Interview mit dem Bundestrainer Löw: "Nach vorne hin muss die Post abgehen"

Stand: 19.06.2021 08:17 Uhr

Nach der Niederlage gegen Frankreich steht Deutschland gegen Portugal am Samstag (19.06.2021) unter großem Druck. Bundestrainer Joachim Löw äußert sich im Exklusiv-Interview mit dem ARD-Hörfunk zu System und Taktik, Offensive und Defensive - und wie Cristiano Ronaldo gestoppt werden soll.

Jogi Löw, der Countdown läuft. Nach der Niederlage im Auftaktspiel gegen Frankreich ist es jetzt gegen Portugal womöglich schon entscheidend. Wie gehen Sie mit dem Druck um?

Joachim Löw: Mit dem Druck gehen wir um wie eigentlich immer. Der Druck hat sich jetzt nicht entscheidend verschlimmert. Natürlich wissen wir, dass wir jetzt ein positives Ergebnis brauchen, aber damit können wir schon auch umgehen. Gegen Frankreich war auch das eine oder andere positiv, jetzt müssen wir noch einige Dinge korrigieren. Die letzten zwei Tage haben wir intensiv darüber gesprochen, was wir besser machen müssen. Ich glaube, dass die Mannschaft einen Schritt weiter ist und dass wir die Dinge auch besser lösen.

80 Millionen "Bundestrainer" diskutieren über die Frage Dreier- oder Viererkette. Damit verbunden ist auch die Frage: Wo spielt Joshua Kimmich? Können Sie uns schon etwas verraten?

Löw: Es wird beim Turnier immer Diskussionen geben über Aufstellungen und übers System. Das System hat eigentlich nichts mit der Taktik zu tun. Wir haben schon gesehen, wo wir unsere Probleme hatten, und die hatten gar nichts mit dem System zu tun, sondern einfach mit dem Mut, verschiedene Räume anzugehen, dem Mut, nach vorne zu spielen, nicht immer manche Pässe zurückzuspielen, einfach mal durchzulaufen mit der richtigen Intensität. Das hat mit System überhaupt nichts zu tun. Das ist für mich keine Diskussion, darauf lasse ich mich jetzt auch nicht ein.

Taktische Inhalte sind wichtig. Ob man hinten zu viert spielt mit vier Verteidigern oder mit drei, das spielt nicht die entscheidende Rolle, sondern: Wie werden die Aufgaben interpretiert. Und wir müssen offensiv sein, das wollten wir auch schon gegen Frankreich - das ist nicht so gelungen.

Offensiv besser spielen und die Defensive nicht vernachlässigen, gerade gegen den Superstar Cristiano Ronaldo. Der ist schon 36, aber noch top drauf. Wie kann man den stoppen?

Löw: Ich glaube, es ist nicht nur das Thema Cristiano Ronaldo. 2014 und 2016 war ja alles irgendwie fokussiert auf ihn, das ganze Spiel lief immer über ihn. Heute gibt es Bruno Fernandes, es gibt Silva, Jota, João Félix, also all diese Spieler sind offensiv gut. Cristiano Ronaldo ist natürlich nach wie vor stark und einer der besten Vollstrecker, die es gibt. Aber wir müssen auch auf andere aufpassen. Also Gleichgewicht, gleiche Defensivleistung, gleiche Zweikampfstärke, hellwach sein - und nach vorne hin muss die Post abgehen.

Also einen Sonderbewacher kriegt Ronaldo nicht?

Löw: Nein, das machen wir ja grundsätzlich nicht. Cristiano Ronaldo ist ja auch so, dass er häufig auf links rausgeht, mal auf rechts auf den Flügel. Da wollen wir nicht alles aufreißen lassen, sondern den Raum, wo jemand ist, zumachen. Da müssen wir den Gegner bekämpfen. Das ist die Aufgabe.

Sie wirken schon richtig "on fire". Sind das die Spiele, für die man lebt als Trainer?

Löw: Natürlich, klar. Ich hätte mir auch gewünscht, dass wir gegen Frankreich zumindest mit einem Punkt nach Hause fahren. Wir haben schon dieses Selbstbewusstsein und auch dieses Selbstverständnis, dass wir es besser können und dass wir auf Augenhöhe sind mit Portugal. Wir sind vielleicht mehr unter Druck als beim ersten Spiel, aber den Druck können wir schon auch gut ab. Sonst dürften wir nicht hier sein. Von daher sind wir alle ehrgeizig, hochmotiviert. Wir wollen es besser machen, und ich traue es der Mannschaft zu. Und die Mannschaft ist auch heiß.

Anmerkung der Redaktion: Die schriftliche Version des Interviews wurde leicht gekürzt und sprachlich angepasst. Der Inhalt bleibt davon unberührt.