HSV-Idol Uwe Seeler, Ehrenspielführer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und Hamburger Ehrenbürger

Für immer ein Vorbild Trauer um HSV-Legende Uwe Seeler

Stand: 21.07.2022 17:18 Uhr

Hamburg trägt Trauer - und verabschiedet sich von Uwe Seeler in tiefer Zuneigung, Dankbarkeit und Hochachtung für ein bewegtes und bewegendes Leben, das auf und neben dem Fußballplatz einzigartig war.

Von Andreas Bellinger

Der Ehrenbürger der Hansestadt, der in seiner sportlichen Laufbahn brillierte und auch danach Vorbild und Inspiration war, starb am 21. Juli im Alter von 85 Jahren. Als untadeliger Sportsmann und Mensch, der immer fair, bodenständig und bescheiden geblieben ist, wird "Uns Uwe" in Erinnerung bleiben. Nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Fußball-Welt, in der er für immer zu den ganz Großen gehören wird.

Der Treueschwur für Hamburg

"Hamburg wird immer eine schöne Stadt bleiben - auch ohne Uwe Seeler", hat er dem NDR vor seinem 85. Geburtstag in einem seiner letzten Interviews gesagt. Es schwang kaum Wehmut mit. Vielmehr war es wohl ein charmanter Fingerzeig, was ihn seiner "Scholle" stets treu bleiben ließ. Hier fühlte er sich wohl und geborgen, selbst als Inter Mailand mit einem im Jahr 1961 fast unmoralisch hohen Angebot von 1,2 Millionen Mark lockte.

"Wir waren schon so weit, dass wir eingeteilt haben, wer unser Haus so lange übernimmt und dass wir den Hund mitnehmen können", erinnerte sich Seelers Frau Ilka an lebhafte Diskussionen, an deren Ende die Familie geschlossen einem Batzen Geld widerstand.

Seelers Währung hieß Zufriedenheit

Es war die vielleicht prägendste Entscheidung in Uwe Seelers Leben. Ein Treueschwur für seinen Hamburger SV und den Job bei einem namhaften Sportartikelhersteller, der die Existenz der Familie sicherte. Aber zugleich auch ein für jedermann sichtbares Bekenntnis dazu, dass "es im Leben nichts Schöneres gibt, als normal zu sein", wie er es allzu gern ausdrückte.

Statt sich dem Dolce Vita hinzugeben, blieb das Fußball-Idol nahbar und bodenständig, zog es vor, zigtausend Kilometer durch die Lande zu fahren, um als selbstständiger Handelsvertreter Sportartikel, Zubehör und Trikotagen zu verkaufen. Uwe Seelers Währung hieß: Zufriedenheit mit dem, was er sich erarbeitet hat. Er wurde damit zum Vorbild - und ist es bis heute geblieben. "Ich habe nichts bereut. Ich glaube, das ist das Wichtigste." Typisch Seeler.

Vater Erwin lebte ihm Werte und den Fußball vor

Er meinte es so, Wort für Wort. Und es sagt viel aus über den Charakter einer unprätentiösen Persönlichkeit, die ihre Wurzeln in einer als behütet empfundenen Jugend im Deutschland der Nachkriegszeit hatte und die alles andere als leicht und sorgenfrei war. Als jüngstes der drei Seeler-Kinder wuchs er in ziemlich bescheidenen Verhältnissen auf.

Doch er und seine Geschwister seien "zu absoluter Korrektheit und Ehrlichkeit“ erzogen worden. Werte, die sein Fußball-Leben prägen sollten - wie auch das Vorbild seines Vaters. Erwin Seeler verdiente als Hafenarbeiter sein Geld und zählte von den 1920er- bis in die 1940er-Jahre zu den populärsten Fußballern der Hansestadt.

Bescheiden, freundlich - und manchmal spitzbübisch

Seines Talents war sich Uwe Seeler bewusst, auch wenn er sein Licht selbst im reifen Alter noch unter den Scheffel stellte. "Sehr früh in der Jugend habe ich gemerkt, dass ich sehr antrittsschnell war und kopfballstark, weil ich selbst als Kleinerer immer die Kopfbälle gekriegt habe. Und irgendwann merkt man schließlich, dass man ganz gut dabei ist."

Ganz gut? Understatement nennt man heute, was die Menschen schon vor mehr als einem halben Jahrhundert zu schätzen wussten. Ebenso wie Seelers Freundlichkeit. Er blieb beinahe jedem Gegenüber zugewandt, geduldig, war weder abgehoben noch eingebildet, bisweilen gab er sich sogar spitzbübisch - selbst im hohen Alter noch.

Ehe mit Ilka ohne Skandale

"Er lässt die Menschen auf sich zukommen. Sie strahlen, wenn sie ihn sehen und schnacken mit ihm, und er lässt das alles mit sich machen", erzählte Ilka Seeler nach einem langen gemeinsamen Lebensweg noch immer voller Rührung. "Mäuschen" nannte sie ihn in den späten Jahren, mitunter auch noch wie früher "Dicker". Am 18. Februar 1959 heirateten sie in der Kirche St. Johannis in Hamburg-Eppendorf. Drei Töchter und sieben Enkel - darunter Levin Öztunali, der die Fußball-Tradition fortsetzt - komplettierten das Glück einer Ehe, die keine Skandale kannte. Uwe Seeler drückte das in seiner ihm eigenen Art aus: "Ich bin zufrieden, dass ich die richtige Wahl getroffen habe."

Ein Denkmal in den Herzen der Hamburger

Die Liste der Verdienste der Hamburger Fußball-Legende ist lang: Vizeweltmeister, 43 Tore in 72 Länderspielen, deutscher Meister, Pokalsieger, erster Torschützenkönig der Bundesliga, erster "Fußballer des Jahres", Träger des Silbernen Lorbeerblattes und des Großen Bundesverdienstkreuzes.

