Kritik von Rangnick, Baumgart, Watzke Ergebnisse im Kinderfußball abgeschafft? Das steckt dahinter
Rangnick, Baumgart, Watzke: Fußball-Prominente kritisieren, dass im Kinderspielbetrieb Ergebnisse und Tabellen abgeschafft werden. Zeit für einen genauen Blick auf die laufende Reform.
Es gibt Klärungsbedarf über den Spielbetrieb in Deutschlands Kinderfußball. Deshalb hält der Deutsche Fußball-Bund (DFB) am heutigen Mittwoch um 11 Uhr eine Pressekonferenz ab. Die Einladung dazu hatte er verschickt, nachdem Multi-Fußballfunktionär Hans-Joachim Watzke Anfang September die aktuell laufenden Reformen als "unfassbar" und "nicht nachvollziehbar" bezeichnet hatte.
Der BVB-Geschäftsführer und DFB-Vizepräsident beklagte vor allem, dass Kinder künftig angeblich nicht mehr lernen zu verlieren. Er stieß damit ins selbe Horn wie einige Fußball-Prominente vor ihm.
Steffen Baumgart in seinem Element
So hatte sich etwa Steffen Baumgart beim Podcast "Einfach Fußball" mit WDR-Moderator Sven Pistor vor Live-Publikum in Rage geredet. Der Trainer des 1. FC Köln sprach im August launig und frei Schnauze über viele Themen, auch über die Reform des Kinderfußballs. "Gar nichts" halte er davon, dass bei den G-, F- und E-Junioren Ergebnisse und Tabellen wegfallen werden.
Es folgte ein Rundumschlag (ab Min. 26:10): "Wir sind eine Generation, die nur noch den weichen und seichten Weg geht. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Es ist doch nicht schlimm, wenn ein Kind verliert. Es muss doch lernen, mit Niederlagen umzugehen. Ich muss doch lernen, Spaß an dem Sport zu haben, nicht nur wenn ich zehn Tore schieße."
Kinderfußball: Festivals statt Vereinsduelle
Der Hintergrund: Nach mehreren Jahren mit Pilotprojekten stellen die Landes- und Kreisverbände nach und nach den Ligabetrieb der Kinder um. Nach einer Vorgabe des DFB sollen ab der Saison 2024/25 deutschlandweit die sogenannten neuen Spielformen verbindlich eingeführt werden, von der U6 (Bambinis) bis zur U11 (E-Jugend).
Der klassische Ligabetrieb mit Vereinsduellen meist im 7 gegen 7 wird dort ersetzt durch sogenannte Festivals mit kleineren Teams und mehreren Feldern. Die Kleinsten spielen überwiegend auf vier Minitore, mit zunehmendem Alter vermehrt auch auf zwei Jugendtore.
Auch die Zahl der Mitspieler wächst mit der Zeit, vom 2 gegen 2 bei den Kleinsten bis zum 5 gegen 5 oder 7 gegen 7 in der E-Jugend. So sollen die Kinder hineinwachsen in die Anforderungen des Großfeldfußballs und des Ligabetriebs ab der D-Jugend.
Kritik auch von Rangnick und Hamann
Bisher waren auch bei den Kleinen vielerorts Tabellen und Ergebnisse online nachlesbar, mitunter mit niederschmetternden Resultaten wie 1:18 oder 0:22. Die neuen Festivals enden ohne Resultat, die Ergebnisse der einzelnen Spiele werden nicht offiziell festgehalten.
Daran stößt sich auch Österreichs Nationaltrainer Ralf Rangnick. Er sagte, das Ergebnis, das Gewinnen müsse immer im Vordergrund stehen. Ex-Nationalspieler Dietmar Hamann meinte gar, den Kindern werde das Leistungsprinzip austrainiert, "darunter wird der Spaß leiden".
Sieg und Niederlage gibt es weiterhin
Diese Äußerungen vermitteln den Eindruck, dass der Ausgang eines Spiels künftig gar keine Rolle mehr spielt im Kinderfußball. Dem widerspricht Markus Hirte eindringlich. Der Leiter der Talentförderung beim DFB verweist auf das Champions-League-Prinzip bei den Spielfesten: Die Gewinnermannschaft rotiert ein Spielfeld vor, das Verliererteam ein Feld zurück. "Das provoziert noch mehr Wettbewerb und Ergebnisse", sagte Hirte im August gegenüber Sport inside. "Das ist sehr intensiv."
