Roger Schmidt

Interview mit Roger Schmidt "Aufwand in der Jugendausbildung ist enorm"

Stand: 22.11.2023 12:42 Uhr

Roger Schmidt ist seit Sommer 2022 Cheftrainer Benfica Lissabons. Im Interview zeigt er sich beeindruckt von der Ausbildung der portugiesischen Spieler.

Sportschau: Roger Schmidt, wie beurteilen Sie die Jugendarbeit Benfica Lissabons?

Roger Schmidt: Der Aufwand ist enorm. Der Ausbildungsapparat ist riesig. Wenn man sich allein die Fülle der Mannschaften und Spieler vom Übergang-Nachwuchs-Profiteam anschaut: Benfica hat eine U19, eine U23, eine B-Mannschaft, die in der zweiten portugiesischen Liga spielt und das Profiteam. Allein durch die Fülle der Spieler erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass es jedes Jahr der ein oder andere zu den Profis schafft.

Sportschau: Wie wichtig ist für Benfica die Jugendarbeit?

Schmidt: Sie ist für den Verein essenziell. Die Jugendabteilung genießt höchstes Ansehen und ist riesig. Jedes Jugendteam hat nicht 20 Spieler, sondern die doppelte Anzahl. Man hat pro Jahrgang also immer zwei komplette Mannschaften - die Spieler wechseln ständig die Teams, die Positionen, Aufgaben. Unaufhörlich finden hier neben der Meisterschaft Vergleichsspiele statt. Es gibt es hier nicht, dass ein Spieler wenig Einsatzzeiten bekommt, weil er körperlich vielleicht noch Defizite hat. Er spielt - jeweils angepasst an seine Bedürfnisse.

Sportschau: Herrscht bei Benfica wirklich Durchlässigkeit zwischen Nachwuchs- und Profiabteilung?

Schmidt: Es schaffen jedes Jahr Spieler den Sprung. Das ist ein wichtiger Teil der Vereins-DNA. Spieler wie Antonio Silva und Joao Neves, die gerade aus der Jugend gekommen und heute bei mir Stammspieler sind, waren mir noch gar kein Begriff, als ich 2022 hier angefangen habe. Es gibt diese Durchlässigkeit, von der Benfica sehr profitiert. Vielleicht gibt es in Europa kaum einen Verein, der ähnlich erfolgreich Weltklasse-Spieler ausbildet.

Anke Feller, Sportschau, 22.11.2023 12:30 Uhr

Sportschau: Wie werden Ihnen als Profi-Cheftrainer die Talente präsentiert?

Schmidt: Die besten jungen Spieler bekommen Gelegenheit, bei uns mitzutrainieren. Dabei ist die Breite beeindruckend. Gerade während der Länderspielpause waren natürlich viele Spieler meines Profikaders mit ihren Nationalteams unterwegs. Ich hatte teils nur neun Spieler auf dem Trainingsplatz. Wir haben an einem Nachmittag dennoch ein Trainingsspiel Elf gegen Elf organisiert. Aufgefüllt wurde mit jungen Leuten aus den Nachwuchsteams. Da waren welche dabei, die hatte ich noch nie zuvor gesehen. Aber das Niveau dieses Trainingsspiels - das war echt stark. Richtig hohes Niveau.

Sportschau: Spüren Sie eine besondere Motivation der portugiesischen Spieler?

Schmidt: Für Benfica-Jugendspieler ist es der absolute Traum, einmal für das Profiteam auf dem Platz zu stehen. Sie wollen hier nicht weg. Sie geben alles für ihren Traum. Und wenn sie es ins Profiteam geschafft haben, sind sie unglaublich stolz. Dann haben sie regelrecht Angst davor, dass der Verein sie verkaufen könnte. Sie wollen für Benfica spielen.

Sportschau: Aber woanders könnten sie möglicherweise mehr Geld verdienen...

Schmidt: Um Benfica zu verstehen, muss man im Grunde einmal hier gewesen sein. Von rund zehn Millionen Portugiesen sind etwa sechs Millionen Benfica-Fans. Der Verein ist viel mehr als nur ein Fußballklub. Er bedeutet für die meisten der Portugiesen einen wichtigen Teil ihres Lebens. Wenn ein Benfica-Eigengewächs bei uns eingewechselt wird, geht ein Raunen durch das Stadion. Dann wird geklatscht und gejubelt, jede Aktion dieses Spielers wird gefeiert. Die Identifikation mit dem Verein ist immens.

Sportschau: Hört sich nach einem wenig einträglichen Umfeld für die Branche der Spielerberater an...

Schmidt: Kontinuität ist hier ein Schlüssel zum Erfolg und quasi selbstverständlich. Es ist nicht üblich, dass ein Jugendspieler den Verein wechselt. Wenn er nicht aus Leistungsgründen aussortiert wird, bleibt ein Benfica-Spieler bei Benfica, ein Sporting-Spieler wechselt ebensowenig wie einer vom FC Porto irgendwo anders hin. Spieler können sich so besser entwickeln und auch einmal Entwicklungsdellen überstehen.

Das Gespräch führte Olaf Jansen