Die Mannschaft von Kickers Emden im Ostfriesland-Stadion

Oberligist aus Ostfriesland Traditionsclub Kickers Emden gerettet - Nun zurück in den Profifußball?

Stand: 05.01.2024 13:54 Uhr

Einst spielte Kickers Emden in der 3. Liga, ehe der große Absturz folgte. Weltmeister Lukas Podolski, der FC Liverpool und nicht zuletzt Henning Rießelmann halfen, den finanziell angeschlagenen Traditionsclub zu retten. Jetzt stehen die Chancen auf eine erfolgreiche Zukunft bei den Ostfriesen so gut wie lange nicht mehr.

Von Karsten Lübben

Hinter Tido Steffens liegen aufreibende Tage. Zwischen den Jahren musste der Stürmer des BSV Kickers Emden noch bangen, ob und wie es beim Oberligisten aus Ostfriesland weitergeht. Am Ende hob Kickers-Macher Henning Rießelmann jedoch den Daumen und sagte zu, als strategischer Partner an Bord zu bleiben. "Das", so Steffens, "war für uns alle eine Erlösung."

Mit großer Euphorie startet das Team am heutigen Freitag in die Vorbereitung auf die Rückserie. Aktuell führen die Emder die Tabelle der Oberliga Niedersachsen an und besitzen gute Chancen auf den direkten Wiederaufstieg. Danach sah es im Frühjahr 2023 nicht aus. Schon früh stand der sang- und klanglose Abstieg aus der 4. Liga fest. Die Kassen des Clubs waren leer, die wenigen Leistungsträger wollten nur noch weg. Kickers stand vor einem Scherbenhaufen.

Kapitän Bastian Dassel, Henning Rießelmann, Trainer Stefan Emmerling und Efkan Erdogan von Kickers Emden (v.l.).

Kapitän Bastian Dassel, Kickers-Macher Henning Rießelmann, Trainer Stefan Emmerling und Efkan Erdogan (v.l.).

Kickers besitzen eine neue Perspektive

Schlagartig geändert hat sich dies durch den Einstieg von Rießelmann und seiner in Hamburg beheimateten Agentur "Onside", die für zahlreiche Proficlubs Trainingslager und Testspiele organisiert. Zu den Vertragspartnern gehören unter anderem der FC Liverpool, Borussia Dortmund, Werder Bremen oder der HSV. Gegründet hat Rießelmann die Agentur 2017 gemeinsam mit Marc Kosicke, der unter anderem Jürgen Klopp berät. Kosicke wirbt mit seiner Stiftung "#HBUFC" nun auf dem Trikotärmel der Emder.

"Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich maximal ambitioniert bin."
— Kickers-Macher Henning Rießelmann

Aber was führt Männer aus der großen Fußballwelt in die ostfriesische Fußballdiaspora? Es ist gewissermaßen die Liebe zum Amateurfußball. Und Rießelmanns Vision, einen taumelnden Traditionsclub wieder zum Erfolg zu führen. Bis zum November 2022 trainierte der 41 Jahre alte Dinklager noch den Regionalligisten BW Lohne. In Emden will er einen Club jetzt nicht nur als Trainer oder Sportlicher Leiter voranbringen, sondern diesen ganzheitlich von der Pike auf entwickeln.

Schlagkräftiges Team für die "Mission Wiederaufstieg"

Mit dem Team von "Onside" hat Rießelmann den BSV in wenigen Monaten auf links gedreht. Das Ostfriesland-Stadion und die Trainingsbedingungen vor Ort wurden auf Vordermann gebracht. Ebenso konnten Sponsoren gewonnen werden, die für gewöhnlich nicht den Weg zu einem ostfriesischen Oberligisten finden. Vor allem ist es jedoch gelungen, in Rekordzeit ein schlagkräftiges Team für die "Mission Wiederaufstieg" zusammenzustellen.

Auch Steffens, der schon seit der Jugend für die Emder spielt, konnte er von einem Verbleib überzeugen. Der 29-Jährige hatte im Frühsommer eigentlich schon mit dem Kapitel Kickers abgeschlossen und kokettierte mit einem Wechsel zum SSV Jeddeloh II, ehe Rießelmann kam. "Ich war so gut wie weg. Henning hat mich mit seinen Ideen noch einmal richtig angezündet", berichtet Steffens, der aktuell mit zwölf Treffern die Torjägerliste der Oberliga anführt.

"ManCity Emden"? - "Ist keine Söldnertruppe"

Spieler wie Dennis Engel, Kai-Sotirios Kaissis und Pascal Steinwender, die allesamt auch schon Einsätze in der 3. Liga gesammelt haben und für die Oberliga eigentlich zu gut sind, konnten von einem Wechsel zum BSV überzeugt werden. Verpflichtungen, die klarmachten, dass Kickers als Favorit auf den Aufstieg in die Saison starten wird. Von "ManCity Emden" wurde im Nordwesten im Sommer 2023 gar gesprochen. Ein Titel, mit dem Rießelmann nichts anfangen kann.

"Wir haben eine Identifikation geschaffen und 17 Ostfriesen in der Mannschaft, die ich wieder nach Hause geholt habe."
— Henning Rießelmann

"Neben dem Sportlichen haben wir auch sehr auf den Charakter der Spieler geschaut. Das ist keine Söldnertruppe", betont der neue Kickers-Macher. "Wir haben eine Identifikation geschaffen und 17 Ostfriesen in der Mannschaft, die ich wieder nach Hause geholt habe."