Wichtig sei die intrinsische Motivation, also die innen kommende, sagt Joti Chatzialexiou, der sportliche Leiter der DFB-Nationalmannschaften. "Auch mit Blick auf die Nationalmannschaften und den Profibereich wollen wir Fußballer haben, die intrinsisch motiviert gewinnen wollen und nicht, weil es eine Tabelle gibt."
Ergebnis und Gewinnen, aber weniger Druck von außen
Den naturgegebenen Ehrgeiz betont auch U15-Nationaltrainer Christian Wück. "Bei den Kindern geht es immer um das Ergebnis, die wollen immer gewinnen, die wollen immer gut spielen." Was dagegen reduziert werden soll, ist der Druck von außen. "Wichtig ist, dass es bei den Trainern, Eltern und Verwandten nicht um das Ergebnis geht."
Im klassischen Spielbetrieb würden die Trainerinnen und Trainer dazu verleitet, unter der Woche so zu trainieren, dass das Ergebnis am Wochenende stimme, argumentieren Befürworter der Reform. Bedeutet beim Spiel 7 gegen 7: taktische Vorgaben, feste Positionen und mehr Spielanteile für die schon weiter entwickelten Kinder.
Neuer Spielbetrieb schon vielerorts Pflicht
Während die öffentliche Diskussion um wegfallende Tabellen kreist, ist die laufende Reform deutlich vielschichtiger. Der DFB hat beim alten Spielbetrieb Schwächen erkannt: Starre Teamgrößen führten dazu, dass einige Kinder kaum oder nur wenig Einsatzzeiten bekamen. Und im 7 gegen 7 reißen die zwei Besten eines Teams das Spiel an sich, während die anderen nur wenige Aktionen haben.
Auch wenn Baumgart bei "Einfach Fußball" sagte, "kein Kind der Welt hat beim Fußball keine Freude", hat der DFB anderes festgestellt: Viele Kinder hätten im bisherigen Spielsystem Frust erlebt, zu viele kehrten dem Fußball noch in jungen Jahren den Rücken. Die neuen Spielformen mit kleineren Teams sollen deshalb den Spaßfaktor erhöhen, mehr Erfolgserlebnisse und Entwicklungschancen für alle Kinder bieten. Profitieren sollen der Profi- wie der Breitensport.
Schon zu dieser Saison, ein Jahr vor der flächendeckenden Einführung 2024, stellen viele Landes- und Kreisverbände den Spielbetrieb verpflichtend um. Das führt mancherorts zu Unmut, denn die Organisation ist im Detail oft noch nicht ausgereift und ohnehin aufwändiger als bisher.
Wegen DFB-Plänen: Protest-Liga im Breisgau
Zudem müssen nun einige ältere Teams, die schon den klassischen Spielbetrieb erlebt haben, umsteigen auf Festivals. Das können Kinder, Trainer und Eltern als Rückschritt empfinden. Im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald hat sich sogar eine alternative E-Jugend-Liga außerhalb des DFB gebildet.
Der Deutsche Fußball-Bund setzt darauf, dass sich die Aufregung legen wird, wenn die erste Generation Kinder mit dem System groß geworden ist. Chatzialexiou verweist auch darauf, dass andere Länder den Kinder-Spielbetrieb schon vor Jahren umgestellt haben: Belgien, die Niederlande, die Schweiz und auch England.
Nationalspieler Musiala: "Viel weniger Druck"
Dort hat Deutschlands Nationalspieler Jamal Musiala das Fußballspielen erlernt, er spielte im Alter von sieben bis 16 erst bei Southampton und dann lange beim FC Chelsea. In der BBC zog Musiala im Juni 2022 einen Vergleich: "In Deutschland gibt es schon für unter Zehnjährige ein Ligensystem, wohingegen das in England bis zur U18 nicht üblich ist. Da hat man viel weniger Druck und mehr Zeit, sich zu entwickeln, man kann viel freier spielen."
Das Fehlen von Tabellen scheint Musiala zumindest nicht geschadet zu haben.