Leichtathletik-WM Budapest Sha'Carri Richardson - die schnellste Perücke der Welt
Sie fällt auf. Sie liebt die große Show. Und sie will nun endlich ihren internationalen Durchbruch schaffen. Gestatten: Sha'Carri Richardson. Die 23-jährige US-Amerikanerin zählt seit einigen Jahren schon zu den besten Sprinterinnen der Welt - steht aber trotzdem in Budapest erstmals auf der Weltbühne.
Denn die Karriere der gebürtigen Texanerin gleicht einer Achterbahnfahrt. Es ging auf und ab. Derzeit ist Richardson wieder auf dem Weg nach oben. Bei der WM will sie dann den Gipfel erklimmen und den Titel über die 100 Meter gewinnen. "Ich bin bereit: mental, körperlich und emotional", sagte sie nach ihrem Sieg bei den US-Meisterschaften im Juli in Eugene/Oregon.
In Eugene ein Statement Richtung WM
Dort war Richardson im Vorlauf in Weltjahresbestzeit von 10,71 Sekunden ins Ziel gestürmt und hatte diese Leistung mit 10,76 Sekunden im Halbfinale bestätigt, ehe sie dann bereits vor dem Endlauf für Aufsehen sorgte. Als die Kamera auf sie schwenkte, riss sich Richardson ihre Perücke vom Kopf. "Oh, wow", kommentierte TV-Experte und Ex-Sprinter Ato Boldon die Szene.
Er war genauso überrascht wie die Tausenden Fans im Hayward Field von Eugene. Die langen, orangenen Kunst-Haare lagen hinter Richardson auf der Bahn, zum Vorschein kamen schwarz-weiße Dreadlocks. "Sie will hier ein Statement machen, allen sagen, dass sie diejenige ist, die bei der WM besiegt werden muss", so Boldon weiter.
Vom Tod der Mutter im Live-Interview erzählt
Und tatsächlich, Richardson machte eine Ansage - zwar keine so deutliche wie in den Läufen zuvor, gewann aber dennoch in 10,84 Sekunden. Vor zwei Jahren hatte sie auf der gleichen Bahn ebenfalls triumphiert, war damals in 10,86 Sekunden zum Titel gelaufen und hatte sich somit für die Sommerspiele qualifiziert. Und so, wie sie diesmal mit ihrer Perücke für Staunen sorgte, hatte sie 2021 alle Anwesenden mit einer Aussage regelrecht geschockt.
Das gesamte Jahr, so Richardson im Live-Interview unmittelbar nach dem Lauf, sei verrückt gewesen. Erst vergangene Woche habe sie erfahren, dass ihre leibliche Mutter verstorben sei. Die Nachricht kam so überraschend, dass Interviewer Lewis Johnson umgehend noch einmal nachfragte, um sicherzustellen, dass er sich nicht verhört hatte.
Schmerz und Trauer mit Marihuana betäubt
Was Richardson damals nicht sofort sagte: Um den emotionalen Cocktail aus Qualifikationsdruck und Trauer durchzustehen, hatte sie während der Titelkämpfe Marihuana geraucht. Das wurde einige Tage später öffentlich, bei der Bekanntgabe ihrer Dopingprobe. Marihuana ist zwar im US-Bundesstaat Oregon, wo die Meisterschaften stattfanden, erlaubt. Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA führt es jedoch auf der Liste der verbotenen Substanzen.
"Ich möchte die Verantwortung dafür übernehmen, was ich gemacht habe. Ich wusste, was erlaubt ist und was nicht. Und ich habe mich trotzdem dafür entschieden", so Richardson.
Selbstmord-Versuch zur High-School-Zeit
Sie war bei ihrer Großmutter aufgewachsen, denn ihre Mutter hatte sie früh verlassen. Wie sehr sie dies bewegte, machte sie kürzlich in einem TikTok-Video deutlich. Darin betonte Richardson, dass sie “schwere Zeiten” durchgemacht habe und während ihrer High-School-Zeit sogar versucht hatte, sich das Leben zu nehmen.
Aufgrund des positiven Tests wurde ihr 2021 der Meistertitel aberkannt, Richardson für einen Monat gesperrt und verpasste somit die Sommerspiele. Das sorgte damals für reichlich Unverständnis in den USA. Sportstars wie Kansas-City-Quarterback Patrick Mahomes oder der ehemalige NBA-Profi Dwyane Wade meldeten sich via Twitter - und meinten, man solle Richardson doch einfach starten lassen.
Selbst US-Präsident Biden reagiert auf Sperre
Sogar US-Präsident Joe Biden äußerte sich - allerdings etwas anders. Vorschriften seien nun mal Vorschriften, betonte Biden. Ob sie auch so bleiben sollten, nun, das sei eine andere Frage. Aber insgesamt, so Biden, sei er sehr stolz darauf, wie Richardson reagiert habe.
Nach der Sperre wurde es für einige Zeit ruhig um Richardson. Im Vorjahr verpasste sie bei den US-Meisterschaften das Finale über die 100 Meter - und somit auch die Qualifikation für die Heim-WM in Eugene. Doch nun ist sie wieder da. Und sie sei besser, als je zuvor, betonte sie nach ihrem Sieg bei den Trials vor wenigen Wochen.
Äußeres erinnert an "Flo-Jo"
Richardson, die mit ihren schrillen Outfits und den extrem langen Fingernägeln an die 1998 verstorbene Doppel-Olympiasiegerin Florence Griffith-Joyner erinnert, gilt in Budapest als Mit-Favoritin. Schneller als sie, die schnellste Perücke der Welt, war in diesem Jahr nur die jamaikanische WM-Zweite des Vorjahres, Shericka Jackson (10,65 Sekunden).