Sandra Abstreiter abseits des Eises

BR24 Sport Sandra Abstreiter: Von Freising in die beste Liga der Welt

Stand: 11.10.2023 15:26 Uhr

Nach dem Vorbild der NHL wird das Fraueneishockey in Nordamerika revolutioniert. Eine neue Liga verspricht professionelle Bedingungen und viel Aufmerksamkeit. Mittendrin: Sandra Abstreiter. Die Torfrau möchte beweisen, dass sie zur Weltspitze gehört.

Von Achim Hofbauer

Der Name Abstreiter steht im deutschen Eishockey für Qualität. Doch aktuell sind es nicht Tobias oder Peter, die für die großen Schlagzeilen sorgen, sondern die 25-jährige Sandra Abstreiter aus Freising. Mit den beiden anderen teilt sie keine Familiengeschichte, dafür eine Leidenschaft: Eishockey. Die deutsche Nationaltorhüterin spielt derzeit bei Meister Memmingen, aber nicht mehr lange. Denn nach dem Deutschland-Cup im November geht's für sie in die neu gegründete beste Liga der Welt ins kanadische Ottawa – als erste Deutsche überhaupt.

Unheimlich schnell, unheimlich groß: Abstreiter ist im Tor eine Macht

Der Grund, warum man in Nordamerika auf Abstreiter aufmerksam wurde, liegt auf der Hand. Die Freisingerin ist derzeit eine der weltweit besten Torhüterinnen – mit ihren 1,81 ungewöhnlich groß und auch sonst eine Ausnahmeerscheinung zwischen den Pfosten, schwärmt Nationalmannschaftskollegin Jule Schiefer: "Wenn wir aufs Tor fahren, ist es schon unglaublich schwierig, was zu treffen, weil wahnsinnig wenig offen ist. Wenn trotzdem eine Lücke ist, fällt oft trotzdem kein Tor, weil Sandra unheimlich schnell dran ist."

Dass Sandra Abstreiter überhaupt im Tor steht, hat sie ihrem Bruder, einem ehemaligen Oberligaspieler, zu verdanken. Der stellte sie zum Training einfach vor das heimische Garagentor – und sie zeigte beim Fangen so viel Talent, dass ein Funktionär der Erding Jets auf sie aufmerksam wurde. Im Eishockeytraining war sie schon als kleines Kind, das Schlittschuhfahren hat sie beim ehemaligen Landshuter Profi Franz Steer gelernt.

Viona Harrer: Eine Legende als Mentorin und Vorbild

Kurze Zeit später durfte die ehemalige Feldspielerin auch im Verein ins Tor – auch weil da gerade Leute fehlten. Sandra machte ihre Sache im Jugendbereich so gut, dass bald der nächste Schritt folgte: Wo andere in große Fußstapfen treten, verschwand Sandra dort gleich mal in der Ausrüstung einer deutschen Frauen-Legende: "Viona Harrer hat damals in Erding gespielt. Von ihr habe ich ganz viele alte Ausrüstungsteile bekommen. Sie hat am Anfang auch oft Torwarttraining mit mir gemacht. Das hat definitiv auch sehr geholfen", erzählt Abstreiter dem Bayerischen Rundfunk.

Viona Harrer – Freundin, Mentorin und Vorbild. Wo sie war, Olympia, Weltmeisterschaften, da wollte auch Sandra Abstreiter hin – um im Eishockey weiter zu kommen, verzichtete sie nach dem Abitur sogar auf die Abschlussfahrt, ging lieber in die USA in ein Eishockey Camp und blieb hängen. Der Durchbruch gelang ihr da allerdings noch nicht. Dafür mussten Spitzenleistungen auf der ganz großen Bühne Anfang dieses Jahres her. Bei der Weltmeisterschaft wuchs Abstreiter über sich hinaus und die damals beste Liga der Welt in Nordamerika wurde aufmerksam.

