Handball-Bundestrainer Alfred Gislason

NDR-Sport Handball-EM: DHB-Coach Gislason mit mehr Lockerheit zum großen Wurf?

Stand: 10.01.2024 09:08 Uhr

Früher sei er ein "ziemlicher Diktator" gewesen, so Handball-Bundestrainer Alfred Gislason. Bei der Heim-EM setzt der Isländer, der in der Bundesliga lange den THW Kiel trainierte, auf einen anderen Zugang zum Team.

Von Christian Görtzen

Hinsichtlich der Bewegungen hat sich kaum etwas verändert. Wenn Alfred Gislason in einer Handball-Arena am engen Seitenrand steht und eine Partie seiner Nationalmannschaft verfolgt, dann sieht es so aus wie damals, als er von 2008 bis 2019 den deutschen Rekordmeister reihenweise zum Gewinn von Trophäen coachte. Der 64-Jährige fühlt das Spiel mit jeder Faser, spürt es, lebt es.

Gislason mit vollem Einsatz am Seitenrand

Wird der Ball in der Offensive von seinen Jungs stets auf den letzten Moment genau durch die eigenen Reihen gepasst, immer knapp vorbei an den schon begierig danach greifenden Händen der gegnerischen Abwehrspieler, lehnt sich der Isländer gerne mit dem Oberkörper leicht nach hinten und verrenkt dabei derart seinen Hals, als stünde der ganze Körper unter einer gewaltigen Spannung. Es ist einfach die Art dieses Mannes von der Vulkaninsel aus dem Norden Europas.

Er kann auch als Mittsechziger nicht stillhalten, rudert noch immer mit den Armen, gestikuliert und legt sich auch schon mal mit den Schiedsrichtern an. Das wird sehr wahrscheinlich auch bei den EM-Spielen zu sehen sein.

Im Umgang mit seinen Spielern habe er sich dagegen schon sehr verändert im Laufe der vergangenen Jahre. Das hatte Gislason NDR Reporter Hendrik Deichmann gesagt, als die Sportschau den Isländer bei einem Trip in die Heimat begleiten durfte. Die dreiteilige Dokumentation über die deutschen Handballer ist in der ARD Mediathek zu sehen.

"Ich war ein ziemlicher Diktator."
— DHB-Coach Alfred Gislason

Gislason räumt offen ein, dass er früher als Clubtrainer Fehler gemacht habe. "Ich war ein ziemlicher Diktator. Ich ging zu weit mit meiner Kritik oder wie ich mit Leuten umgegangen bin", erklärt der 64-Jährige, dem aber auch wichtig ist: "Ich habe mir aber auch immer gesagt: Ich werde es nie so machen wie ein paar Trainer von mir, die auf eine Frage von mir geantwortet haben: 'Halt den Mund und mach, was ich sage.'" Er hat dieses Prinzip von seiner Mutter übernommen.

Gislason: "Ich bin oft viel zu weit gegangen"

Allerdings ist es auch nicht das erste Mal, dass Gislason in dieser Hinsicht Selbstreflexion betrieben hat - gewiss auch, um als Coach mit der Zeit zu gehen und nicht überholten Umgangsmethoden nachzuhängen. Das ließ er schon Ende 2012 in einem Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erkennen. Er habe das lernen müssen, gegenüber seinen Spielern in guten Zeiten nicht zu überschwänglich und in Schwächeperioden nicht zu streng zu sein, sagte er damals.

Und weiter: Wenn er in den Jahren davor, also vor Ende 2012, mit seinem Team verloren hatte, habe er sofort mit den Spielern abgerechnet. "Es waren Beleidigungsstunden. Die Sache habe ich mir komplett abgewöhnt, ich bin oft viel zu weit gegangen", so Gislason seinerzeit.

Vermutlich war es ein schleichender, zunächst unterschwelliger Prozess, bei dem der Anfangspunkt gar nicht so genau zu setzen ist. Dass sich der als knorrig und kantig verschrieene Isländer im Umgang mit den Spielern verändert hat, ist für Rune Dahmke vom THW Kiel zumindest keine Frage. Der 30 Jahre alte Linksaußen ist prädestiniert dafür, darüber ein Urteil zu fällen, hat er doch sieben Jahre lang unter Gislason trainiert.

THW-Profi Dahmke sieht Veränderung bei Gislason

"Ich finde, dass er in den letzten Jahren viel, viel lockerer geworden ist", so der gebürtige Kieler. "Und ich glaube, dass er als Bundestrainer noch mal einen anderen Fokus darauf legt, dass gute Stimmung ist. Es ist ja immer nur ein kurzer Abschnitt. Da ist es extrem wichtig, dass das Teamgefüge passt."

Laut Ex-Nationspieler Stefan Kretzschmar, einst selbst Spieler unter Gislason beim SC Magdeburg (1999 bis 2006), könne der Isländer "auf jeden Fall eine Mannschaft hinter sich und einer Idee vereinen". Er sei "ein sehr autoritärer Trainer, der in seinem Leben alles schon gesehen und jedes Spiel schon gespielt hat. Er hat ein unheimliches Handballfachwissen und einen großen Erfahrungsschatz", sagte Kretzschmar und ergänzte schmunzelnd: "Ein Experte des Smalltalks ist er nicht."

Gislason mit DHB-Team noch mit mäßigem Erfolg

Ein solcher wird Gislason sehr wahrscheinlich auch nicht mehr werden. Es ist schließlich auch immer die Frage, wie umfangreich man sich als Typ ändern könne oder dies wolle oder - dies überhaupt müsse. Manchmal reicht es ja schon, an einigen Stellschrauben zu drehen. Gislason setzt auf einen sanfteren Umgang mit den Spielern, um als Bundestrainer an seine zahlreichen Erfolg als Vereinstrainer anzuschließen.

Bislang stellt der fünfte Platz bei der WM 2023 das beste Abschneiden dar. Es ist also ordentlich Luft nach oben für den Perfektionisten und sein Team. Eine Medaille bei der Heim-EM wäre ein solcher Erfolg, Gold der große Traum.

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Sportclub | 14.01.2024 | 23:35 Uhr