EURO 2020 Die Favoriten auf den EM-Titel - Deutschland eher nicht

Stand: 26.06.2021 11:36 Uhr

Italien, Belgien, Portugal, Niederlande, Spanien, Frankreich und England heißen die Sportschau-Favoriten auf den EM-Titel nach der Vorrunde. Die deutsche Mannschaft gehört allerdings nicht zwingend dazu.

Italien - das Team der Rekorde

Die Italiener gelten plötzlich als Top-Favorit auf den EM-Titel. Untermauert wird das von beeindruckenden Zahlen und Rekorden. Mit der vollen Punktzahl und einem Torverhältnis von 7:0 zog das Team von Coach Roberto Mancini ins Achtelfinale ein und verbuchte die zweitbeste Gruppenbilanz der EM-Geschichte.

Italien ist seit 30 Länderspielen unbesiegt und stellte mit dem Sieg gegen Wales den Verbandsrekord aus den 1930er Jahren ein. Die bislang letzte Niederlage für die aktuelle Mannschaft gab es im September 2018 gegen Portugal in der Nations League. Am Tag des Achtelfinales liegt diese Pleite unfassbare 1.020 Tage zurück.

I-Tüpfelchen auf alledem: Italien hat sogar die vergangenen elf Partien gewonnen und auch damit den Rekord der "Squadra Azzurra" eingestellt. Bei diesen elf Siegen kassierte das Mancini-Team kein Gegentor, es ist insgesamt seit 1.055 Minuten ohne Gegentreffer.

Der Bestwert der "Azzurri" liegt bei zwölf Zu-Null-Spielen hintereinander und wurde Mitte der 1970er Jahre mit dem legendären Dino Zoff aufgestellt. 88 weitere Minuten fehlen, um auch diesen Rekord einzustellen.

Belgien - selbstbewusst und bärenstark

Die Operation Titelgewinn der "goldenen Generation" läuft. Auch der FIFA-Weltranglistenerste hat die Gruppenphase mit drei Siegen makellos überstanden, das war den "Roten Teufeln" bei einer EM nie zuvor gelungen. Die große Stärke der Belgier ist natürlich die Offensive um Tormaschine Romelu Lukaku. Gegen Finnland erzielte der 28-jährige Superstürmer seinen dritten Treffer bei dieser EM - es war sein 45. Tor im 44. Länderspiel unter Trainer Roberto Martinez.

Eine Schlüsselfigur ist auch Kevin De Bruyne, der an den vergangenen vier Treffern der Belgier beteiligt war. Er kam nach seinem im Champions-League-Finale erlittenen Augenhöhlen- und Nasenbeinbruch gegen Dänemark zur zweiten Spielhälfte auf den Platz und verkörperte die Extraklasse, die für die Wende im Spiel sorgte. Auch gegen Finnland war er der Mann für die entscheidenden Momente, diesmal als Starter: De Bruyne schlug die Ecke zum 1:0 und gab den Assist zum 2:0 für Lukaku.

Womöglich feiert De Bruyne bei einem Elfmeterschießen gegen Portugal im Achtelfinale in seinen 30. Geburtstag am Montag hinein. Kollege Lukaku widerspricht voller Selbstbewusstsein: "Ich glaube nicht, dass es zum Elfmeterschießen kommt. Wir schaffen das vorher."

Belgien ist seit zwölf Länderspielen ungeschlagen, fuhr dabei zehn Siege und zwei Remis ein. Von den vergangenen 26 Länderspielen haben die Belgier überhaupt nur eines verloren, am 11. Oktober 2020 in der Nations League in England mit 1:2. Ansonsten gab es in diesem Zeitraum drei Remis und satte 22 Siege.

Portugal - Ronaldo, Ronaldo, Ronaldo

Titelverteidiger Portugal, das ist Ronaldo, Ronaldo, und noch einmal Ronaldo. Unglaublich, was der Mann mit seinen 36 Jahren noch zu leisten vermag. Cristiano Ronaldo war an den vergangenen sechs der sieben Treffer Portugals bei dieser EM direkt beteiligt - fünf Mal traf er selbst, einmal war er der Vorbereiter. Er ist der erste Spieler seit Michel Platini im Jahr 1984, der in einer EM-Vorrunde fünf Tore erzielte - dem Franzosen gelangen damals sogar sieben Treffer in den ersten drei Partien.

Mit 14 Toren ist Ronaldo nun vor Platini (insgesamt neunTreffer) mit großem Abstand der Rekordtorschütze bei Europameisterschaften. Gegen Frankreich stellte er mit seinem Doppelpack sogar noch zwei Weltrekorde auf: Mit 109 Länderspieltoren holte er den iranischen Rekordhalter Ali Daei ein und mit 21 Treffern bei Europameisterschaften und Weltmeisterschaften überflügelte er den deutschen Rekordhalter Miroslav Klose (19 Tore).

Trifft der 36-jährige auch gegen Belgien, könnte er zum ältesten Torschützen in einem K.o.-Spiel bei einer EM werden. Bisher ist das Miroslav Klose, der 2012 kurz nach seinem 34. Geburtstag im Viertelfinale gegen Griechenland traf.