Liga verkauft: Abstreiters Traum drohte zu platzen

Erst gab es für die 25-jährige aus Freising einen Profivertrag – und dann die kalte Dusche: "Ich hatte den Vertrag in der PHF erst einen Monat. Als ich aus dem Urlaub gekommen bin und wir gelandet sind, habe ich auf Instagram gelesen: Die Liga ist aufgekauft!" Abstreiter war geschockt, blickte in eine ungewisse Zukunft. Der Traum drohte zu platzen: "Keiner wusste was, Manager, Trainer, keiner. Die Liga ist aufgekauft."

Alle Verträge wurden gekündigt, neue mussten aufgesetzt werden. Da plötzlich wieder Topspielerinnen mitspielen wollten, die sich von der PHF abgenabelt hatten, musste neue verhandelt werden. Spielerinnen, die bislang in der PHF spielten, standen von heute auf morgen ohne Job da. Auch Sandra Abstreiter.

Aufbruch nach Vorbild der NHL

Grund dafür war die Übernahme durch den US-Milliardär und Sportmogul Mark Walter. Er ist Mitbesitzer des FC Chelsea und der Los Angeles Dodgers. Die alte Liga behalten und eine neue zu gründen, hätte für ihn keinen Sinn ergeben. Er bastelt sich lieber eine komplett neue.

Für die hat er interessante Visionen: Die neue Liga soll symbolisch für einen Neuaufbruch stehen, für etwas Großes: Die sechs Standorte sind dieselben wie die der ersten NHL-Clubs der Männer: Boston, New York, Minnesota, Montreal, Toronto und Ottawa. Orte, die vor Eishockeytradition nur so triefen und eine große Fanbase haben. Walter will nichts weniger als die beste Eishockeyfrauenliga der Welt.

Tarifvertrag, feste Gehälter, Mutterschutz – Profibedingungen in der PWHL

Und so kam Abstreiter erstmal in Memmingen unter, musste sich neu beweisen, um dabei zu sein, wenn in Nordamerika Eishockey-Geschichte geschrieben werden soll. Bei einem Draft durften sich Teams in einem Auswahlverfahren ihre Lieblingsspielerinnen zusammensuchen. Zu Hause zitterte sie vor dem Stream mit – am Ende wird Abstreiter als 68. gewählt und landet bei Ottawa – als erste Deutsche in der neuen besten Liga der Welt. Die PWHL ist anderen weit voraus ist, findet Sandra Abstreiter. Es gibt medizinische Betreuung, feste Reisestandards, Tagesgeld, Mutterschutz und vor allem: "Tarifvertrag, feste Gehälter, natürlich noch nicht so wie bei den Männern, aber es ist ein wichtiger Schritt", so Abstreiter.

Vorbild für Europa

Das Mindestgehalt liegt angeblich bei 35.000 Dollar pro Saison, 80.000 und mehr verdienen die Topspielerinnen. Sandra Abstreiter hat als eine der weltbesten Torfrauen das Zeug zum Star und erwartet sich von der neuen Liga viel Strahlkraft. Für andere Ligen und auch vor allem für junge Spielerinnen, die häufig nach dem Jugendbereich nicht weiter machen können: "Es ist etwas Besonderes als erste Deutsche drinzustehen, aber dass auch das europäische Eishockey in den Fokus geraten und mitgenommen wird ist, freut mich. Auch dass den Leuten gezeigt wird, dass es auch nach dem College weitergehen kann. Wir haben mittlerweile auch viele Deutsche an Colleges. Nun sieht man, dass man danach professionell weiter machen kann und sich nicht unbedingt einen 40 Stunden Job suchen muss, und danach dann noch irgendwie versucht was in der Eishalle zu machen, das finde ich schon cool", sagte Abstreiter.

Den Deutschland Cup in Landshut Anfang November will Abstreiter noch spielen, zuvor steht sie für Memmingen in der Bundesliga zwischen den Pfosten. Danach geht’s für Sandra Abstreiter dann nach Kanada zur Vorbereitung auf die erste PWHL-Saison, die im Januar startet. Sie hofft, dass es durch die neue Liga auch ein Umdenken in Europa gibt, wo das Fraueneishockey auch in Sachen Ausbildung und Infrastruktur dem Männereishockey ab dem Jugendbereich oft deutlich hinterherhinkt.

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Quelle: BR24Sport 11.10.2023 - 18:30 Uhr