Meeting in Atlanta Leichtathletik: Verwirrung um Wilsons Europa-Sprintrekord

Stand: 20.07.2021 17:56 Uhr

Der Europa-Rekord über 100 Meter des Schweizers Alex Wilson hat Zweifel ausgelöst - selbst der Athlet konnte es erst gar nicht glauben. Ein Messfehler oder doch Tatsache?

Es war eine galaktisch gute Zeit. 9,84 Sekunden über 100 Meter zeigte die Uhr im US-amerikanischen Marietta an - so kann man mal die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele abschließen.

Der Schweizer Alex Wilson, bisher weder in der europäischen, geschweige denn der Weltspitze in Erscheinung getreten, traute seinen Augen kaum. Er stellte am Sonntag (18.07.2021) bei einem nicht internationalen Leichtathletik-Meeting damit einen neuen Europarekord auf. Erst einmal gilt diese Zeit aber unter Vorbehalt.

Wilson laut Selbsteinschätzung eigentlich nicht so gut drauf

"Direkt nach dem Rennen dachte Alex, dass er vielleicht 10,10 Sekunden oder bestenfalls 10,00 gelaufen ist, aber niemals so schnell, wie es auf der Anzeigetafel im Stadion und in den Ranglisten zu lesen war", sagte Wilsons Berater Andreas Hediger der Nachrichtenagentur "Keystone-SDA", völlig verblüfft über die Zeit seines Schützlings.

"Ich selbst stelle mir bei diesen Auftritten die gleichen Fragen wie ihr Journalisten. Der Athlet sah sich selbst nicht in so guter Form, auch wenn er sich gut vorbereitet hatte. Aber auf dem Ergebniszettel stehen 9,84 Sekunden über die 100 Meter und 19,89 Sekunden über die 200 Meter", sagte Hediger weiter.

Athlet zweifelt zunächst selbst

"Stimmt es, sind Sie sicher, ist alles in Ordnung?", soll Wilson nach seiner Fabel-Zeit die Offiziellen selbst gefragt haben. Seine Ungläubigkeit rührte wohl auch daher, dass Wilsons persönliche 100-Meter-Bestzeit bis Sonntag bei 10,08 Sekunden lag. In dieser Saison hatte der gebürtige Jamaikaner bis dato gerade mal 10,38 Sekunden als Top-Zeit zu Buche stehen gehabt.

Am Dienstag zeigte sich Wilson nun aber doch sicher ob des Rekordes. "Am Anfang war ich geschockt. Ich brauchte einen Moment, um es zu glauben. Aber es ist, wie es ist. Warum sollte ich die Zeitmessung hinterfragen", sagte Wilson dem Schweizer Fernsehsender "SRF" nach seiner Rückkehr aus Atlanta. "Ich wusste, dass die Bedingungen perfekt sind und der Schweizer Rekord fallen könnte. Ich fühlte mich so gut wie noch nie in einem Rennen."

Neben den günstigen Bedingungen mit einem gerade noch zulässigen Rückenwind von 1,9 Metern pro Sekunde nannte Wilson die schnelle Bahn und seine neuen Schuhe als Gründe für die kontinentale Bestleistung. Die Schuhe haben Spikes aus Carbon. "Das ist meine Geheimwaffe in dieser Saison", sagte der 30-Jährige.

Schweizer "Blick" feiert Wilsons "Rekordflut"

Der gebürtige Jamaikaner verbesserte mit dieser Fabelzeit von 9,84 Sekunden nun aus dem Nichts die alte kontinentale Bestleistung des Portugiesen Francis Obikwelu und des Franzosen Jimmy Vicaut (9,86 Sekunden).

Kurz darauf gewann er auch die 200 Meter - in Schweizer Rekordzeit von 19,89 Sekunden. Der Schweizer "Blick" schrieb euphorisch von einer "Rekordflut".

US-Experte: "Wissen, dass es nicht möglich ist"

Seine Leistung wurde zwar vom Internationalen Verband World Athletics registriert, aber viele Beobachter betonten die Streitbarkeit der Situation. "Wir wissen zu 100 Prozent, dass es nicht möglich ist", twitterte der angesehene amerikanische Trainer Rana Reider.

Auch wurden Zweifel geäußert, ob bei dem Meeting - das in einer Wettkampfstätte stattfand, die beim Blick auf ein verwackeltes, im Internet kursierendes Video eher einer Bezirkssportanlage glich - ein vom Weltverband zertifiziertes und messgenaues "Start Information System" eingesetzt wurde.

Schweizer Verband vermeldet Rekorde nur "vorbehaltlich"

Die Rekorde vermeldete der Schweizer Verband jedenfalls nur "vorbehaltlich" und forderte inzwischen Daten zur nachträglichen Überprüfung an. Der europäische Verband wird letztlich dafür verantwortlich sein, Wilsons Zeit als Europarekord zu validieren.