Das Team SD Worx bei der Tour de France Femmes
Tourreporter

4. Etappe der Tour de France Femmes Reusser siegt für das beste Frauenteam der Welt

Stand: 27.07.2022 21:21 Uhr

Die Schweizerin Marlen Reusser gewinnt die 4. Etappe der Tour de France Femmes. Ihr Sieg ist ein gutes Beispiel dafür, warum ihr Team seit Jahren den Frauenradsport dominiert.

Von Michael Ostermann, Bar-Sur-Aube

Hinter dem Ziel der 4. Etappe wurde Marlen Reusser umringt von Kameraleuten, Betreuern und Offiziellen, die versuchten, ein bisschen Platz zu schaffen für all die Fahrerinnen, die noch kamen. Die Schweizerin war ja fast anderthalb Minuten vor den Konkurrentinnen in Bar-sur-Aube angekommen, nachdem sie sich rund 23 Kilometer vor dem Ziel aus dem Feld abgesetzt hatte.

Nur der Entwicklung der Etappe gefolgt

Eine Solofahrt, die sich wie eine Art Zeitfahren angefühlt hatte, wie Reusser später erklärte. Der Kampf gegen die Uhr gehört zu ihren Spezialitäten. Bei den Olympischen Spielen von Tokio gewann sie im vergangenen Sommer die Silbermedaille.

Ob sie damit gerechnet habe, irgendwann einmal Etappensiegerin bei der Tour de France zu werden, wurde sie nun gefragt. "Ich habe noch nicht einmal heute Morgen damit gerechnet", sagte Reusser. Sie sei einfach nur der Entwicklung des Rennens gefolgt. Diese aber habe das Team dann schon so geplant für diese Etappe, von der 12,9 Kilometer über den Schotter der "weißen Straßen" der Champagne führten.

Illustre Gruppe von Siegfahrerinnen

Reusser fährt für die niederländische Équipe SD Works, die seit Jahren die Women's World Tour dominiert. Bei fast jedem Rennen, bei dem das Team antritt, steht eine Gruppe von Fahrerinnen am Start, von der jede Einzelne gewinnen kann. Bei der Tour de France Femmes etwa gilt die Südafrikanerin Ashley Moolman-Pasio als eine der Favoritinnen auf den Gesamtsieg.

Unterstützt wird sie dabei von der Weltmeisterin von 2017, Chantal van den Broek-Blaak, von der Belgierin Lotte Kopecky, die in diesem Jahr schon die Flandern-Rundfahrt und das italienische Schotter-Rennen Strade Bianche gewonnen hat. Zum Kader gehört auch Demi Vollering, Siegerin des Klassikers Lüttich-Bastogne-Lüttich, sowie die 13-malige luxemburgische Meisterin Christine Majerus.

Auf eine derartige Breite an Siegfahrerinnen kann keine andere Equipe bauen. Aus dem Auto gelenkt wird diese illustre Gruppe von der zweimaligen Weltmeisterin und viermaligen Giro-Siegerin Anna van der Breggen als Sportliche Leiterin. Für Reussers Etappensieg war diese Wucht an Qualität im Kollektiv ein mitentscheidender Faktor.

Spätstarterin Marlen Reusser

Als sich das Feld auf den vier Schotter-Sektoren in mehrere Gruppen zerteilte, war SD Works noch mit fünf Fahrerinnen vorne vertreten. "Es war eine perfekte Situation, und das mussten wir einfach ausnutzen", sagte Reusser. "Wir haben dann mehrfach versucht zu attackieren, und dass meine Attacke dann diejenige war, die gesessen hat, war auch ein bisschen Glück." Die Versuche von Amelia Amialiusik und Évita Muzic kamen zu spät, um die Zeitfahrspezialistin Reusser noch zu stellen.

Die 30 Jahre alte Schweizerin fährt erst seit vergangener Saison in der World Tour der Frauen. Noch 2019 verbrachte sie ein Jahr im World Cycling Center des Radsportweltverbandes UCI, einem Programm, mit dem eigentlich Radsportler aus Afrika und Asien unterstützt werden, weil sie vom Schweizer Verband keine Förderung erhielt.

Nur drei Jahre später gehört sie nun zu den sechs Fahrerinnen, die es ins Tour-de-France-Aufgebot des besten Frauenteams der Welt geschafft haben. Dabei stand die Équipe 2019 kurz vor dem Aus. Damals fuhr das Team noch unter dem Namen Boels-Dolmans und war bereits die Nummer eins der Welt. Doch als der Hauptsponsor seinen Rückzug ankündigte, stand das Team auf der Kippe.

Sponsorensuche mit Fokus auf Frauenradsport

Teamchef Danny Stam musste eine Finanzierungslücke von 2,5 Millionen Euro schließen und ging auf Sponsorenaquise. Er tat das, indem er den Frauenradsport als günstige Investition anpries. "Frauenradsport ist eine der wenigen globalen Sportarten, bei der sie die absolut Weltbesten für dieses Geld bekommen können", hieß es in der Präsentation, mit der Stam auf die Suche nach neuen Geldgebern ging.

Der Niederländer entschied sich damals auch bewusst gegen eine Kooperation mit einem Männerteam. Bei Namen wie Trek-Segafredo oder Jumbo-Visma denke man aber immer zuerst an die Männer und nicht an die Frauen. "Das passiert nicht, wenn man an uns denkt", sagte Stam in einem Interview mit dem englischen Magazin "Rouleur".

Mit dem Einstieg von SD Works und einer Zwischensaison in der Continental-Klasse, wo es keine Auflagen wie Mindestlohnzahlungen gibt, rettete Stam sein Unternehmen. Und das Team setzt im Frauenradsport seitdem weiter die Maßstäbe. Reussers Sieg in Bar-sur-Aube war nur eine weitere Bestätigung dafür.