Sportlich läuft es mittlerweile enorm gut. Seit neun Partien haben die von Ex-Bundesliga-Profi Stefan Emmerling trainierten Emder in der Liga nicht mehr verloren. Der Vorsprung auf den Tabellenzweiten, den TuS Bersenbrück, beträgt zwar nur einen Punkt, doch haben die Emder noch zwei Nachholspiele in der Hinterhand.

Probleme machten in den vergangenen Monaten allerdings die finanziellen Altlasten. Zur Voraussetzung für den Einstieg als strategischer Partner beim BSV hatte "Onside" gemacht, dass die erste Mannschaft aus dem eingetragenen Verein ausgegliedert wird. An der neuen GmbH will das Unternehmen dann 49 Prozent der Anteile übernehmen. Mehrfach musste dieser Plan allerdings verschoben werden, weil immer wieder neue Verbindlichkeiten aus der Vergangenheit auf den Tisch kamen. Ein klarer Schnitt war nicht möglich.

Schuldenberg von 300.000 Euro

Auf rund 300.000 Euro wurde der Schuldenberg zuletzt beziffert. Um diesen abzubauen, entstand Ende November die Initiative "Wir retten Kickers!". Wer Geld für den Club spendete, konnte in Form eines Adventskalenders bis Weihnachten an jedem Tag einen Preis gewinnen. Darunter eine Reise nach Griechenland, ein signiertes Trikot des FC Liverpool und diverse VIP-Tickets für Bundesliga-Clubs.

Weltmeister Podolski macht bei der Retter-Aktion mit

Auch Weltmeister Lukas Podolski trommelte für die Retter-Aktion und lud die Gewinner eines Tagespreises für ein Wochenende zu sich nach Polen ein. Zugleich fand am 6. Dezember im Ostfriesland-Stadion ein Weihnachtssingen statt, bei dem ebenfalls für den BSV gesammelt wurde.

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Auf insgesamt 150.000 Euro hatten die Initiatoren zu Beginn gehofft. Letztlicht kamen etwas mehr als 70.000 Euro zusammen. Dass es nicht mehr wurde, liegt wohl auch daran, dass Kickers in Ostfriesland seit jeher eben auch mit einer gewissen Skepsis beäugt wird. Dem Club eilt der Ruf voraus, einfach nicht mit Geld umgehen zu können. "Wir sind hier, um das zu ändern", sagt Rießelmann. "Wir werden das Schiff in einen sicheren Hafen steuern."

Fass ohne Boden oder Licht am Ende des Tunnels?

Im Dezember hatte jedoch noch ein Ausstieg von "Onside" aus dem Projekt bei Kickers im Raum gestanden. "Die Probleme waren größer als ursprünglich im Sommer gedacht. Wir mussten schauen, ob es ein Fass ohne Boden ist oder es noch Licht am Ende des Tunnels gibt", fasst Rießelmann die Lage zusammen. Einigungen mit den Gläubigern mussten her. Kurz vor dem Jahreswechsel war dann alles dingfest. "Mit viel Arbeit", so der Hoffnungsträger beim BSV, "haben wir dieses Licht nun vorerst erreicht."

"Wir haben fast noch gar nicht an der Zukunft gearbeitet, sondern nur an der Bewältigung der Vergangenheit."
— Henning Rießelmann

Der Blick an der Nordseeküste geht jetzt nach vorne. Die Ausgliederung soll nun Ende Februar abgeschlossen werden. Seit der Jahreshauptversammlung im vergangenen September ist bereits klar, dass der aktuelle Vorstand um Dr. Jörg Winter geschlossen abtreten und den Weg freimachen wird.

Auf dem Platz wiederum ist eindeutig der Aufstieg in die Regionalliga das Ziel. "Es funktioniert in der Mannschaft und macht enorm viel Spaß", sagt Steffens. "Wir spüren die Euphorie hier im Umfeld."

Bald wieder Derbys gegen Oldenburg und Meppen?

Die wäre noch einmal deutlich größer, wenn in der kommenden Saison in der Regionalliga Derbys gegen den VfB Oldenburg und den SV Meppen anstünden - und die Emder dann auch konkurrenzfähig sind. "Wir wollen eine schlagkräftige Truppe aufbauen und dann mit mutigem Fußball auch die Regionalliga aufmischen", macht Rießelmann aus den Ambitionen keinen Hehl.

Geträumt wird in Ostfriesland davon, dass Kickers zukünftig auch mal wieder im Profifußball auftauchen könnte. In der Saison 2008/09 spielten die Emder einst in der 3. Liga und schlugen Teams wie Dynamo Dresden, Eintracht Braunschweig, Fortuna Düsseldorf und Union Berlin, ehe in der strukturschwachen Region erst die finanziellen Mittel und dann die Lichter ausgingen.

Könnte Kickers es in den kommenden Jahren dank der neuen Möglichkeiten durch "Onside" wieder in die 3. Liga schaffen? "Wir üben uns erst einmal in Zurückhaltung. Aktuell liegt unser Fokus voll darauf, die Oberliga zu verlassen", so Rießelmann. "Aber jeder, der mich kennt, weiß, dass ich maximal ambitioniert bin."