar mit dem Sonderzug fahren", so Bösselmann.

Im zweiten Spiel erzielte der Abwehrspieler bei der 1:3-Niederlage das Tor der Norddeutschen. "Vor über 20.000 verrückten chinesischen Fans, die einen dafür bejubelt haben - Wahnsinn!"

Sorgen um das Ansehen des deutschen Fußballs

In Deutschland gab es indes Kritik an der Reise und ihrem Ausgang. Das Ansehen des deutschen Fußballs habe in der Volksrepublik China einen schweren Rückschlag erlitten, hieß es auch im NDR-Film von 1982: "Der Vorwurf, dafür verantwortlich zu sein, geht nicht nur an den DFB. Auch die Verantwortlichen des 1. SC Norderstedt hätten sich besser informieren müssen, um ihren Jungs diese Niederlage zu ersparen."

Der SC Norderstedt 1982 bei Freundschaftsspielen in China

Die Norderstedter A-Jugend war gegen die chinesische Auswahl chancenlos.

Bösselmann schätzt das auch 40 Jahre später ganz anders ein: "Nicht ein Spieler von uns hat das so gesehen. Wir Jugendlichen waren froh, so etwas erleben zu dürfen. Dieses Erlebnis kann mir keiner mehr nehmen - es war einfach sagenhaft!"

Dieses Thema im Programm:
Schleswig-Holstein Magazin | 05.08.2022 | 19:30 Uhr