Rollstuhlbasketballerin Katharina Lang

Rollstuhlbasketball "Minimalbehindert" ist nicht behindert genug

Stand: 04.08.2023 11:06 Uhr

Der Traum von den Paralympics 2024 ist für Rollstuhlbasketballerin Katharina Lang geplatzt - wegen einer Regeländerung in der Klassifizierung. Es ist ein System, das "Minimalbehinderte" ausschließt.

Von Lisa Slomka

Katharina Lang stellt normalerweise eine feste Größe im Kader des Rollstuhlbasketball-Teams der Frauen dar, gewann Silber bei der EM 2017, Bronze bei der WM 2018 und der EM 2019. Doch anstatt bei den anstehenden European Para Championships (08. bis 20. August 2023) in Rotterdam um den EM-Titel zu spielen, fiebert die 28-Jährige von der Fantribüne mit.

Grund dafür: Seit dem 1. Juli 2023 greift eine neue, vom Paralympischen Komitee (IPC) verhängte Regeländerung im Klassifizierungssystem, die einen gewissen Grad der Behinderung voraussetzt und für Lang den Ausschluss aus der Nationalmannschaft bedeutet.

Noch im Juni war für Katharina Lang die nächste Bronzemedaille zum Greifen nah. Bei der Rollstuhlbasketball-Weltmeisterschaft in Dubai kämpfte sich die DBS-Auswahl bis ins Halbfinale. Dort unterlagen die Frauen mit 45:49 gegen China und folgend, im Spiel um Platz 3, mit 42:57 gegen die USA. Für Lang, die sich als zweitbeste deutsche Werferin auszeichnete, waren dies ihre vorerst letzten Spiele für die A-Nationalmannschaft.

"Mein Knie ist nicht instabil genug"

Ein Jahr vor den Paralympischen Spielen 2024 kann sich das Team von Bundestrainer Dirk Passiwan einen Startplatz für Paris sichern. Dafür müssen die deutschen Rollstuhlbasketballerinnen ins Finale der European Para Championships einziehen. Ein Traum, der für Katharina Lang schon seit geraumer Zeit geplatzt ist.

Bereits 2021, wenige Tage vor Beginn der Europameisterschaft in Madrid, wurde Lang vom IPC "ausklassifiziert" – mit der Begründung, ihr Knie sei nicht instabil genug.

Im Alltag auf zwei Beinen, auf dem Court im Rollstuhl

Lang bewältigt ihren Alltag auf zwei Beinen. Doch nach drei Kreuzbandrissen und einer folgenschweren Operation am Knie riet ihr damaliger Orthopäde davon ab, weiterhin Fußgängerbasketball zu spielen. Daraufhin begann die damals 22-Jährige mit dem Rollstuhlbasketball bei den RBB Iguanas in München. Seitdem ist Lang "minimalbehindert" und wird im Klassifizierungssystem mit der höchsten Punktzahl von 4,5 eingeordnet.

Schwerbehinderte wie ihre querschnittgelähmte Teamkollegin Anne Patzwald bekommen hingegen einen Punkt. Die fünf Spielerinnen auf dem Feld dürfen in Summe nie 14 Punkte überschreiten. Das Ziel des Ganzen: Die Behinderung soll möglichst wenig Einfluss auf den Wettkampf haben.

Ein Gefühl von Willkür bei Klassifizierungen

Rollstuhlbasketball galt bisher als die Vorzeigesportart für Inklusion, weil auch Athlet:innen ohne Behinderung mitspielen durften. Das hat sich jedoch geändert. Das Paralympische Komitee hat 2015 eine Klassifizierungsreform beschlossen, die zwei Jahre später in Kraft getreten ist – gleichzeitig mit dem Amtsantritt von IPC-Präsident Andrew Parsons.

Seither müssen Athlet:innen mit weniger Einschränkungen wie Katharina Lang neu bewertet werden. Vonseiten der Betroffenen hagelt es mächtig Kritik: "Das Schwierige an dem ganzen System ist, dass es nicht einheitlich genug ist. Es werden verschiedene Untersuchungen bei verschiedenen Events von wiederum verschiedenen Klassifizierern durchgeführt. Als Athletin hat man das Gefühl, dass man nicht weiß, was passiert", betont Lang. Es gäbe viele Athlet:innen weltweit, die eine ganz ähnliche Geschichte wie sie hätten und im Gegensatz zu ihr weiterhin spielen dürften.

Mentaler Stress nur schwer aushaltbar

Eine von ihnen ist Nationalspielerin Lena Knippelmeyer. Auch in ihrem Fall war eine Knieverletzung Grund dafür, dass sie im Alter von 24 Jahren nicht mehr wie gewohnt Handball spielen konnte. Knippelmeyer ließ das Urteil jedoch nicht auf sich sitzen und reichte Protest ein. Die Folge: Einige Wochen vor der WM wurde sie erneut klassifiziert und für spielberechtigt erklärt. Auch für Lang käme ein Protest theoretisch in Frage, praktisch sei es für sie erstmal ausgeschlossen.

Sie wolle sich nicht erneut diesem enormen psychischen Stress – so wie es in Madrid der Fall war – aussetzen. "Die ganze Europameisterschaft war ich vom Kopf her ganz woanders. Denn wenn man ausklassifiziert wird, dann ändert sich das Leben von der einen auf die andere Sekunde komplett."

Rollstuhlbasketballerin Lena Knippelmeyer

Rollstuhlbasketball verliere an Inklusivität

Laut Lang verliert die populärste Behindertensportart an Inklusivität. "Angesichts der Klassifizierung wird der Sport nicht inklusiver, ganz im Gegenteil. Es bringt viel durcheinander und macht es mir und anderen 4,5-Punkte-Spielerinnen schwer, sich voll und ganz auf den Sport konzentrieren zu können." Die Münchnerin kritisiert den Umgang mit Athlet:innen, zugleich aber auch die ganzheitliche Entwicklung des Rollstuhlbasketballs auf internationaler Ebene und blickt dabei auf die anstehende Qualifikation für die Paralympics 2024.

Weniger Startplätze für Paris 2024

Am 19. November 2021 gab das IPC in einer Pressemitteilung bekannt, dass die Anzahl der startberechtigten Teams für die Paralympics 2024 von 12 auf acht reduziert wird. "Dies trägt zur Effizienzsteigerung für die Organisatoren bei, fördert die Geschlechterparität und erhöht die Wettbewerbschancen für Athleten in anderen Sportarten", argumentiert IPC-Präsident Parsons. "Absolut unverständlich", findet Katharina Lang. Damit gefährde das IPC die Popularität des Rollstuhlbasketballs, welcher als Publikumsmagnet der Paralympics gilt.

Darüber will sich die 28-Jährige jedoch nicht den Kopf zerbrechen. Vielmehr wolle sie ihren Fokus auf die neue Bundesliga-Saison richten und sich mit 3x3-Rollstuhlbasketball vertraut machen. Eine Sportart, die (noch) nicht Teil des IPC ist.