Frauenfußball | Nationalmannschaft DFB-Frauen - Zwischen Halbfinalträumen und Quartiersfrust

Stand: 25.11.2021 19:30 Uhr

Für die Frauen-EM 2022 in England hat der DFB ein klares Ziel: Das Halbfinale soll es sein - mindestens. Der Alltag sieht erst einmal wenig attraktive WM-Qualifkationsspiele und eine frustrierende Quartierssuche in England vor.

Martina Voss-Tecklenburg hat sich nicht lange bitten lassen. Für die Bundestrainerin ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die deutschen Fußballerinnen sich an einer Kampagne gegen Gewalt an Frauen beteiligen. Deshalb wird die deutsche Frauen-Nationalmannschaft beim WM-Qualifikationsspiel gegen die Türkei in Braunschweig (Freitag, 16 Uhr) auch Aufwärmshirts mit dem Slogan "Stoppt Gewalt gegen Frauen!" tragen.

Die UN-Women-Kampagne "Orange the World" findet jährlich zwischen dem 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, und dem 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, statt. "Wir wollen ein Zeichen setzen und uns klar positionieren", sagte Voss-Tecklenburg. "Gewalt gegen Frauen ist ein absolutes No go. Wir möchten Mut machen, ‘Nein’ zu sagen, bevor Grenzen überschritten werden, und dazu aufrufen, das Thema - gerade wenn es um häusliche Gewalt geht - zu enttabuisieren."

Oliver Bierhoff legt die Messlatte hoch

Den Aufruf tragen die Nationalmannschaften der Frauen und Männer gemeinsam vor. Doch nicht nur dafür kommen die Bundestrainerin und Bundestrainer Hansi Flick, Sara Däbritz und Manuel Neuer neuerdings zusammen. Dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) ist generell ein Anliegen, den sportlichen Gleichklang seiner beiden Aushängeschilder herauszustellen. Am Mittwochnachmittag (24.11.21) ließen sich der noch in London weilende Flick und Voss-Tecklenburg aus dem Teamhotel in Wolfsburg gemeinsam bei einem Medientermin zuschalten.

Zwei Bildschirme, ein Ziel: "Unter die letzten vier kommen bei Frauen und Männern. Alle zehn Jahre ein Titel", erneuerte Oliver Bierhoff als Direktor Nationalmannschaften aus einer Loge der Frankfurter Arena die Vorgabe. Heißt im Klartext: Beim nächsten Großereignis, der EM 2022 in England (6. bis 31. Juli), sollen die DFB-Frauen nicht wie bei der EM 2017 oder WM 2019 ihr jeweils ziemlich unnötiges Ausscheiden im Viertelfinale betrauern, sondern bitteschön mal wieder bis ins Halbfinale vordringen.

Konkret bezogen auf den Gastgeber forderte Bierhoff: "England ist Vorbild darin, wie sie den Frauenfußball mithilfe der Premier-League-Vereine pushen. Wir als deutscher Fußball müssen nachlegen. Andere Nationen haben aufgeholt, uns vielleicht auch überholt, aber als Fußballland, das wir sind, wollen wir Weltspitze sein."

Fehlende Wertschätzung bei den Quartierangeboten

Aber schon die EM-Vorrundengruppe mit Spanien, wo der FC Barcelona gerade die Messlatte auf Vereinsebene bildet, und dem Vizeeuropameister Dänemark birgt Stolpergefahr. Das ergab Ende Oktober die pompös orchestrierte Auslosung in Manchester. Als "echt frustrierend" empfand die Bundestrainerin danach die Inspektionsreise auf die Insel zur Quartiersuche. "Es ist nicht gut, was uns da angeboten wird. Alle 16 Teams waren nicht zufrieden mit den Hotels und Plätzen", bemängelte die 53-Jährige am Vortag des Türkeispiels.

Es passe einfach nicht, wenn die UEFA ständig die Förderung des Frauenfußballs betone, aber die angebotenen EM-Quartiere hinten und vorne nicht zu den Ansprüchen passten. 45 Minuten einfache Fahrzeit zum Trainingsplatz seien nicht hinnehmbar, auch die Unterbringung sei "nicht adäquat".

Diese sportlichen Rahmenbedingungen müssten einfach stimmen. Ende November soll der DFB seine Priorisierung bei den Hotels angeben - oder muss ein Ersatzcamp auftreiben, was im Großraum London nicht einfach ist. Bei der sportlichen Leitung der DFB-Frauen drückt dieses Thema erkennbar auf die Stimmung.

Hohe Impfquote bei den DFB-Frauen

Ihre persönlichen Ambitionen sind verbürgt, die meinungsfreudige Fußballlehrerin vom Niederrhein macht sich gefühlt rund um die Uhr Gedanken zur ganzheitlichen Förderung in ihrem Segment. Fast nebenbei hat sie jetzt erwähnt, dass die Impfquote bei den deutschen Spielerinnen bei "nahezu 100 Prozent" liegt. Corona-Probleme wie sie Flick bei den letzten Länderspielen geplagt haben sind ihr im Moment noch fremd.

Der Weg bei der Weiterentwicklung bleibt gleichwohl steinig. Das geht schon damit los, dass auch in Braunschweig gegen die Türkei nur 3.000 Zuschauer erwartet werden, nachdem sich zuletzt gegen Israel (7:0) ganze 1.814 Besucher im Essener Stadion verloren. Ein Problem ist, dass sich Erkenntnisgewinn und Unterhaltungswert gegen überforderte Gegner in den Qualifikationsspielen auch jetzt wieder in Grenzen halten werden.

Portugal wird ein echter Prüfstein

Voss-Tecklenburg rechnet bei der Türkei mit dem nächsten Gegner, der "tief stehen" wird. Da brauche es Kreativität, Mut und Geschwindigkeit. Nichtsdestotrotz: "Ich erwarte einen deutlichen Sieg." Enger wird es erst beim Jahresabschluss, wenn es in Faro gegen den Gruppenzweiten Portugal (30.11.2021/19 Uhr) geht. "Sie werden uns fordern mit ihren technisch tollen Spielerinnen", glaubt die Bundestrainerin. "Wir sehen Portugal als die anspruchsvollste Aufgabe in unserer Gruppe."

Doch besteht kein Zweifel daran, dass mit zwei Siegen jetzt noch im November ein "Riesenschritt in die richtige Richtung" (Voss-Tecklenburg), also zur WM 2023 nach Australien und Neuseeland gemacht werden soll. Kollege Flick hob dazu aus England den Daumen und wünschte viel Glück. Persönlich getroffen haben sich Bundestrainer und Bundestrainerin übrigens noch nicht - das Versäumnis soll bei einer Tagung aller DFB-Trainer im Dezember endlich nachgeholt werden. Sofern die Pandemie es bis dahin noch erlaubt.