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Busemanns WM-Orakel Wurf: Was geht bei Weber und Pudenz?

Stand: 15.07.2022 10:47 Uhr

Um die 90 Meter muss der neue Speerwurf-Weltmeister draufhaben. Das kann auch Julian Weber. Mit dem Diskus ruhen die deutschen Hoffnungen auf Kristin Pudenz. ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann schätzt die Wurfdisziplinen ein.

Speerwurf - Weber aus dem Schatten der Großen

Der Dominator der vergangenen Jahre fehlt. Johannes Vetter musste seinen Start bei der WM wegen einer Verletzung absagen. Bei Andreas Hofmann, dem Vize-Europameister, fliegen die Speere nach Verletzungssorgen zwar wieder. Oder sollte man sagen, flogen? Die Form des Saisonbeginns ist nicht mehr da. In dieser Disziplin entscheiden Nuancen, die die Leistung potenzieren - nach oben und nach unten. Er muss sich darauf konzentrieren, dass er dabei ist und die Teilnahme genießen.

Ganz im Gegensatz zu Julian Weber, der aus dem Schatten der Großen herausgetreten ist und plötzlich mit einer großen Sicherheit überall weit werfen kann. Das Gute ist, dass er nichts zu verlieren hat und auch im Allgemeinen nicht in diesem Fokus wie ein Vetter oder Röhler steht. Vielleicht geht da was? Aber was?

Diese Disziplin hat große Speerwurfnationen hervorgebracht und immer wieder exotische Ausnahmekönner. Der grenadische Titelverteidiger Anderson Peters oder der Olympiasieger von 2012, Keshorn Walcott aus Trinidad & Tobago, sind Paradebespiele, dass die indische Goldmedaille von Neeraj Chopra im vergangenen Jahr eher Regel als Ausnahme ist.

Ist Weber jetzt auch ein Exot, so rein von der Ausgangssituation? Um die neunzig Meter muss der neue Weltmeister draufhaben. Und das kann auch Weber. Überall und jederzeit …

Hussong nicht dabei - Die Coolste gewinnt

Bis vor kurzem gab es in der Welt eine schlechte Thermik für das 600 Gramm schwere Fluggerät der Frauen. Große Weiten suchte man vergebens. Das eröffnet Chancen für Newcomer und Underdogs. Bisher hat sich keine der Athletinnen in eine Favoritenrolle gebracht. Europameisterin Christin Hussong hat ihren Start in Eugene abgesagt - infolge einer Erkrankung und nicht ausreichender Form. Sie hatte Kontakt nach oben, aber die Weiten nahe der 70 Meter hat sie in diesem Jahr nicht drauf.

Braucht frau vielleicht auch gar nicht. Im richtigen Moment den Wurf des Tages landen, kann den Wettkampf des Lebens bedeuten. Das macht aber auch kribbelig. Die Coolste und Selbstbewussteste gewinnt.

Kugelstoßen - Crouser nicht zu schlagen

Wer soll Ryan Crouser schlagen? Ein Herzschlagfinale wie in Doha wird es nicht geben. Es wird nur die Frage sein, wie weit liegt er vorn? Titelverteidiger Joe Kovacs wird eine weitere Medaille in seinem Schrank daheim einlagern können, aber was machen die anderen? Einmal Edelmetall ist noch zu vergeben. Silber oder Bronze? Tom Walsh bietet sich an. So wird es sein.

Maisch und Ritter sind gefordert

Bei den Frauen gibt es keine Christina Schwanitz mehr als aktive Athletin. Die deutsche Dominatorin der vergangenen Jahre beendete im Winter ihre Karriere. Jetzt muss es eine neue Generation richten. All die Jahre standen sie im Schatten der Weltmeisterin von 2015. Jetzt müssen Katharina Maisch und Julia Ritter zeigen, was sie draufhaben. Wenn sie gut stoßen, dann erreichen sie das Finale, im Bereich ihrer Bestleistung winken die Top acht. Geballte Frauenpower.

Titelverteidigerin Lijia Gong aus China, Mannschaftskollegin Song, die bisher wenig in Erscheinung trat, und die Lokalmatadorin Chase Ealey werden die Medaillen unter sich ausknickern. Jenseits der 20 Meter gibt es Gold.

