Katarzyna Niewiadoma
Tourreporter

Deutsches Team bei der Frauen-Tour Unabhängig in die Offensive

Stand: 27.07.2022 09:42 Uhr

Das deutsche Team Canyon/SRAM will bei der Tour de France Femmes mit einer offensiven Fahrweise überzeugen. Für das Gesamtklassement setzt man auf die Polin Katarzyna Niewiadoma.

Von Michael Ostermann, Troyes

Morgens, wenn die 24 Teams der Tour de France Femmes anrollen, werden die Unterschiede schon sichtbar. Manche kommen mit kleineren Campern, in denen sich die Fahrerinnen parat machen müssen. Andere Teams rollen in großen Bussen vor, von denen manche nun schon in der vierten Woche durch Frankreich fahren, weil sie auch von den Männern genutzt wurden.

Ohne Männerteam im Rücken

Von den 24 Teams bei der Tour de France der Frauen gehören 14 der Women's World Tour an, der höchsten Klasse im Frauenradsport. Von diesen sind acht an Mannschaften angeschlossen, die auch ein Männerteam unterhalten. Namen wie Jumbo-Visma, Trek-Segafredo, DSM oder Arkea sind geläufig.

"Aber wenn man genau hinschaut, sind es eigentlich nur vier oder fünf Mannschaften, die wirklich mit dem Männerteam auch in der Infrastruktur zu tun haben", sagt Ronny Lauke. "Andere Teams haben eine komplett andere Betreibergesellschaft, haben zwar denselben Sponsor, aber keinen Wissenstransfer und gar nichts." Dazu gehören etwa die Teams FDJ-SUEZ-Futuroscope oder UAE Team ADQ.

Lauke leitet das deutsche Women's-World-Tour-Team Canyon/SRAM Racing. Die Équipe ist 2016 aus den Überresten des 2002 gegründeten T-Mobile-Frauenteams enstanden, das im Laufe der Jahre auch noch unter anderem Namen firmierte. Lauke, der dort als sportlicher Leiter gearbeitet hatte, gründete das Team damals neu und geht seitdem einen unabhängigen Weg - ohne ein etabliertes Männerteam im Rücken.

Mannschaftsbus oder Trainer?

"Ich sehe da eigentlich keinen großen Nachteil. Der einzige Punkt ist, dass die vier, fünf Manschaften, die wirklich mit den Männerteams zu tun haben, teilweise die Fahrzeuge aus dem Männerpool nutzen können, oder eben den Bus", sagt Lauke. Ansonsten käme es immer auf die finanzielle Unterstützung der Sponsoren an.

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Rund vier Millionen Euro beträgt das Budget der Top-Frauenteams. Sein Team rangiere im mittleren Bereich, sagt Lauke. Die Fortschritte des Frauenradsports in den vergangenen Jahren sind auch zu einer finanziellen Herausforderung geworden. Der Einsatz des Geldes sei eine Frage der Prioritäten, findet Lauke: "Denken wir, dass ein Reisebus wichtig ist, um schnell Rad zu fahren, oder versucht man lieber, zwei oder drei Trainer im Team zu haben, die sich um die Belange der Fahrerinnen kümmern?"

Katarzyna Niewiadoma für die Gesamtwertung

Für Lauke liegt die Antwort auf der Hand. Und erfolgreich ist das Team damit auch. Nach drei Etappen führt Canyon/SRAM die Mannschaftswertung der Tour de France Femmes an. Doch vor allem hat Katarzyna "Kasia" Niewiadoma, die Kapitänin des Teams, im Gesamtklassement bereits ein wenig Vorsprung herausgefahren.

Die Polin fährt seit sechs Jahren für Laukes Team und gehört bei der Tour zu den Mitfavoritinnen. Aber an den langen Anstiegen ist sie gegenüber Fahrerinnen wie Annemiek van Vleuten aus den Niederlanden, der Italienerin Elisa Longo Borghini oder der Südafrikanerin Ashleigh Moolman-Pasio im Nachteil.

Deshalb versuchte Niewiadoma sich auf den Etappen zwei und drei, mit kleineren giftigen Anstiegen zum Ziel in Szene zu setzen. Für den angestrebten Etappensieg reichte es zwar beide Male nicht, aber zumindest auf der 2. Etappe konnte die Polin ein paar Sekunden herausfahren. "Es ist immer schön, Zeit auf die Gegnerinnen zu gewinnen. Aber darauf fokussiere ich mich nicht", sagt Niewiadoma. "Ich versuche einfach, mit meinen Teamkolleginnen das beste Rennen zu fahren."

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Über die weißen Straßen der Champagne

Die sportliche Leitung hat das Team für die Tour de France Femmes so zusammengestellt, dass Niewiadoma die bestmögliche Unterstützung bekommt und mit einer offensiven Fahrweise die entsprechenden Ergebnisse erzielen soll. "Wir wollten eine Mannschaft schicken, die in den Tagesabschnitten, an denen es mehr hoch- und runtergeht, eine dominante Rolle spielen kann", sagt Lauke.

Dazu zählt neben den beiden Bergetappen am Wochenende auch die 4. Etappe von Troyes nach Bar-sur-Aube, bei der nicht nur vier kategorisierte Anstiege anstehen, sondern es auch über vier insgesamt 12,9 Kilometer lange Schotter-Abschnitte geht, den sogenannten weißen Straßen der Champagne.

In Troyes wird das Team Canyon/SRAM dann wieder mit seinem Camper anrollen und neben den großen Bussen der anderen Teams parken. Teamchef Ronny Lauke ahnt, dass auch er demnächst darüber nachdenken muss, einen Bus anzuschaffen, um seine Equipe attraktiv zu machen: "Weil das auch auf die Fahrerinnen wirkt: Was ist eine große und was ist eine mittelmäßige Mannschaft? Und da liegt es dann an mir, meine Hausaufgaben zu machen und unsere Partner zu überzeugen, dass das notwendig wird." Erfolge bei der Tour de France Femmes wären da sicher hilfreich.