Mateusz Przybylko bei der Leichtathletik-WM in Eugene.

Deutsche WM-Zwischenbilanz "Unter unseren Erwartungen" - Bundestrainerin Stein übt Kritik

Stand: 20.07.2022 05:58 Uhr

Das deutsche Halbzeitfazit der Leichtathletik-WM fällt ernüchternd aus. Ein zehnter Platz schlägt bisher als bestes DLV-Ergebnis in Eugene zu Buche. Viele Athleten fokussieren sich auf die Heim-EM. Chefbundestrainerin Annett Stein übt Kritik, verweist aber auch auf einige deutsche Medaillenchancen.

"Die Asse und Punktebringer kommen im zweiten Teil der WM, aber ich gebe zu, dass wir im ersten Teil unter unseren Erwartungen geblieben sind", sagte Stein am fünften Tag der Weltmeisterschaften im ARD-Interview. "Als Erwartungen haben wir formuliert, dass möglichst viele Athleten ihr Leistungsvermögen ausschöpfen. Und wir haben uns auf einige Überraschungen gefreut. Das ist so nicht eingetreten."

Kein Top-acht-Ergebnis in den ersten fünf Tagen

An den ersten fünf Wettkampftagen gab es nicht nur keine Medaillen, sondern auch keine Platzierung unter den besten Acht. Bei den Starts von 36 Athleten und Athletinnen kam es zu zwei persönlichen Bestleistungen und sechs Saisonbestleistungen. Der zehnte Platz von Stabhochspringerin Jacqueline Otchere war die beste Platzierung des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV).

2019 in Doha/Katar hatten die DLV-Asse sechs Medaillen gewonnen, darunter zweimal Gold durch Weitspringerin Malaika Mihambo und Niklas Kaul im Zehnkampf. Beide gehören zu den wenigen Hoffnungsträgern in der zweiten WM-Hälfte.

WM ausschlaggebend für Fördergelder

Die erste WM in den USA plätschert aus deutscher Sicht vor sich hin und das könnte noch ein bitteres Nachspiel haben. Denn für die Zuteilung der Fördergelder ist allein die WM ausschlaggebend. Darauf hatte Stein bereits vor Beginn der Welttitelkämpfe in Eugene hingewiesen.

Doch viele Athleten fokussieren sich auf die kommende Heim-EM in München (15. bis 21. August). "Wir haben im Verband die WM sehr, sehr stark positioniert", sagte Stein. "Aber wahrscheinlich ist es nicht gelungen, diese WM in den Fokus der meisten Athleten zu setzen, weil die EM doch sehr präsent ist."

Mihambo: "EM in München ist der heimliche Höhepunkt"

Auf europäischer Ebene ist das Leistungsniveau ein ganz anderes, die Chancen für gute Ergebnisse ungleich höher für die DLV-Starter. "Die EM in München ist der heimliche Höhepunkt, es macht am meisten Spaß, im eigenen Land an den Start zu gehen", sagte etwa Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo.

Es macht am meisten Spaß, im eigenen Land an den Start zu gehen.
Malaika Mihambo

ARD-Experte Busemann stellt Grundeinstellung infrage

Nachvollziehen kann diese Konzentration auf die EM nicht jeder. ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann, früher Zehnkämpfer, stellt in diesem Zusammenhang die Grundeinstellung mancher DLV-Starter infrage: "Wer auf einmal ein Hintertürchen hat, einen Plan B, der ist ja nicht mit 100 Prozent dabei, sondern nur mit 98. Und was das im Leistungssport heißt, weiß jeder."

Junge Athleten sammeln wichtige Erfahrungen

Unter den 78 Athletinnen und Athleten in der DLV-Mannschaft in Eugene finden sich nur wenige ernsthafte Medaillenanwärter, nachdem einige Leistungsträger wie die Speerwerfer Johannes Vetter und Christin Hussong, der Olympia-Zweite im Gehen, Jonathan Hilbert, sowie Siebenkämpferin Carolin Schäfer abgesagt hatten.

Stein verteidigte die Entscheidung, trotzdem mit einem so großen Team nach Eugene gereist zu sein - vor allem im Hinblick auf die Förderung durch nationale Mittel. "Wir werden bewertet nach der Struktur im Verband, nach den Ergebnisse und danach, wieviele Teilnehmer an Weltmeisterschaften wir generieren und an den Start bringen", sagte Stein: "Deshalb probieren wir auch, jeden zu einem solchen Wettkampf mitzunehmen."

DLV-Athleten stehen unter Erfolgsdruck

DLV-Vorstandschef Idriss Gonschinska hatte im Vorfeld der WM gesagt, dass der "Sommer der Leichtathletik" mit Welt- und Europameisterschaften innerhalb von nur wenigen Wochen eine große Chance sei "für die Wahrnehmung und Sichtbarkeit" der Sportart. Den ersten Teil der "großen Chance" droht das DLV-Team in Eugene gerade zu verspielen.

Um wahrgenommen zu werden, relevant zu bleiben und im besten Fall Nachwuchs zu generieren, müssen Ergebnisse her. In Eugene und erst recht bei den Europameisterschaften in München. Die EM hat dabei den Vorteil, dass sie medial mehr Aufmerksamkeit als die WM erfahren dürfte, bei der sich das Geschehen größtenteils in der deutschen Nacht abspielt.