ARD-Doku "Geheimsache Doping: Schuldig" Ecstasy im Essen? – "Es war komplettes Chaos"

Stand: 16.07.2021 13:30 Uhr

Wurde ein ganzes Hockeyteam während eines Wettbewerbs mit Ecstasy kontaminiert? Der Fall der spanischen Frauen-Nationalmannschaft von 2008 ist einer der spektakulärsten in der neuen Doku der ARD-Dopingredaktion.

Es schien ein ganz normaler Abend zu sein – am 17. April 2008 im Park Inn Hotel in Aserbaidschans Hauptstadt Baku. "Ich erinnere mich speziell daran, dass ich Erbsen gegessen habe", erzählt die spanische Hockeyspielerin Silvia Bonastre über ein Abendessen während eines Olympischen Qualifikationsturniers. Spanien war drauf und dran, sich für die Olympischen Spiele in Peking zu qualifizieren.

An diesem Abend aber ereigneten sich merkwürdige Dinge. Während und nach dem Abendessen fühlten sich plötzlich etliche Spielerinnen krank. Ein paar von ihnen mussten sich hinlegen, andere liefen auf einmal rastlos im Hotel hin und her. "Es war Chaos, komplettes Chaos", erinnert sich Maria Romagosa, damals ebenfalls Spielerin im Team.

Selbst die Frau des Präsidenten betroffen

Auch andere Mitglieder der spanischen Delegation sind betroffen – sogar der 77-jährige Präsident des Verbandspräsident und seine Frau. "Ihm war bereits schwindelig geworden und er konnte nicht mehr vom Tisch aufstehen", schildert Bonastre die dramatischen Szenen.

Trotz allem schlugen die Spanierinnen den Gastgeber Aserbaidschan wenige Tage später 3:2 im Finale des Qualifikationsturniers für Olympia. Den Sieg der Gäste quittierte das heimische Publikum mit Plastikflaschen, mit denen sie das spanische Team bewarfen.

Die Spanierinnen glaubten, sich für Olympia qualifiziert zu haben. Doch dann folgte die Hiobsbotschaft: Bei den Dopingkontrollen während des Turniers wurden zwei Spielerinnen positiv getestet. Der Befund: MDMA – der Hauptbestandteil der Partydroge Ecstasy, im Leistungssport verboten. Nach den damaligen Regeln bedeutete dies: Spanien verliert seinen Startplatz bei Olympia, stattdessen darf Aserbaidschan in Peking antreten.

Elf Haarproben enthalten MDMA

Beim spanischen Verband fragte man sich: Hatte es etwas mit den Vorkommnissen rund um das Abendessen im Hotel zu tun? 14 Haarproben weiterer Spielerinnen werden analysiert – einschließlich der von Bonastre und Romagosa. Elf von ihnen enthalten Spuren von MDMA. Ein offizieller Bericht des Hockey-Weltverbands FIH kommt zu dem Ergebnis, die "einzige Erklärung" sei, dass alle von ihnen die Substanz beim Abendessen eingenommen haben müssen.

Noch mysteriöser wird es beim genauen Blick auf die positiven Befunde der während des Turniers genommenen Urinproben der Spielerinnen: Experten sind sich einig, dass eine der Betroffenen angesichts der in ihrem Urin festgestellten hohen Menge an MDMA unmöglich in der Lage gewesen sein könne, Sport zu treiben – von einem internationalen Hockey-Turnier ganz zu schweigen. Die Schlussfolgerung: Ihre Urinprobe muss im Nachhinein manipuliert worden sein.

"Ein Angriff auf die Integrität des Testverfahrens"

Der Weltverband bestraft die beiden Spielerinnen letztlich nicht. In der mit dem Fall betrauten Kommission des Hockey-Weltverbandes saß damals auch der Brite Martin Gotheridge: "Ich glaube, es war ein Angriff von jemandem, der das Ergebnis des Spiels verdrehen wollte, und mit ihm die gesamte Olympiaqualifikation", sagt er der ARD-Dopingredaktion.

Aserbaidschans Hockeyverband leugnet jedes Verschulden und erhebt vor dem internationalen Sportgerichtshof CAS Einspruch gegen das Urteil – jedoch erfolglos. Das spanische Team darf seinen Platz bei Olympia behalten und beendet die Spiele in Peking schließlich auf dem 7. Rang.

Danach geschieht nichts mehr. Keine Untersuchung und kein Versuch, die Verantwortlichen für den mutmaßlichen Doping-Anschlag zu finden. Warum, ist unklar. Einer der Hauptsponsoren des Hockey-Weltverbandes FIH zu diesem Zeitpunkt ist das aserbaidschanische Firmenkonglomerat ATA Holding. An dessen Spitze steht damals ein Mann, der sowohl Mitglied im Hockeyverband als auch in der Regierung des Landes ist. Besteht hier ein Zusammenhang? Auf ARD-Nachfrage erklärte der Weltverband FIH, er könne kein Fehlverhalten erkennen.

Scheinbar keine Untersuchung durch die WADA

Untätig blieb augenscheinlich auch die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA. Auf Nachfrage antwortet die WADA ausweichend und erklärt, keinerlei Aufzeichnungen zu eigenen Ermittlungen in dem Fall zu besitzen.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Verhalten der WADA in Bezug auf Aserbaidschan fragwürdig erscheint: Insgesamt 23 positive Tests aserbaidschanischer Athleten soll der frühere Präsident des Gewichtheber-Weltverbandes (IWF) Tamás Aján 2013 monatelang vertuscht haben – zum selben Zeitpunkt war er Mitglied des WADA-Vorstands.

Die Ausreden von Ajáns Weltverband zur Verzögerung der Dopingfälle hat die WADA auch damals dem Anschein nach bereitwillig akzeptiert und erklärte auf Nachfrage, kein Fehlverhalten erkennen zu können. Aján war im Zuge von Korruptionsermittlungen, ausgelöst durch die ARD-Doku "Geheimsache Doping: Herr der Heber", im Jahr 2020 zurückgetreten.