Uwe Seeler vor der Skulptur seines in Bronze gegossenen Fußes

Uwe Seeler vor der Skulptur seines in Bronze gegossenen Fußes.

Ein Denkmal haben die Hamburger "Uns Uwe" schon vor Jahren in ihren Herzen errichtet. Ehrenkommissar, Ehrenkapitän des Hamburger Hafens und der "Rickmer Rickmers", Ehrenschleusenwärter - die Aufzählung aller Ehrenbezeugungen würde den Rahmen sprengen. Ein fünf Meter hoher bronzener Fuß von "Uns Uwe" steht seit 2005 im Volkspark. Und irgendwann vielleicht eine lebensgroße Statue auf dem Rathausmarkt? Das jedenfalls würde sich Olli "Dittsche" Dittrich für seinen Freund wünschen, an den man sich "bestimmt noch in hundert Jahren erinnern wird".

Max Lorenz: "Als ob er Sprungfedern in den Schuhen hatte"

Unvergessen sind so viele Momente der großen Karriere von Uwe Seeler, der unaufhörlich ackerte und nichts mehr hasste als zu verlieren. Mit der "gesammelten Energie einer Kanonenkugel", so die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) warf er sich den größeren Verteidigern entgegen. Obwohl der Mittelstürmer nur 1,70 m groß war, gab es in Europa seinerzeit kaum einen besseren Kopfballspieler. "Uwe ist hochgestiegen, als ob er Sprungfedern in den Schuhen hatte", so sein Freund und einstiger Gegenspieler von Werder Bremen, Max Lorenz.

Franz Beckenbauer: "Uwe war kein Bequemer auf dem Spielfeld"

Aber einfach war es mit dem "Dicken" nicht immer. Auch der nach Fritz Walter zweite Ehrenspielführer der Nationalmannschaft hatte seine Macken und Fehler. Unentwegt habe er auf seine Mannschaftskameraden und den Schiedsrichter eingeredet, ist von Weggefährten überliefert. Und dass er recht ungemütlich werden konnte, wenn sich das Spiel nicht so entwickelte wie erhofft. "Der Uwe war kein Bequemer auf dem Spielfeld", so Franz Beckenbauer.

Niederlage von Wembley: "Der Ball war nicht hinter der Linie"

Bei allem Einsatz und Ehrgeiz blieb Uwe Seeler auch in der Niederlage ein fairer Sportsmann. Ein Beispiel dafür war das legendäre Wembley-Tor, das sich selbst bei denen im Gedächtnis festgesetzt hat, die 1966 noch gar nicht geboren waren. Wie er und seine Mitspieler die Entscheidung zum zweifelhaften 2:3 ertrugen, die England den Weg zum WM-Triumph (4:2 n.V.) ebnete, offenbarte Größe.

"Wir sind kurz hingelaufen, aber die Königin war im Stadion, und da wollte auch keiner meckern und groß Theater machen", erzählte Seeler - nur um in aller Entschiedenheit hinzuzufügen: "Der Ball war nicht hinter der Linie, das wird jeder sagen. Selbst die Engländer hatten ja kein sauberes Gewissen."

Hinterkopf-Tor bei der WM in Mexiko: Ein Kunststück für die Ewigkeit

Nach dem Tiefschlag von Wembley wusste Seeler noch nicht, dass damit seine Trophäensammlung unvollendet bleiben sollte. Denn vier Jahre später in Mexiko klappte es abermals nicht mit dem WM-Titel. Dabei erwiesen sich Seeler und sein Freund Gerd Müller allen Unkenrufen zum Trotz als perfekte Doppel-Spitze, die glänzend harmonierte und Tore produzierte. Und was für welche! Wie er im Viertelfinale gegen England den Ball per Hinterkopf ins Tor bugsierte, wird ein ewiger Hingucker bleiben.

Seeler als HSV-Präsident - ein Irrtum

Wie es sich anfühlt, wenn Grenzen überschritten werden, bekam Seeler erst viele Jahre nach seinem Karriereende zu spüren. Sein HSV stürzte Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre von einer Krise in die nächste. Im Lichte von "Uns Uwe" hoffte der Club offenbar auf ein erfolgreiches Comeback. Und der? Fühlte sich umworben und gewiss auch gebauchpinselt, ließ sich beschwatzen und wurde am 5. Oktober 1995 mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt. Ein schwerer Fehler, wie er nach und nach erkennen musste. Genervt bis angewidert von den Skandalen einiger Mitstreiter trat er 1998 zurück, wollte später auch nicht Ehrenpräsident werden.

Autounfall und Stürze - das Leben wurde immer beschwerlicher

Es ist fast müßig zu erwähnen, dass ihm dieses beiderseitige Missverständnis in der öffentlichen Wahrnehmung nicht geschadet hat. So wie ihm die vielen Kopfbälle und Verletzungen in seiner Karriere offenbar nichts anhaben konnten. Wohl aber der unverschuldete Autounfall 2010, von dem er jahrelange Rückenschmerzen und ein taubes Ohr zurückbehielt. Oder die Stürze im fortgeschrittenen Alter, bei denen er sich die Hüfte brach (2020) und Schnitte und Platzwunden erlitt (2021). Mit eisernem Willen kämpfte er sich zurück ins Leben, das mit jedem Tag beschwerlicher wurde. Nun trägt Hamburg Trauer - und wird Uwe Seeler nicht vergessen.

Re-live: Uwe Seelers Abschiedsspiel 1972

Dieses Thema im Programm:
Hamburg Journal | 21.07.2022 | 19:30 Uhr