Niederlande - die bislang beste Offensive

Auch die Niederlande haben eine perfekte Vorrunde gespielt. Das Team von Trainer Frank de Boer stand bereits nach dem zweiten Spieltag als Gruppensieger fest, gab sich aber auch in der dritten Partie gegen Neuling Nordmazedonien keine Blöße und gewann ungefährdet mit 3:0. Auch die Stärke der Niederländer ist die Offensive. Sie erzielten in der Vorrunde acht Tore und damit die meisten aller Teams nach den Gruppenspielen.

Ganze starke Auftritte zeigte Stürmer Memphis Depay. Gegen Österreich traf er per Strafstoß, gegen Nordmazedonien legte er dann mit einem Treffer und zwei Assists nach. Er war der erste Niederländer mit drei Scorer-Punkten in einem EM-Spiel seit Patrick Kluivert im Jahr 2000 gegen Jugoslawien (beim 6:1 hatte er drei Mal getroffen). Depays zwei Assists und vier Scorer-Punkte übertrifft bei dieser EM kein Niederländer.

Eine zentrale Rolle spielt auch Mittelfeldmann Georginio Wijnaldum. Der Kapitän war der einzige Feldspieler der Niederländer, der in der Vorrunde keine Minute verpasst hat. Er schoss drei Tore und damit die meisten in seinem Team. Gegen Nordmazedonien wurde er zum ersten niederländischen EM-Doppelpacker seit Ruud van Nistelrooy 2004.

Spanien - im Turnier angekommen

Der Europameister von 1964, 2008 und 2012 fand nur schwer ins Turnier. Erst im dritten Gruppenspiel fuhr Spanien nach zwei Unentschieden gegen Schweden (0:0) und Polen (1:1) den ersten Sieg bei dieser EURO ein und meldete sich mit dem 5:0 gegen die Slowakei im Kreis der Mitfavoriten zurück. Womöglich sind die Iberer mit diesem Erfolg richtig bei der EURO angekommen.

Auch wenn die Mannschaft von Trainer Luis Enrique nicht den Glanz früherer Jahre versprüht, bleibt festzuhalten, dass sie keins der der vergangenen elf Länderspiele verloren hat und dabei fünf Siege und sechs Remis verbuchte. Die bislang letzte Niederlage gab es im Oktober 2020 in der Nations League mit 0:1 in der Ukraine. Dank ihrer Technik können sich die Südeuropäer auch mit jedem Gegner messen: Bei dieser EM beispielsweise war Spanien in der Gruppenphase das zweikampfstärkste Team mit 55 Prozent gewonnenen Duellen.

Quo vadis, Frankreich?

So richtig schlau wird man aus dem Weltmeister bislang nicht. Frankreich wurde zwar wieder Gruppensieger, aber nicht überzeugend. Dem 1:0-Sieg über Deutschland folgten zwei Unentscheiden gegen Ungarn (1:1) und Portugal (2:2). Andererseits haben die Franzosen seit Juni 2019 keines von 19 Pflichtspielen verloren - bei 14 Siegen und fünf Remis. Damals gab es in der EM-Qualifikation ein 0:2 in der Türkei.

Und natürlich können die Franzosen auf überragende Einzelkönner bauen wie das Offensiv-Trio Kylian Mbappé, Antoine Griezmann oder Rückkehrer Karim Benzema. Der schnürte zuletzt gegen Portugal einen Doppelpack, traf damit in seinem neunten EM-Spiel erstmals und erzielte auch seine ersten Treffer nach seinem Comeback im Nationalteam.

England - die effektiven Minimalisten

England siegte in der Vorrunde zweimal mit 1:0, spielte einmal 0:0 und kam so mit einem Torverhältnis von 2:0 mit sieben Punkten zum Gruppensieg - effektiver geht es nicht. Es blieben aber nach diesen Leistungen viele Fragen offen. Ist England das sprichwörtliche Pferd, dass nur so hoch springt, wie es muss, oder sind die "Three Lions" wirklich so schwach, wie es die bisherigen Auftritte suggerieren?

Im Achtelfinale gegen Deutschland kommt nun der Tag der Wahrheit für das Team von Coach Gareth Southgate. Vorteil für England ist natürlich, dass das Spiel im heimischen Wembley-Stadion über die Bühne geht. Ein Nachteil ist, dass es zum Elfmeterschießen kommen könnte. Englands Zeitungen rollen bereits die bitteren Episoden bei der WM 1990 oder der EM 1996 wieder auf, als die "Three Lions" im Elfmeterschießen an Deutschland scheiterten.

Deutschland - wie eine Wundertüte

Man muss es leider deutlich sagen: Nach den bisherigen Leistungen gehört die deutsche Mannschaft nicht zwingend zu den Favoriten auf den Turniergewinn. Sicher, die Leistung beim 0:1 gegen Frankreich war in Ordnung, mehr aber auch nicht. Beim 4:2 gegen Portugal kam Hoffnung auf, dass sich die Manschaft gefunden hat. Doch dieser Eindruck wurde beim 2:2 gegen Ungarn, wo das Löw-Team am Rande des Ausscheidens stand, brutal zerstört. Leon Goretzkas Treffer verhinderte spät den Knockout.

Der deutsche Nationalspieler Leon Goretzka jubelt über sein Tor und formt mit seinen Händen ein Herz.

Gegen England bedarf es einer deutlichen Steigerung, wenn man das Viertelfinale erreichen will. Ob das gelingt, ist wie ein Blick in eine Wundertüte. Was in der Mannschaft tatsächlich steckt, man weiß es nicht so genau.