EURO 2020 EURO 2020 an elf Spielorten - Fazit der paneuropäischen EM

Stand: 12.07.2021 12:07 Uhr

Eine paneuropäische Europameisterschaft, die unter Corona-Bedingungen einige Besonderheiten geboten hat. Die Sportschau-Reporter mit Eindrücken aus den EM-Spielorten.

Gefühlschaos in Budapest - von Lea Wagner

Ich war vorher noch nie in Budapest und erst einmal sehr beeindruckt von dieser wunderschönen Stadt. Aufgrund des Einreisestops für Touristen, von dem Inhaber eines EM-Tickets ausgenommen waren, war die Stadt relativ leer, in den Restaurants saßen wir abends häufig alleine. Umso überraschter und im ersten Moment vielleicht auch schockierter war ich ein paar Tage später am ersten Gruppenspieltag der Ungarn, als sich 25.000 Menschen am Heldenplatz versammelten um gemeinsam zum Stadion zu marschieren.

Das war ein heftiger Kontrast zu den leeren Straßen und zu dem, was ich das letzte Jahr aufgrund von Corona gewohnt war. Von fremdenfeindlichen oder homophoben Rufen, die nach Berichten auch bei diesen Fanmärschen zu hören gewesen sind, habe ich nichts gehört. Beim Spiel Ungarn gegen Portugal haben mich beim Blick vom Spielfeldrand auf die gefüllten Ränge die Emotionen ganz schön gepackt. Da kamen so viele Erinnerungen hoch. An all die Geisterspiele, das letzte Spiel vor Zuschauern, das ich erlebt habe, bevor dann alles so schnell ging und sich innerhalb weniger Wochen fast alles geändert hat. Ich hatte Gänsehaut und war voller Hoffnung, dass alles gut gehen und ein volles Stadion wieder Normalität werden würde.

Ich habe viel mit einheimischen Ungarn gesprochen und mir die Situation erklären lassen, dass man nur geimpft oder genesen ins Stadion komme und schon früh die Hälfte der Bevölkerung doppelt geimpft worden sei. Ein mulmiges Gefühl blieb dennoch, ob es wirklich schon der richtige Zeitpunkt für ein volles Stadion ist. Als sich die Meldungen aus Schottland und England häuften, die Zahlen in Portugal und Russland wieder stiegen und spätestens seitdem auch Spanien wieder Risikogebiet ist, wusste ich - der Zeitpunkt war zu früh. Dennoch habe ich wunderbare Erinnerungen an diese Europameisterschaft in Budapest, die mir noch einmal verdeutlicht hat, dass der Fußball ohne diese echten Emotionen, das Mitfühlen von den Rängen, für mich nicht der Gleiche ist.

Herzlich, offen und gastfreundlich - Sabrina Bramowski aus Amsterdam

Den Haag ist in Fußballzeiten Oranjestraat. Fünf Wochen lang haben Danny van Dijk und die anderen Bewohner der Straße gebastelt und gearbeitet - den Backstein-Look in ein orangefarbenes Farbenmeer verwandelt. Mit einer 29 Kilometer langen Leine voller orangefarbener Fahnen, alle Häuser beflaggt mit Bannern, selbst Rafael van der Vaart war als Pappaufsteller zugegen.

In Zaadnam hat uns Frits Nieste im Löwenkostüm begrüßt. Vor und in seinem Haus - ganz klar - dominierte nur eine Farbe: Oranje. Und selbst das Kleid seiner Frau war natürlich orangefarben.

Herzlich, offen, gastfreundlich - so habe ich die Niederländer erlebt. Überall. Beflügelt von Erwartungen an ihr Team, mit viel Hoffnung und noch mehr guter Laune. Alle haben die Momente vor dem Spiel genossen. Das Zusammenkommen. Das Beisammensein. Wenn auch kleiner und ruhiger als sonst. Und die Vorfreude auf Fußball.

Im Stadion selbst fühlte ich mich immer sicher. Die Schnelltests - unangenehm, da sehr gründlich. Die Schleusen an den Eingängen - sehr genau. Bemerkenswert fand ich, dass extra Reinigungskräfte angestellt wurden, um - gefühlt - nach jedem einzelnen Stadionbesucher die berührten Geländer zu desinfizieren. Und das Spiel selbst, Niederlande gegen Ukraine: mitreißend, spannend, emotional. Eines der herausragendsten Gruppenspiele zu Beginn. Das 3:2 - nicht nur für Wout Weghorst - ein Hammer-Spiel. Nach anderthalb Jahren Geisterfußball in meiner Heimatliga, der dritten Liga, war diese EM-Reise auch etwas für die Seele - für mich persönlich. Menschen zu treffen. Schewtschenko zu interviewen. Die Stimmung im Stadion aufzusaugen. All das wiederzuhaben, was Fußball so schön macht. Und am Ende auch ausmacht.

Bunt und entschlossen - Andre Siems aus München

Dass München eine geile Stadt ist, das wusste ich eigentlich schon vorher. Die Biergärten, Baden in der Isar, die vielen Sehenswürdigkeiten: Alles toll! Aber München hat sich bei dieser EURO vor allen Dingen bunt und entschlossen gezeigt.

Vor dem Spiel gegen die Ungarn gab es fast nur ein Thema: Die Münchner EM-Arena sollte in Regenbogenfarben leuchten und damit für Toleranz, Offenheit und gegen jegliche Form von Diskriminierung stehen. Vor allen Dingen gegen Homophobie. Zwar hat das die UEFA am Ende verboten, aber München gab nicht auf.

