Jubel bei den deutschen EM-Fußballerinnen
analyse

Viertelfinalsieg gegen Österreich Oberdorf und Bühl weisen Deutschland den Weg

Stand: 22.07.2022 12:08 Uhr

Im EM-Viertelfinale ragten ausgerechnet die beiden jüngsten Spielerinnen aus dem lange nervösen deutschen Team heraus: Klara Bühl (21) wurde als Spielerin des Spiels ausgezeichnet, Lena Oberdorf (20) stand ihr in nichts nach - und beide verdienten sich ein dickes Lob der Bundestrainerin.

Von Florian Neuhauss (London)

Julia Hickelsberger-Füller jagte dem Ball hinterher und konnte ihn auf einmal nicht mehr sehen. Lena Oberdorf hatte das Spielgerät, das seinem Namen "Flight" alle Ehre machte, elegant über den Kopf ihrer verdutzten Gegenspielerin gehoben und war Richtung österreichisches Tor davon gelaufen. Eine Szene, die eindrucksvoll belegte: Bei der jüngsten Spielerin in der deutschen Startformation passte im EM-Viertelfinale nahezu alles.

Lena Oberdorf hat mit so einer Leistung in einem EM-Viertelfinale bewiesen, dass sie eine ganz große Zukunft vor sich hat.
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg

"Ich habe heute gefühlt nur Zweikämpfe bestritten. Aber ich hatte auch zwei, drei gute Dribblings. Da war ich selbst überrascht, ich wusste gar nicht, dass ich das so gut kann", sagte die 20 Jahre alte Abräumerin im deutschen Mittelfeld lachend. Die Zweikämpfe sind eigentlich die Kernkompetenz der Wolfsburgerin. Immer wieder gab es ein Raunen auf den mit 16.025 Zuschauern sehr gut besetzten Rängen gegeben, wenn Oberdorf beherzt dazwischen gehauen hatte. Nach zwei Gelben Karten und einer Sperre für das abschließende Gruppenspiel agierte sie gegen Österreich immer fair und trotzdem mit der gewohnten Kompromisslosigkeit.

Erfahrenere Spielerinnen in der Viererkette wirken nervös

Was im Viertelfinale noch viel wichtiger war: Während die Viererkette hinter ihr immer wieder Schwächen zeigte und auch Torhüterin Merle Frohms nicht sicher wirkte, ging Oberdorf mit ihren Aktionen voran. Bundestrainerin lobte die Reife, die Oberdorf auf dem Platz gezeigt habe, dazu "die Lust, Bälle zu erobern. Und sie hat ihre Defensivlust auf ihre Mitspielerinnen übertragen."

Frohms sprach von einer "Nervosität, die dazugehört, wenn man etwas zu verlieren hat". Doch es war auffällig, dass neben Oberdorf in Klara Bühl ausgerechnet auch noch die Zweitjüngste ebenfalls herausragte. Die Münchnerin wurde für ihren unbekümmerten Auftritt von der UEFA als Spielerin des Spiels ausgezeichnet. Den Titel hätte Oberdorf genauso verdient gehabt.

"Fantastische" Vorarbeit vor dem 1:0 von Bühl

"Fantastisch" war das Wort, dass Voss-Tecklenburg wählte, um die Vorarbeit beim Treffer zum 1:0 zu beschreiben. In ihrer ganz eigenen, kraftvollen Art war Bühl an Österreichs Kapitänin Carina Wenninger vorbeigezogen, der sie zuvor den Ball abgejagt hatte. Die Linksaußen sprintete in den Strafraum und passte von dort in den Rückraum zu Lina Magull, die überlegt zum 1:0 einschob (25.). Bühls Aktion hatte in einem bis dahin schwierigen Spiel die Tür geöffnet (Sara Däbritz: "Danach war es einfacher.") - und auch in der zweiten Hälfte blieb die 21-Jährige ein steter Unruheherd.

"Ich freue mich, dass ich der Mannschaft helfen konnte. Ich bin total zufrieden mit dem Spiel", sagte Bühl bei der Pressekonferenz und fügte in aller Seelenruhe hinzu: "Da können wir unseren Emotionen jetzt mal freien Lauf lassen."

Bühl will's beim nächsten Mal (noch) besser machen

Vielleicht wäre die junge Frau, die das Kicken beim SC Freiburg gelernt hat, ein bisschen mehr aus sich herausgekommen, wenn es noch der eine oder andere Scorerpunkt mehr geworden wäre. Doch gerade einmal drei Minuten nach dem Wiederanpfiff traf Giulia Gwinn nach erneut starker Bühl-Vorarbeit nur den Pfosten. Ein Schuss von ihr klatschte an die Latte (78.). Vier Minuten später brachte sie dann das Kunststück fertig, den Ball am leeren Tor vorbeizuschieben - und konnte es selbst nicht glauben.

Deutschland gegen Österreich - die Stimmen

Sportschau, 21.07.2022 21:00 Uhr

Teampsychologin Birgit Prinz, ihres Zeichens deutsche Rekordspielerin und Rekordtorschützin, war allerdings schnell mit Rat zur Stelle. "Sie hat mir gesagt, dass jeder mal so einen Fehlschuss hat", berichtete Bühl. "Ich bin froh, dass ich ihn jetzt hatte und wir trotzdem weitergekommen sind. Nächstes Mal werde ich den Ball dann reinschieben."

Auch sie hatte sich ein Sonderlob der Bundestrainerin verdient. "Klara hat ein so großes Herz und arbeitet in jeder freien Sekunde an sich", sagte Voss-Tecklenburg. "Und sie macht das immer mit guter Laune, mit einem Lächeln. Sie bleibt dran und belohnt sich dann auch."

Oberdorf: "Poppi trifft auch im fünften und sechsten Spiel"

Angetrieben von den beiden Youngstern hatten auch die erfahreneren Spielerinnen immer mehr zu ihrem Spiel gefunden. Sicherheit gaben zudem taktische Umstellungen, die MVT ihrem Team in der Pause verordnete, um dem Druck der Österreicherinnen in der Folge mit zwei Achtern im Mittelfeld besser standhalten zu können.

Und dann war da am Ende ja auch noch Alexandra Popp, die mit ihrem vierten Treffer im vierten Spiel den Deckel auf ein umgekämpftes Duell machte (90.). Damit, dass sie auch in ihrem überhaupt erst vierten EM-Spiel als Torschützin glänzte, wusste sie allerdings niemanden mehr zu überraschen. "Poppi ist eine Maschine - ich habe nichts anderes erwartet", erklärte Oberdorf keck. "Und jetzt geht im fünften und im sechsten Spiel auch noch einer rein."

Das fünfte und das sechste Spiel sind das Halbfinale und das Finale. Und sollte die deutsche Kapitänin wirklich noch diese zwei Treffer erzielen, hätte ihre nach wie vor gegentorlose Mannschaft gute Chancen, nach der zehnten Halbfinal-Teilnahme am kommenden Mittwoch (27.07.2022, gegen Frankreich oder die Niederlande) auch den neunten Titel perfekt zu machen.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:15 Uhr