Lennard Kämna im Ziel der 10. Etappe
Tourreporter

11 Sekunden fehlen Kämna verpasst Gelb - zu spät umgeschaltet

Stand: 12.07.2022 21:22 Uhr

Lennard Kämna fehlen auf der 10. Etappe der Tour de France elf Sekunden für das Gelbe Trikot. Er selbst erkennt die Chance zu spät und Pogacars Rivalen spielen auch nicht mit.

Von Michael Ostermann, Megève

Jeder Radprofi, der einmal das Gelbe Trikot der Tour de France überstreifen darf, spricht danach ehrfurchtsvoll davon, dass ein Traum in Erfüllung gegangen sei. Sobald man das Maillot Jaune trägt - und sei es nur für einen Tag - wird man zu einem Teil der nun schon 119 Jahre langen Geschichte des wichtigsten Radrennens der Welt.

Kämna ist kein Träumer

Lennard Kämna ist kein Träumer, er pflegt einen gesunden norddeutschen Pragmatismus. Elf Sekunden fehlten dem Bremer im Ziel der 10. Etappe auf dem Flugfeld oberhalb von Megève auf Gelb, aber Kämna wollte sich davon nicht aus der Fassung bringen lassen. "Das ist jetzt nicht so eine Riesenentäuschung, weil ich nicht riesig am Träumen war", erklärte er, nachdem er die sieben Kilometer hinab in den Wintersportort gerollt war.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Kämna also schon ein wenig Zeit gehabt, den Tag zu verarbeiten, der ihm völlig unerwartet die Chance auf das begehrte Leadertrikot der Tour de France beschert hatte. Als das Peloton am Morgen von Morzine auf die 148,1 Kilometer lange Strecke gegangen war, betrug sein Rückstand auf den Gesamtführenden Tadej Pogacar 8'43 Minuten.

Sportschau Tourfunk, 12.07.2022 19:25 Uhr

Kämna gehörte zu den Favoriten auf den Tagessieg. Bei der Dauphiné-Rundfahrt 2020 hatte er schon einmal eine Etappe in Megève gewonnen. Das Profil des Tages schien wie auf ihn zugeschnitten. Und so probierte Kämna wie so viele andere von Beginn an in die entscheidende Ausreißergruppe zu kommen. Ein enormer Kraftakt.

Den Etappensieg im Sinn

"Das Gespringe hier bei der Tour ist brutal", berichtete Kämna. "Es hat so viel Energie gekostet um da rein zu kommen, ich habe mich richtig beschissen gefühlt." Über eine Stunde dauerte es, bis sich endlich eine große Gruppe gebildet hatte, mit der dann auch alle zufrieden waren.

Und schnell war, klar dass auch die UAE-Mannschaft von Tadej Pogacar kein großes Interesse daran hatte, die Ausreißer an der kurzen Leine zu halten. Der Abstand wuchs auf über neun Minuten und Kämna, der im Gesamtklassement bestplatzierte Fahrer unter den Flüchtigen, fuhr dann als es in den 19,4 Kilometer langen letzten Anstieg des Tages ging virtuell im Gelben Trikot.

10. Etappe - die Zusammenfassung

Sportschau, 12.07.2022 14:00 Uhr

"Ich habe das im Berg gar nicht so realisiert, dass ich eine so große Chance auf das Gelbe Trikot hatte", gestand Kämna später, der noch lange nur den Etappensieg im Sinn hatte und sich hinterher darüber ärgerte, dass alle gegen ihn gefahren seien. "Das hat mir so ein bisschen den Zahn gezogen."

UAE hätte Gelb gerne abgegeben

Auch die Information aus dem Teamfahrzeug, dass das Gelbe Trikot in Reichweite war, drangen lange nicht zu Kämna durch. "Da war er im Tunnel", vermutete Teammanager Ralph Denk nicht ganz zu unrecht. "Du kriegst natürlich permanent was ins Ohr, aber es ist so laut und ich war voll am Limit. Da gehen halt auch mal Sachen unter", sagte Kämna. "Wenn du komplett im Laktat stehst, dann bist du nicht ganz klar im Kopf."

