Jai Hindley besteigt im Gelben Trikot das Podium
Tourreporter

Etappensieg und Gelbes Trikot Jai Hindley nutzt die Gunst der Stunde bei der Tour de France

Stand: 05.07.2023 22:51 Uhr

Jai Hindley übernimmt mit seinem Sieg auf der ersten Pyrenäenetappe das Gelbe Trikot bei der Tour de France. Für das deutsche World-Tour-Team Bora-hansgrohe ist das bei der zehnten Teilnahme ein bedeutender Erfolg.

Von Michael Ostermann, Laruns

Als Jai Hindley alles hinter sich hatte, den Doppelauftritt auf dem Podium als Etappensieger und als neuer Träger des Gelben Trikots, die Dopingkontrolle und die Pressekonferenz, da war auch Ralph Denk endlich im Ziel der 5. Etappe der Tour de France in Laruns angekommen.

Der Chef des Teams Bora-hansgrohe hatte seinem Kapitän ja selbst noch eine Flasche angereicht kurz vor dem Gipfel des Col de Marie-Blanque, dem letzten Anstieg des Tages. Da war Hindley schon als Solist unterwegs in Richtung Ziel.

Denk stand anschließend im Stau auf dem Weg hinunter nach Laruns. Nun aber nahm er den australischen Radprofi in den Arm und gratulierte. "Thank you", sagte Hindley. Und genau das hätte in diesem Moment auch sein Gegenüber sagen können.

Teamchef Denk hat Tränen in den Augen

Denk ist mit seinem Team zum zehnten Mal bei der Tour de France dabei. 2014 war die Equipe noch auf Einladung des Veranstalters ASO mit einer Wildcard am Start. Inzwischen gehört das deutsche Team längst zum Establishment in der World Tour mit automatischer Startberechtigung bei allen großen Radrennen - und natürlich auch dem größten und wichtigsten, der Tour.

Als Teamchef hat Denk Etappensiege seiner Fahrer gefeiert, auch das Gelbe Trikot war schon mal im Besitz der Mannschaft: 2018 hatte Peter Sagan das Maillot Jaune mit dem Schriftzug Bora-hansgrohe einen Tag lang getragen. Aber dieser Tag in Laruns könnte Denk seinem Ziel, einen Fahrer auf dem Podium in Paris zu platzieren, einen großen Schritt näher gebracht haben. Und auch deswegen hatte er wohl ein paar Tränen in den Augen.

Für Hindley "ändert sich nichts"

Jai Hindley, 28, hat im vergangenen Jahr schon den Giro d'Italia gewonnen und galt im Vorfeld dieser Tour als einer der Kandidaten für den dritten Platz auf dem Podium hinter den beiden Topfavoriten, Vorjahressieger Jonas Vingegaard und den Gewinner von 2020 und 2021, Tadej Pogacar. Doch nun trägt Hindley eben das Gelbe Trikot mit 47 Sekunden Vorsprung auf Vingegaard.

"Podium heißt eins, zwei, drei - da stehen drei oben", sagt der sportliche Leiter des Teams, Rolf Aldag. Hindley selbst will sich vorerst nicht unter Druck setzen lassen von der Last der Gesamtführung, mit der er - wie er sagte - ja gar nicht gerechnet habe, als er morgens aus dem Bett gerollt sei. "Für mich ändert sich nichts", erklärte Hindley. "Ich will nicht zu viele Erwartungen an mich selbst stellen, in bin hierhergekommen, um wettbewerbsfähig zu sein."

Dass er das ist, stellte er auf der ersten richtigen Bergetappe in den Pyrenäen eindrucksvoll unter Beweis. An einem Tag, an dem Hindley und sein Team die Gunst der Gelegenheit nutzten, die sich ihnen unverhofft bot. In der hektischen Anfangsphase des Rennens fanden sie sich plötzlich mit drei Fahrern in einer großen Ausreißerguppe wieder - neben Hindley noch der Österreicher Patrick Konrad und der deutsche Meister Emanuel Buchmann. "Das war überhaupt nicht der Plan", staunte Buchmann später im Ziel. "Und plötzlich haben wir einen Etappensieg und das Gelbe Trikot. Das ist verrückt."