Diskuswurf - multinationaler Wettkampf der Extraklasse

Wir haben uns an das Bild ohne den Namen Harting gewöhnt. Obwohl diese Disziplin lange Zeit von denselben Athleten geprägt und begleitet wurde und 30 Jahre kein Alter ist, kommen immer mal wieder jüngere Athleten dazu. Jung heißt in diesem Fall: nicht unerfahren und lediglich aufstrebend. Kristjan Ceh schickt sich an, den Etablierten um Andrius Gudzius, Daniel Stahl und Lukas Weißhaidinger den Rang abzulaufen. Er packt die 70 Meter mittlerweile auch in den großen Stadien und nicht auf irgendwelchen Segelwiesen aus.

Erfahrung hat er trotz junger Jahre schon und für ihn kann es nur heißen: Ich will Gold. Stahl und Co. aber auch. Verschenkt wird da nichts. Ein multinationaler Wettkampf der Extraklasse.

Wierig mit der Last des Erfahrenen

Die deutschen Farben in dieser medaillenträchtigen Disziplin werden durch den Routinier Martin Wierig sowie Torben Brandt und Henrik Janssen vertreten. Wierig konnte den Angriff der beiden Novizen bei den deutschen Meisterschaften abwehren, fährt aber auch mit der Last des Erfahrenen nach Eugene.

Brandt und Janssen haben das Zugeständnis der Neulinge, die eigentlich nichts zu verlieren haben. Wierig weiß, wie der Diskus bei WMs und EMs und in einem Olympiastadion fliegt und steht nicht mehr im Schatten von Hartings und Jasinki. Einer kommt in die Top zwölf.

Pudenz mit großen Erwartungen

Bei den Frauen hat Valarie Allman Sandra Perkovic mittlerweile fest im Griff und es wird bei ihr nur um die 70 Meter vor heimischem Publikum gehen. Wir haben mit Kristin Pudenz die Überraschungs-Silbermedaillengewinnerin von Tokio am Start. In diesem Jahr verbesserte sie sich noch einmal und geht mit großen Erwartungen in Eugene an den Start.

Sie war die Einzige in Tokio, die nach dem Wolkenbruch ihre Leistung verbessern konnte, das zeigt auch ihre mentale Stärke. Zu verlieren hat sie nichts. Olympiasilber hat sie schon, alles was jetzt dazu käme, wäre ein Bonus obendrauf.

Komplettieren werden Shanice Craft und Claudine Vita das deutsche Team und wir fragen uns: Dürfen wir wieder eine Medaille für Deutschland bejubeln? Könnte sein. Drei deutsche Frauen ins Finale, das hat doch Power und macht Lust auf den Wettkampf am 20. Juli.

Hammerwurf - fest in polnischer Hand

Bei den Polen scheint Hämmer wegwerfen sowas wie Nationalsport zu sein. Seit 2013 heißt der Weltmeister immer wieder Pawel Fajdek und seit 2015 heißt der Bronzemedaillen-Gewinner Wojciech Nowicki. Der Olympiasieger von Tokio will endlich sein erstes WM-Gold. Nur der Franzose Quentin Bigot kann den beiden jenseits der 80 Meter folgen.

Bei den starken Frauen wird es in diesem Jahr keine Seriensiegerin Anita Wlodarczyk geben. Bis auf den Titel 2019 gewann sie zuletzt alles, was zu vergeben war. Die Polin verletzte sich nicht etwa beim Hammerwurf, sondern beim Stellen des Diebes ihres Autos und musste operiert werden.

Ohne Wlodarczyk ist der Weg für Price einfacher

So wird der Weg für Titelverteidigerin DeAnna Price etwas einfacher, wobei sie sich gegen harte Konkurrenz aus dem eigenen Team zu Wehr setzen muss. Die U23-Europameisterin und Deutschlands Beste, Samantha Borutta, will ihren Weg fortsetzen und wenn ihr einer rausrutscht, dann könnte es sogar ins Finale gehen.

Daran denken wir nicht, es wäre vermessen, aber die Hämmer aller Athletinnen müssen erstmal eben diesen schmalen Ausgang am Käfig finden.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:20 Uhr