Und so schaltete Kämna letztlich zu spät um von Tagessieg auf Gesamtführung. "Ich hätte vielleicht vier, fünf, sechs Kilometer vor dem Ziel anfangen müssen heute ins Gelbe zu fahren und da den Switch zu machen. Die elf Sekunden hätte ich sicher irgendwo holen können."

10. Etappe - die letzten 3 Kilometer

Sportschau, 12.07.2022 14:00 Uhr

Zumal das UAE-Team ihm das Gelbe Trikot sogar ganz gerne überlassen hätte - zumindest leihweise. "Das wäre gut für uns gewesen", sagte Mauro Gianetti, der Teamchef von Pogacars Mannschaft, ganz offen. "Wir sind zum Schluss ja auch gar nicht mehr von vorne gefahren, aber die anderen Mannschaften haben Tempo gemacht."

Pogacars Team von Corona geschwächt

Kämna im Gelben Trikot hätte das UAE-Team von der Last befreit, dass Rennen auf der extrem schweren 11. Etappe mit Ziel auf dem 2.413 Meter hohen Col du Granon zu kontrollieren. Diese Aufgabe wäre dann der Bora-hansgrohe-Mannschaft zugefallen. Doch genau das wollten wiederum die Teams von Jumbo-Visma und Ineos-Grenadiers unbedingt verhindern, um Pogacars Team nicht aus der Verantwortung zu lassen.

Die UAE-Mannschaft gilt als die Schwachstelle in Pogacars Anlauf auf den dritten Toursieg in Folge. Und das Corona-Virus schwächt das Team noch zusätzlich. Nach dem Norweger Vegard Stake Laengen wurde am Dienstag auch der Neuseeländer George Bennett, einer von Pogacars wichtigsten Berghelfern, wegen eines positiven Corona-Test aus dem Rennen genommen.

Majka darf positiv weiterfahren

Der Pole Rafael Majka, der vielleicht wichtigste Begleiter des Slowenen, wurde ebenfalls positiv getestet, durfte aber nach den vor der Tour erlassenen neuen UCI-Regeln weiterfahren, nachdem ein medizinisches Gremiums eine geringe Ansteckungsgefahr festgestellt hatte.

Pogacar und Teamchef Gianetti verteidigten in Megève die Maßnahmen des Teams. Die Fahrer seien in Einzelzimmern untergebracht, man achte auch bei den gemeinsamen Essen auf Abstand und im Mannschaftsbus und allen anderen Teamfahrzeugen werde selbstverständlich Maske getragen.

Gianetti: "Das Virus muss von außen kommen"

"Das Virus kann nur von außen ins Team getragen worden sein", erklärte Gianetti, während Pogacar noch einmal die Rückkehr der Fans an den Streckenrand als Ursache ausmachte. "Es ist unglücklich, dass wir zwischen so vielen Leuten durchfahren, den Menschenmengen an den Anstiegen", sagte er. "Wir haben engen Kontakt zu sehr vielen Leuten entlang der Straße."

Pogacar ahnt, dass seine geschwächte Mannschaft in den beiden kommenden schweren Alpenetappen vielen Angriffen ausgesetzt sein wird, und er unter Umständen Vieles wird alleine regeln müssen. Wohl auch deshalb sprintete er seinen Gegnern auf dem Flugfeld noch einmal davon, in der vergeblichen Hoffnung auf einen weiteren Sekundengewinn.

Kämna will jetzt dranbleiben

Lennard Kämna liegt in der Gesamtwertung nun also elf Sekunden hinter Pogacar. Das bedeutet für ihn, dass er vorerst gefangen sein wird in der Gruppe um das Gelbe Trikot. Angriffe wird er erstmal keine mehr starten können. Der Schalter ist jetzt erstmal umgelegt auf die Gesamtwertung.

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"Ich bin jetzt Zweiter und das werde ich jetzt nicht einfach hergeben. Aber in der Ausreißergruppe zu sein, hat viel Energie gekostet. Darum werde ich morgen sicher ein bisschen zu kämpfen haben", vermutete Kämna. "Aber ich werde versuchen so lange wie möglich dranzubleiben."