Der US-amerikanische Sprinter Fred Kerley bejubelt seinen Sieg über 100 m bei der Leichtathletik-WM 2022 in Eugene.

Busemanns WM-Kolumne Fred Kerley nennt sich "Legende" - Darf der das schon?

Stand: 17.07.2022 07:37 Uhr

100-m-Weltmeister Fred Kerley nennt sich selbst ganz unbescheiden "The Legend". Darf der das überhaupt schon, fragt sich ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann in seiner WM-Kolumne. Spoiler: so halb.

Sprinter an sich können ja manchmal seltsam sein. Müssen sie irgendwie auch. Schnellzuckende Muskelfasern schießen unentwegt Impulse durch die Muskulatur, so dass sich der ein oder andere Reiz unter Umständen ver(w)irrt. Er sei eine Legende, hörte ich von einem amerikanischen Sprinter im Vorfeld der WM.

Ohne den Urheber dieser kühnen Behauptung zu kennen, tippte der ahnungslose Empfänger dieser Bekanntmachung auf Jesse Owens, Carl Lewis oder Michael Johnson. Aber nein, es war ein noch aktiver US-Sprinter. Noch unter uns weilend und nicht jenseits der 50. Bis gestern olympischer Silbermedaillengewinner und Staffelweltmeister. Nicht schlecht, aber eben auch nichts Außergewöhnliches bei den Amis.

"The Legend" liefert und gewinnt 100-m-Gold

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Der schnellste Buddy aus Taylor in Texas

Gestern zum Beispiel, da wurde eine Legende verabschiedet. Allyson Felix. 13 Weltmeistertitel. Und noch ein paar andere Sachen. Große Töne also für einen, der noch etwas von solchen Zahlen entfernt ist. Okay, er scheint der schnellste Buddy aus Taylor in Texas zu sein. Das musste also eine überzeugende Vorahnung gewesen sein, die ihn da heimgesucht hat. Legende.

Vielleicht habe ich das aber auch nur falsch verstanden und die von mir geliebte Ironie in diesem Falle selbst nicht kapiert. Die Legende gibt's ja zum Beispiel in einem Atlas, wenn die ganzen Symbole erklärt werden. Man muss ja wissen, was die Striche und Zeichen alle bedeuten. Eine Legende ist ja auch so was wie ein Märchen. Eine Sage. Irgendwas, was mal passiert ist, über die Jahrhunderte aber immer weiter aufgebauscht und ausgeschmückt wird. Eine bildliche, wenn gleich verschlüsselte Sprache zu nutzen, hat auch etwas mystisches, verwegenes und interpretierbares. Die hohe Kunst der Philosophie. Aber er lächelte dabei nicht. Es schien ihm ernst zu sein.

Eine Menge Wortakrobaten und Entertainer

Im Sprint entscheiden Hundertstel, manchmal Tausendstel. Deshalb ist jede Störung der gegnerischen Synapsenverbindung zum Vorteil des Urhebers. Eigene Stärken stärken und des Gegners Zweifel entfachen. Es liegt in der Natur der Sportart, dass da eine Menge Wortakrobaten und Entertainer unterwegs sind. Und wenn der Gegner davon überzeugt ist, zu verlieren, dann hat man den Vorteil schon auf seine Seite geholt.

Eine Legende hat einen gewissen USP

Aber eine Legende hat auch so einen gewissen USP, wie es im PR-Jargon heißt. Das heißt nicht etwa "ungewöhnliches Sprint-Potenzial", sondern "unique selling proposition". Das Alleinstellungsmerkmal. So ein Usain Bolt unterhielt sich im Rennen mit dem Nachbarn, machte Faxen und lief trotzdem noch schneller als alle anderen. Und hatte dabei Spaß. Auch ein ganz wichtiger Keyfact in der Welt der Legenden.

Wen die Leute bewundern und dazu noch lieben, den hieven sie auf das Podest. Was hat der, was andere nicht haben? Den boltschen Flitzebogen zum Beispiel. Es gibt den Ronaldo-SIUUU. Oder die eingeschriene Neymar-Wälzrolle. Alles ganz eigene Ausprägungen. Einer schraubt sein Ohr ab, der nächste macht einen Salto, der andere rührt in der Kaffeetasse, die es nicht gibt.

Und dieser Fred, der kann schnell laufen und hat wahrscheinlich das Kerley-Grummeln erfunden. Eine Mordsfreude, diese aber nicht zeigen. Ernst gucken und nicht lachen. Na also, da könnte was gehen. Macht der Arnold in Terminator auch. Und weil er nicht gern redet, lässt er lieber Leistung für sich sprechen. Man muss nicht immer irgendwas über die eigentliche Kernkompetenz hinaus zum Besten geben. Warum auch? Würde man das wollen, dann würde man Mehrkämpfer werden. Alles so ein bisschen machen, aber nichts richtig.

Weltmeister über 100 Meter - ein Anfang

Aber wenn man sich selbst irgendwelche Titel oder Attribute verpasst, dann muss man echt was drauf haben. Sonst soll das lieber irgendwer anderes machen. Da wird der Anspruch ohne Not ins Unermessliche geschraubt. In Eugene hat er ja mal einen Anfang gemacht. Weltmeister über 100 Meter. Schnellster Mann der Welt. Der Weg ist bereitet. Die Legende ist unterwegs und spätestens wenn er eine 8,5 Sekunden läuft, wird die Bezeichnung auch von der anderen Seite verliehen.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:20 Uhr