Sportschau Tourfunk, 05.07.2023 20:11 Uhr

Vingegaards Team lässt Hindley gewähren

Konrad und er hatten einen großen Anteil daran, dass Hindley seinen Coup landen konnte. Immer, wenn das Tempo in der Gruppe vor dem ersten schweren Anstieg des Tages, dem Col de Soudet, langsamer zu werden drohte, übernahm Konrad die Arbeit an der Spitze. Später leistete Buchmann wichtige Arbeit für seinen Kapitän am Col de Marie-Blanque bis zu dessen Antritt zur Solofahrt in Richtung Etappensieg. Er selbst rückte dadurch im Gesamtklassement auf den vierten Rang vor.

Hindley und Bora-hansgrohe profitierten dabei auch davon, dass Vingegaards Team Jumbo-Visma ebenfalls mit zwei Fahrern vorne vertreten war und die Übernahme des Gelben Trikots durch Hindley in Kauf nahm. "Natürlich ist das ein schmaler Grat", sagte der sportliche Leiter der niederländischen Equipe, Grischa Niermann. "Und natürlich ist Hindley einer unserer Konkurrenten."

Pogacar kann nicht mithalten

Doch bei Jumbo-Visma entschieden sie sich erstmal, den Hauptrivalen Tadej Pogacar herauszufordern. Die Rennkonstellation sorgte dafür, dass dessen UAE-Mannschaft den ganzen Tag an der Spitze des Feldes fahren musste. Am Col de Marie-Blanque hatte Pogacar seine Helfer dadurch schon verschlissen. Und als Vingegaard dort schließlich attackierte, hatte der Slowene nichts mehr entgegenzusetzen.

Pogacar war in Laruns sichtlich konsterniert, was auch damit zu tun hatte, dass seine Freundin Urska Zigart beim Giro d'Italia Donne gestürzt und mit Verdacht auf Gehirnerschütterung ins Krankenhaus gebracht werden musste. "Das ist schlimmer als ein paar Sekunden auf Jonas zu verlieren", sagte Pogacar. Genau genommen war es etwas mehr als eine Minute, die Pogacar nach dem Dänen im Ziel ankam. In der Gesamtwertung beträgt sein Rückstand jetzt 53 Sekunden.

Das ist noch nicht entscheidend viel. Doch die sechs Wochen Pause nach seinem Kahnbeinbruch im linken Handgelenk waren wohl doch auch für den Überflieger des Frühjahrs zu viel. Und die Jagd nach Bonussekunden zum Tourauftakt im Baskenland hatte wohl auch damit zu tun, dass Pogacar noch nicht im Vollbesitz seiner Kräfte ist. "Jonas war von Anfang an der Favorit", sagte UAE-Teamchef Mauro Gianetti in Laruns. "Und Tadej muss seine Form noch verbessern."

Hindleys Team jetzt in der Verantwortung

Die Verantwortung für das Rennen liegt nun aber erstmal bei Bora-hansgrohe mit dem Mann im Gelben Trikot in seinen Reihen. Und das vor einem weiteren Tag in den Pyrenäen mit dem Tourmalet und der Bergankunft in Cauterets. "Wir haben nicht die Mannschaft, um alles von vorne zu fahren und das Rennen zu kontrollieren", weiß Rolf Aldag. "Aber wir werden alles tun, um Gelb zu verteidigen."

Am Donnerstag wird sich auch entscheiden, wie viel Kraft Hindley und das Team die Fahrt ins Maillot Jaune gekostet hat. "Das war ein riskanter Move von Jai", sagte der gerührte Ralph Denk. "Aber wer nichts riskiert, kann auch nichts gewinnen."