Der katarische Hochspringer Mutaz Essa Barshim während der Leichtathletik-WM 2022 in Eugene.

Busemanns WM-Kolumne Hochspringer knacken die Enthusiasmus-Barriere

Stand: 19.07.2022 07:15 Uhr

Im Hayward Field wird viel gefuttert. Nur die Stimmung kochte nicht über. Das hat sich am vierten Wettkampftag geändert - und freut den ARD-Leichtathletik-Experten Frank Busemann.

"Let me entertain you", sang schon Robbie Williams. Die Amis können das auch. So sagt man. Hollywood, Las Vegas und die Super-Bowl-Halbzeitshow, um nur einige Highlights zeitgenössischer Zerstreuung zu nennen. Und nun also Eugene/Oregon. Hayward Field. Die Trauben hingen hoch, die Erwartungen noch höher. London 2017 und Stuttgart 1993. Das sind Hausnummern, die es zu schlagen gilt.

Eugene startete mit einem Wachmacher. Bei der Eröffnung jagten zwei Kampfflugzeuge über das Stadion und zündeten direkt über dem Rund den Nachbrenner, um senkrecht in den Abendhimmel zu jagen. Der Nicht-Amerikaner hat so etwas wahrscheinlich noch nicht erlebt, der normale Durchschnittsdeutsche sowieso nicht. Mein Pulsschlag hätte die nächsten zwanzig Minuten jeden Intensivmediziner in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. 200 Beats per minute ist alles andere als gesund und gibt es sonst nur in der Musik oder bei einer Waschmaschine im Schleudergang. Ich war fertig.

Die Preise sind gesalzen

Im Stadion selbst finden wir Sessel vor, die jeder VIP-Loge der Extraklasse gerecht werden, deshalb sind die Preise bestimmt auch so gesalzen. Bis zu 1.000 US-Dollar für drei Stunden Sport - das hat Super-Bowl-Niveau (jetzt hüstelt der Ami und staunt der Deutsche). Aber vom Sessel springt hier kaum einer auf. Das mag daran liegen, dass das Event noch nicht mal Halbzeit hat. Das mag daran liegen, dass immer noch Plätze frei sind. Eigentlich heißt es, es sei ausverkauft. Es gibt kaum noch Karten, ein Reseller hat sich die Tickets gesichert. Aber wenn selbst beim 100-m-Finale mit vier US-Amerikanern dieses unterdimensionierte Stadion nicht voll ist, dann ist eine gewisse Verwunderung angebracht.

Stimmung als solche, in Deutschland in Dezibel und La-Ola-Runden gemessen, die gibt es hier vereinzelt, wenn ein Landsmann gewinnt. Das ist okay, aber London und Stuttgart zeichneten sich auch dadurch aus, dass selbst der letzte Kämpfer des Feldes ins Ziel gejubelt wurde und dass die Zuschauer beim Betreten der Arenen den Feiermodus angeknipst haben.

Typisch amerikanisch: Essen ohne Ende im Stadion

Vielleicht mag es auch am hier bekannten Sportkonsum liegen. Es gab mal eine Studie, die aufzeigte, dass in Städten mit professionellem Baseballteam die Scheidungsrate geringer ist. Weil da so wenig passiert, haben Eheleute die Gelegenheit, in einem leichten sportiven Bilderteppich in angenehmer Atmosphäre ihre Alltagsprobleme aus der Welt zu räumen.

Die Kosten für den Paartherapeuten sind vergleichbar und der kredenzt wohl keine Pizza Magherita für 15 Dollar. Was die hier auch an Essen reinschleppen. Da fühlt man sich teilweise wie beim kulinarischen Festival der tausend Gaumenfreuden.

Endlich Euphorie am vierten Wettkampftag

So war es gefühlt bis zum Montag. Am vierten Wettkampftag wurde endlich Druck auf den Kessel gebracht. Die durchgedrehten Hochspringer knackten die Enthusiasmus-Barriere. Mit einer tollen Flugshow begeisterten sie das Publikum. Die Hindernisläufer verbummelten das Tempo und suchten danach scheinbar den Meister im Nahkampf. Die 1.500-m-Läuferinnen vergaßen, dass es sich um ein Meisterschaftsrennen handelt und hatten als Taktik "Abteilung Attacke" gebucht. Und das Publikum ging mit. Immer wieder, die ganze Zeit. So wunderbar. Endlich war der vielbeschworene Geist vom Hayward Field erwacht.

Liebe Amis, lasst es so weitergehen. Das macht Spaß. Jetzt müsst ihr aber selber aus dem Quark kommen. Wir können ja nicht jeden Tag die Hochspringer hopsen lassen.

Das war die Hochsprung-Flugshow von Eugene

Sportschau, 19.07.2022 18:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:20 Uhr