Guanyu Zhous Fahrzeug wird in Silverstone abtransportiert.

Nach Unfall in Formel 1 Sportpsychologe hält Zhous Start für Fehler

Stand: 07.07.2022 16:35 Uhr

Wenige Tage nach seinem Horror-Unfall in Silverstone startet Alfa-Pilot Guanyu Zhou beim Rennen in Spielberg. Ein Fehler, sagt der Sportpsychologe René Paasch.

Von Jens Mickler

Der schwere Crash des chinesischen Formel-1-Piloten Guanyu Zhou am vergangenen Sonntag (03.07.2022) in Silverstone ist auch vor dem nächsten Rennen im österreichischen Spielberg das große Gesprächsthema. Die Bilder vom Abflug in seinem Alfa Romeo kopfüber in den Fangzaun hatten beim Grand Prix von Großbritannien für Entsetzen und Sorge um die Gesundheit des 23-Jährigen gesorgt.

"Ohne Halo wäre er nicht mehr dabei"

Nur dank des Überrollbügels Halo hatte Zhou den Unfall unbeschadet überstanden. "Ohne Halo wäre er nicht mehr dabei. Da hat er natürlich viel Glück gehabt", sagte etwa Weltmeister Max Verstappen nach Ansicht des Unfallvideos.

Zhou selbst blickte nur wenige Tage nach dem Unfall nach vorne. "Ich bin nur fokussiert auf das Wochenende hier in Österreich", sagte er in der Steiermark, wohin der Formel-1-Zirkus bereits weitergezogen war.

"Er hätte sich mehr Zeit nehmen müssen"

Nur wenige Tage zwischen Crash und neuem Rennen - für den Sportpsychologen René Paasch eine viel zu kurze Zeitspanne. "Nach so einem Unfall hätte er sich mehr Zeit nehmen müssen, um das Geschehene zu verarbeiten", sagt Paasch im Gespräch mit der Sportschau. Guanyu Zhou habe eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten, so seine Diagnose aus der Ferne.

Diese müsse in jedem Fall behandelt werden - "wenn nicht jetzt, dann muss er sich später damit auseinandersetzen." Eine solche Belastungsstörung würde sowohl emotional als auch körperlich bei Zhou etwas auslösen, sagt der Fachmann, der unter anderem an der Sporthochschule Köln lehrt. Wenn nun wieder etwas passieren sollte, dann führe das bei Zhou zu Gedanken und Bildern, die ihn erneut in eine schwierige Situation bringen könnten, so Paasch.

René Paasch (Sportpsychologe)

Sportpsychologe Paasch

Zu wenig Unterstützung von den Teams

René Paasch selbst zählt mehrere Formel-1-Fahrer zu seinen Klienten. Diese würden größtenteils auf private Initiative zu ihm kommen. Dabei ist die Herangehensweise unterschiedlich. Manche sprechen über einen langen Zeitraum wöchentlich mit ihm, andere suchen ihn ein- bis zweimal vor den Rennen auf.

Auch das Therapieziel sei unterschiedlich. Für viele Fahrer gehe es um Leistungsoptimierung, bei anderen tatsächlich um Gesundheitserhalt. "Die Formel-1-Fahrer erleben sehr viel Stress und Druck, sie haben kaum ein Privatleben. Es ist schon Wahnsinn, was sie leisten", sagt Paasch. Auch das merkt er an: Von den Teams erhielten sie in dieser Hinsicht wenig Unterstützung.

Dabei spiele die Psychologie in der Formel 1 eine ganz entscheidende Rolle, viel mehr als in anderen Sportarten. "In der Formel 1 darf man sich überhaupt keinen Fehler erlauben, das könnte tödliche Folgen haben. Das ist anders als etwa beim Fußball", sagt Paasch.

Guanyo Zhou (re.) mit Valtteri Bottas vom Alfa-Romeo-Team am Donnerstag (7.7.) in Spielberg.

Guanyo Zhou mit Valtteri Bottas vom Alfa-Romeo-Team in Spielberg.

Rosberg: "Ich behielt das lieber für mich"

Zum Leidwesen von Paasch wird das Thema Psychologie im Motorsport nur sehr wenig an die Öffentlichkeit getragen. "Ich habe in meiner letzten Saison 2016 mit einem Mentaltrainer zusammengearbeitet", gab Ex-Weltmeister Nico Rosberg vor einiger Zeit preis, "die Formel 1 ist eine Machowelt, deshalb behielt ich das lieber für mich."

Auch Ex-Fahrer Romain Grosjean hat sich externe Hilfe geholt, wie vor einiger Zeit bekannt wurde. Bei einem heftigen Startunfall in Spa vor zehn Jahren flog der Franzose mit seinem Lotus nur knapp am Kopf von Ferrari-Fahrer Fernando Alonso vorbei. Der Unfall verlief glimpflich, doch für Grosjean war der Zeitpunkt gekommen, einen Mentaltrainer aufzusuchen. Der half ihm, mit den seelischen Belastungen umzugehen. "Ich bin froh, dass ich meinen Beruf weiter ausüben kann", sagte Grosjean damals.