Vor dem Stadion verteilten Drag Queens, Schwule und Lesben am Spieltag kleine Regenbogenfähnchen, das Windrad neben der Arena wurde in bunten Farben angestrahlt. Es war schon vor dem Spiel einfach eine ausgelassene Stimmung, die ich bei dieser EM sonst nie so speziell erlebt habe. Ein großes Wir gegen die Ausgrenzung Homosexueller. München hat mir gezeigt, wie man Fußball und Politik auf wunderbare Weise zusammenbringen kann.

Gänsehaut und Pathos - Julia Metzner aus Rom

Meine EM in Rom begann mit der großen Gänsehaut, weil die Italiener gut sind für Pathos. Und weil dieser Pathos diesmal noch intensiver war, als so eine Art gemeinsamer kleiner Schritt zurück ins Leben. Garniert mit dem Gesang des Startenors Andrea Bocelli und dem Sieg der italienischen Mannschaft gegen die Türkei.

Am Tag des Eröffnungsspiels galt in Rom aber nicht noch nur die Mund-Nasen-Schutzpflicht, sondern auch die Ausgangssperre. Die knapp 16.000 Zuschauer hatten eine Verlängerung für den Nachhauseweg erhalten. Die Straßen Roms waren nach Abpfiff also nicht mit feiernden Tifosi gefüllt, sondern ziemlich bald ziemlich leer. Die Disziplin der Italiener spiegelte irgendwie noch einmal das Leid und die Trauer um die vielen Corona-Toten in ihrem Land wieder.

Als ich fast vier Wochen später zum Viertelfinale zurückkam, spielte Italien sich weit weg in München ins Halbfinale. Die Sperrstunde war inzwischen aufgehoben worden. Der Jubel auf den Straßen über den Sieg der Italiener im fernen Deutschland war wieder lauter. Der Autocorso mit den italienischen Fahnen und viel Gehupe war zurück. Das letzte Spiel in Rom gewann dann übrigens England.

Abbruch in St. Petersburg - von Philipp Hofmeister

Das Schlimmste waren anfangs die Blicke der anderen: Maske tragen in geschlossenen Räumen – wo gibt’s denn sowas? In Russland offenbar nicht, gab es dort auch nie so richtig. Deshalb wurden wir in St. Petersburg auch angeschaut wie Außerirdische. Schon morgens beim Frühstück im Hotel saß immer irgendwie ein mulmiges Gefühl mit am Tisch.

Denn am Kaffeeautomaten neben hustenden, niesenden Menschen zu stehen, die offenbar noch nie etwas von Masken gehört hatten, das fühlte sich irgendwie… nicht richtig an und stand im krassen Kontrast zu einem eigentlich wunderbaren Sommer in dieser wunderbaren Stadt. Bis zu 30 Grad in St. Petersburg, weiße Nächte, in denen die Sonne kaum untergeht.

Eine Stadt, die so richtig zu leben begann und in der alles offen war: Nachtklubs, Bars, Kneipen, Restaurants. Rein gehen, Spaß haben, keine Sorgen machen – so wurde die ganze Pandemie in Russland von oben vorgelebt. Dann kam das, was kommen musste: explodierende Coronazahlen, unsere vorzeitige Abreise und die Gewissheit, dass zumindest Russland mit seinen insgesamt sieben EM-Spielen in diesem Sommer für dieses Turnier nicht unbedingt die optimale Wahl war.

Endspiel in Kopenhagen - von Jens Jörg Rieck

Mein erstes Spiel bei der EURO war ein Endspiel. Dänemark gegen Finnland im Parken. Eine Partie, die als Fußballspiel angepfiffen wurde. Die aber in ihrer Dramatik und vor allem in ihrer Botschaft nicht nur für mich unvergessen bleibt. Als in der 43. Minute Christian Eriksen kollabierte, das Herz des dänischen Mittelfeldstars stillstand und schnelle, lebenserhaltende Maßnahmen auf dem Platz das Schlimmste verhinderten, sandten die fast 25.000 Zuschauer ein Signal in die Welt, das für alle, die während der Pandemie über die Kollateralschäden an unserer Gesellschaft erschüttert sind, ein Licht der Hoffnung war.

25.000 bangten um das Leben eines Menschen. Und sie taten es mit Respekt. Keine dummen Zwischenrufe. Ein leiser Applaus, als nach eineinhalb Stunden Unterbrechung die ersten guten Nachrichten von Eriksen eintrafen, und schließlich die Wechselgesänge: Die finnischen Fans riefen "Christian". Die dänischen antworteten "Eriksen". Was für ein Moment – 25.000 Herzen schlugen für eins. 25.000 in einem Endspiel um Liebe und Menschlichkeit. Das Parken in Kopenhagen hat schon am ersten Spieltag das größte Finale geliefert.

Disziplin und Tore - Holger Dahl aus Sevilla

Meine EM-Reise nach Sevilla war in vielerlei Hinsicht besonders – natürlich auch, weil es sportlich spannend war. Es war im Grunde genommen der Moment, in dem Spanien in das Turnier zurückkam. 5(!):0 gegen die Slowakei mit einem spektakulären Eigentor des slowakischen Torhüters. Aber was mich viel mehr beeindruckt hat, war gerade in Corona-Zeiten die große Disziplin – sowohl in der Stadt als auch im Stadion. Bei Temperaturen von weit über 30 Grad trugen wirklich alle Menschen Masken. Das war schon sehr beeindruckend.

Auch im Stadion waren die Menschen wirklich sehr aufmerksam – ein sehr weites Rund, in dem die Menschen auf Abstand saßen. Das habe ich in keiner anderen Stadt so diszipliniert erlebt wie in Sevilla, und wenn es sportlich zusätzlich so beeindruckend ist, dann war es eine sehr gelungene Reise.