Ingrid Klimke mit Philippa, Isabell Werth mit Frederik und Meredith Michaels Beerbaum mit Brianne Victoria

CHIO in Aachen Mütter im Reitsport - Hoffnung auf neue Regel

Stand: 01.07.2022 19:20 Uhr

FN-Generalsekretär Lauterbach ist offen für neue Regeln bei Babypausen im Reitsport. Aktuell werden Mütter kurios benachteiligt.

Frauen und Männer in denselben Wettbewerben - das ist eines der Markenzeichen des Pferdesports. Ein "universales und gleiches Spielfeld" für alle, das führt der internationale Reitsportverband FEI auf seiner Webseite als zentralen Wert auf. Doch der Fall von Springreiterin Janne Friederike Meyer-Zimmermann macht deutlich: An einer Stelle im Reglement haben Frauen einen strukturellen Nachteil.

Meyer-Zimmermann ist mit ihrem Pferd Messi in Topform, das hat sie beim CHIO in Aachen bewiesen. Beim Nationenpreis am Donnerstag (30.06.2022) führte die 41-Jährige das Team mit zwei Nullrunden zum Sieg. Das ist umso bemerkenswerter, weil die Geburt ihre Sohnes erst ein halbes Jahr zurückliegt.

Lediglich zwei Monate lang hatte Meyer-Zimmermann pausiert, dann Ende März schon wieder im spanischen Oliva einen Wettkampf bestritten - mit negativen Folgen. "Ich hatte einen irrsinnigen Weltranglisten-Punkte-Verlust. Jetzt muss ich mich erst einmal langsam hochkämpfen", sagte Meyer-Zimmermann Anfang Juni dem NDR. Von Platz 107 sei es bergab auf Rang 270 gegangen.

Strafe für zu kurze Pause

Der Grund dafür ist kurios: Meyer-Zimmermann war zu früh wieder geritten. Wäre sie erst nach Ablauf von sechs Monaten wieder eingestiegen, hätte sie einer Regelung für Langzeitverletzungen gemäß 50 Prozent ihrer Weltranglistenpunkte behalten dürfen. So aber bekam sie alle Punkte aus dem Vorjahreszeitraum gestrichen - und wurde so bestraft für eine zu kurze Pause. "Die Regel ist nicht zu Ende gedacht", sagt Zimmermann.

Schwangerschaften werden behandelt wie Langzeitverletzungen. Letztere können jeden treffen. Aber "die Babys kriegen nun mal die Frauen", sagt Meyer-Zimmermann. Dadurch haben Frauen gegenüber Männern im Laufe ihrer Karrieren ein zusätzliches Risiko, Weltranglistenpunkte zu verlieren, sind also benachteiligt.

FN-Generalsekretär Lauterbach offen für neue Regeln

Deshalb gründete Meyer-Zimmermann gemeinsam mit drei Mitstreiterinnen die Initiative "Equal Equest" mit dem Ziel, die FEI zu einer Regeländerung zu bewegen. Einen Teilerfolg können die Initiatorinnen schon verzeichnen, denn die Deutsche Reiterliche Vereinigung FN nimmt sich des Themas an.

"Wir diskutieren jetzt in unseren Ausschüssen und werden der FEI im Laufe des Sommers oder Herbstes Änderungsvorschläge machen", sagte FN-Generalsekretär Sönke Lauterbach im WDR-Interview. "Ich kann mir gut vorstellen, dass unser Vorschlag darauf hinausläuft, dass wir sagen: Für junge Mütter heben wir die Mindestzeit von sechs Monaten auf. Und dass die jungen Mütter auch 100 Prozent der Weltranglistenpunkte aus dem Vorjahreszeitraum behalten können."

FN-Generalsekretär: "Werden FEI Vorschläge machen"

Sportschau

Entscheidung liegt bei Weltverband FEI

Dann würden Mütter wohl auch anders behandelt als Langzeitverletzte, glaubt Lauterbach. "Denn ich gehe davon aus, dass die Weltgemeinschaft sagen wird: Wir bleiben bei Verletzungen bei 50 Prozent." Letztendlich liege die Entscheidung bei der FEI. "Wir können jetzt nur einen Vorschlag machen und dann muss der Weltverband in seiner Mitgliederversammlung Daumen hoch oder Daumen runter machen", sagte Lauterbach.

Der Weltverband schrieb auf Sportschau-Anfrage, er basiere auf dem "Prinzip der Gleichheit und Fairness" und wolle deshalb die Bedenken von Equal Equest im Rahmen des üblichen Prozesses für Regeländerungen prüfen. Demnach können bis zum 6. Juli Änderungsvorschläge eingereicht werden, die dann nach einem "gründlichen Konsultationsprozess" möglicherweise auf der Generalversammlung am 13. November zur Abstimmung kommen. Zudem betont die FEI, dass sie die Zustimmung der Reitervereinigung "International Jumping Riders Club" brauche, um die Weltranglisten-Regeln ändern zu können.

Von Bredow-Werndl und Michaels-Beerbaum unterstützen

Jessica von Bredow-Werndl wird interessiert verfolgen, wie die Verbände reagieren. Denn die Dressur-Olympasiegerin ist schwanger. Neben ihr gehört auch Springreiterin Meredith Michaels-Beerbaum zu den prominenten Unterstützerinnen von Equal Equest. Die Geburt ihrer Tochter im Januar 2010 war mit ausschlaggebend dafür, dass die 50-Prozent-Regel für Schwangere überhaupt eingeführt worden war.

"Damals haben alle gesagt: 'Wunderbar, es gibt jetzt eine Lösung für diese Fälle.' Und dann haben alle zwölf Jahre lang damit gelebt", sagte Lauterbach. Meyer-Zimmermann hat nun aber die bestehenden Schwächen angemerkt und macht mit "Equal Equest" auch darauf aufmerksam, dass es für Voltigieren, Distanzreiten, Para-Dressage und die Vielseitigkeit bisher noch nicht einmal die 50-Prozent-Regel gibt. Dort verlieren Reiterinnen in einer Babypause immer alle Punkte.

Reitsport mit besonderer Konstellation

Auch andere Sportarten haben das Thema auf dem Zettel. So hat zum Beispiel die Frauen-Tennis-Tour WTA Ende 2018 nachgebessert und Müttern wie Langzeitverletzten ermöglicht, bis zu drei Jahre lang ohne große Nachteile zu pausieren. Zwei Unterschiede zum Reitsport: Auf der WTA-Tour sind die Frauen unter sich, es besteht also kein direkter Nachteil gegenüber männlicher Konkurrenz. Und die physischen Anforderungen sind im Tennis so groß, dass viele Spielerinnen Anfang 30 aufhören und erst im Anschluss eine Familie gründen.

Pferdesport ermöglicht dagegen längere Karrieren, so hat zum Beispiel die US-amerikanischen Springreiterin Laura Kraut auch mit 56 Jahren noch Weltklasseniveau. Die Gründerinnen von Equal Equest sprechen deshalb von einer "besonderen Konstellation" und hoffen, dass der Reitsport nun mit neuen Regeln eine "Vorreiterrolle einnimmt".