Italien - England 4:3 nach Elfmeterschießen Italien feiert den EM-Titel - England erlebt das nächste Elfmeter-Trauma

Stand: 12.07.2021 00:57 Uhr

25 Jahre nach seinem legendären Fehlschuss im EM-Halbfinale gegen Deutschland hat Englands Trainer Gareth Southgate das nächste Elfmeter-Drama erlebt. Das Finale der EURO 2020 gewann Italien nach dem ultimativen Showdown vom Punkt.

Mit ihrem 4:3-Erfolg nach Elfmeterschießen am Sonntagabend (11.07.2021) vor 60.000 Fans im Wembley-Stadion feierten die Italiener ihren zweiten Triumph bei einer Europameisterschaft. Dabei sah es am Ende zunächst so aus, als könnten die Engländer ihren Elfmeterfluch besiegen: Harry Kane und Harry Maguire hatten sicher verwandelt, Andrea Belotti hatte für Italien verschossen.

Doch dann versagten nacheinander Marcus Rashford, Jadon Sancho und Bukayo Saka - Rashford und Sancho hatte Southgate erst in der 119. Minute extra für das Elfmeterschießen eingewechselt, auch der 19-jährige Saka war nur Joker gewesen.

Southgate mit der "Deutschland-Taktik"

Der Blick auf den Aufstellungsbogen verhieß aus Sicht der Engländer erstmal: Respekt. Den hatten einige ihrer Fans zuvor einmal mehr vermissen lassen und die Nationalhymne der Italiener ausgebuht. Auf dem Rasen gaben die "Three Lions" ihre mutige Ausrichtung aus den beiden vorausgegangenen K.o.-Partien gegen die Ukraine und Dänemark scheinbar auf. Southgate war zur Taktik aus dem Achtelfinale gegen Deutschland zurückgekehrt, dem - gemessen an Torabschlüssen - ärmsten Spiel dieser EURO: nur drei Offensive, defensiv eine Dreierkette, die gegen den Ball zum Fünferriegel wird.

Und gleich die erste Szene spiegelte Verunsicherung wider: Harry Maguire schoss den Ball bei einem Rückpassversuch auf Keeper Jordan Pickford unbedrängt über die Torauslinie. Doch der Eckball erwies sich als Bumerang, und die vermeintliche Igeltaktik als Fake. Denn im Konter rückten sowohl Kieran Trippier auf der rechten als auch Luke Shaw auf der linken Seite komplett mit auf und schafften so Überzahl auf beiden Außenbahnen - und Verwirrung bei der italienischen Abwehr, wer wen zu decken und zu übernehmen hat.

Früher Schock durch Trippier und Shaw

Daraus resultierte der frühe Schock für die Mannschaft von Roberto Mancini: Nicht mal zwei Minuten waren gespielt, als Trippier rechts nicht an der Flanke gehindert wurde und Shaw nach einem Lauf über 85 Meter links im Rücken von Harry Kanes Bewacher Giovanni Di Lorenzo durchstartete - und die präzise Hereingabe technisch brillant per Dropkick zum 1:0 ins kurze Eck beförderte.

Den Italienern inklusive Mancini fiel dazu erstmal gar nichts ein. Die "Squadra Azzurra" wirkte ratlos, zunehmend sogar genervt, verfiel in eine negative Körpersprache und fand lange nach vorne überhaupt nicht statt. Ciro Immobile war ein Fremdkörper, Lorenzo Insigne probierte es mit sinnlosen Einzelaktionen, Nicolò Barella war mehr in der Rückwärtsbewegung gefordert als Angriffe einzuleiten - und über die Außenbahnen kam gar nichts.

Erster Warnschuss von Chiesa

Erst in der 35. Minute zog Federico Chiesa mit einem beherzten Antritt Declan Rice davon, hielt hart und flach aus 20 Metern drauf. Pickford reagierte nicht einmal, hatte aber Glück, dass der Ball knapp am rechten Pfosten vorbeirauschte.

England machte es sich in dieser Phase ein wenig zu bequem, verfiel in den Verwaltungsmodus und lauerte nur noch auf Konter. Doch Italien schaltete nach Ballgewinnen einfach zu langsam um. Sinnbild der kollektiven Ratlosigkeit war kurz vor der Pause ein 35-Meter-Schuss von Innenverteidiger Leonardo Bonucci, der gegen acht tief stehende Engländer keine Anspielstation gefunden hatte - sein Versuch scheiterte aber kläglich, und Mancini reckte verärgert die Arme in die Luft.

Sterling versucht es wieder - aber nicht mit Kuipers

Es wäre seine Aufgabe gewesen, in der Pause taktisch etwas zu ändern, doch Italiens Coach schickte sein Team zunächst personell unverändert aufs Feld zurück. England versuchte wieder früh, ein Tor zu erzielen, allerdings mit unsportlichen Mitteln: Raheem Sterling hob wie im Halbfinale gegen Dänemark im Strafraum nach einer Mini-Berührung spektakulär ab, zum Glück ließ sich der vorzügliche Schiedsrichter Björn Kuipers aber nicht zu einem ähnlich lächerlichen Elfmeterpfiff wie sein Landsmann Danny Makkelie hinreißen.

Italiens Offensivaktionen wurden danach vehementer. Ein Freistoß von Insigne strich knapp am Winkel vorbei, Pickford lenkte einen verdeckten Flachschuss von Chiesa mit einem Super-Reflex um den Pfosten. England verfiel nun in den Riegelmodus, den schon die Aufstellung verheißen hatte und stand so tief wie einst Chelsea vor neun Jahren im "Finale Dahoam" bei den Bayern.

Bonucci bestraft Englands Passivität

Die Strafe folgte in der 67. Minute. Nach Domenico Berardis Ecke brach in der englischen Abwehr Chaos aus, Giorgio Chiellini und Marco Verratti scheiterten mit ihren Versuchen, aber Bonucci drückte den Abpraller aus kurzer Distanz zum 1:1 über die Linie.

Southgate reagierte schnell, stellte mit der Hereinnahme von Bukayo Saka für Trippier auf Viererkette und Dreier-Mittelfeld um, um nach der totalen Passivitäts-Phase wieder mehr Zugriff zu bekommen. Immerhin erreichte der Coach, dass sich das Übergewicht der Italiener nicht mehr in klaren Torchancen niederschlug, sodass sich seine Mannschaft bis in die Verlängerung rettete. Letztlich hielt dann aber die unglaubliche Serie, die Mancini und sein Team durch die vergangenen beiden Jahre trägt: 34 Spiele hintereinander haben sie inzwischen nicht mehr verloren.