DFB-Präsident Bernd Neuendorf

Neuendorf drängt zu Haltung Rufer in der Wüste

Stand: 20.11.2022 22:47 Uhr

Die FIFA und ihr Präsident Gianni Infantino schweigen zu vielen heiklen Themen. DFB-Boss Bernd Neuendorf forderte den Weltverband auf, Position zu beziehen, unter anderem für die Frauen im Iran.

Von Marcus Bark, Al Ruwais

Am Samstag (19.11.2022) wird Infantino sprechen. Die FIFA hat zu einer Medienkonferenz geladen am Tag vor dem Beginn der "besten WM aller Zeiten", wie der Schweizer in vorauseilender Euphorie schon seit Jahren jubelt. Ob der Präsident des Weltverbandes zu drängenden Themen auch inhaltlich etwas sagen wird, ist offen.

Die FIFA schweigt beharrlich, etwa zu dem von mehreren Fußballverbänden und Organisationen geforderten Entschädigungsfonds zugunsten der Familien von in Katar auf Baustellen gestorbenen Arbeitern. Auch zu Russland ist nichts Substanzielles zu hören, das trotz des mörderischen Krieges gegen die Ukraine immer noch Mitglied in der FIFA ist. Über die gewaltsame Niederschlagung der Proteste im Iran und auch das weiter dort geltende Verbot für Frauen, Fußballspiele im Stadion zu schauen - nichts.

Verbände sollen schweigen

Stattdessen schickte die FIFA kürzlich einen Brief an die 32 Verbände der WM-Teilnehmer, sich auf den Fußball in Katar zu freuen und es dem Weltverband bezüglich der politischen Themen gleichzutun und zu schweigen.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte - wie neun andere Verbände auch - schon mitgeteilt, sich nicht den Mund verbieten zu lassen. Am Freitag verlieh Bernd Neuendorf dieser Ankündigung Nachdruck. Der Präsident des DFB forderte: "Diese sehr, sehr mutigen Frauen im Iran verdienen jede Aufmerksamkeit und Unterstützung. Die iranische Fußballmanschaft (der Männer, d. Red.) hat durchaus auch Zeichen gesetzt. Sie hat verschiedene Aktionen durchgeführt, die klar machen, dass sie zum Regime auf Distanz geht." Die FIFA solle sich daher auch für etwas "positionieren", zumal sie sich vor wenigen Tagen gegen etwas ausgesprochen habe.

Dabei handelte es sich um das Verbot der Aufschrift "Human rights for all", das die dänische Nationalmannschaft auf ihre Trainingsshirts drucken wollte. Die "politische Botschaft", mit der die FIFA das Ansinnen ablehnte, sieht der 61 Jahre alte Neuendorf in der Forderung gar nicht: "Wir sprechen hier bei dem Slogan nicht von einer politischen Entscheidung, die man so oder so treffen kann. Hier geht es um Menschenrechte, und die gelten und sind allgemein gültig auf der ganzen Welt." Hinter den Werten sollten sich alle versammeln können, insbesondere auch die FIFA, die sich sogar in ihren Statuten die Wahrung der Menschenrechte "auf die Fahne geschrieben" habe.

Als äußerliches Zeichen, um für Menschenrechte einzutreten, kündigte der DFB schon vor Wochen an, dass Torwart Manuel Neuer wie andere Kapitäne Armbinden mit der Aufschrift "One Love" tragen werde. Die FIFA ließ bislang offen, ob sie auch das als politische Botschaft ablehnen und die Verbände entsprechend sanktionieren werde. Eine Geldstrafe würde er "in Kauf nehmen", sagte Neuendorf, der die Binde als allumfassende Botschaft gegen jegliche Formen von Diskriminierung und für Rechte sieht, etwa die für queere Menschen. "Die Binde setzt da an, worum es im Iran geht. Sie bedeutet daher auch Solidarität mit den iranischen Frauen."

DFB-Präsident übt Kritik an FIFA-Präsident Gianni Infantino

Am Mittwoch (16.11.2022), kurz vor dem Anpfiff des Testspiels Deutschlands im Oman, hatte der DFB mitgeteilt, dass er Infantino die Unterstützung bei der im März 2023 anstehenden Wiederwahl verweigert. Das wird die erneute Krönung nicht verhindern. Außerhalb des europäischen Verbandes UEFA, dessen Mitglieder auch nicht geschlossen gegen den 52 Jahre alten Schweizer stehen, wird Infantino eine satte Mehrheit erlangen. Aber den mitgliederstärksten Einzelverband der Welt hat der Weltverband nun klar gegen sich.

Bernd Neuendorf, seit März 2022 im Amt, erwies sich nicht als einsamer, aber deutlicher Rufer in der Wüste. Dorthin, nach Al Ruwais an den Nordzipfel Katars, hatte der DFB zu seiner ersten Pressekonferenz im Gastgeberland der WM geladen. Im Mannschaftsquartier ging es auch kurz um die Mannschaft, von der Neuendorf überzeugt ist, dass sie das Auftaktspiel am Mittwoch (23.11.2022) gegen Japan gewinnen wird. Abseits des Platzes hätten die Spieler auch ein "gutes Sensorium für die Situation neben dem Fußball" entwickelt.

Zum Beleg kündigte der DFB an, ein SOS-Kinderdorf in Nepal mit einer Million Euro in den kommenden fünf Jahren zu unterstützen. Das Geld komme "direkt von den Spielern", so Neuendorf. Die Entscheidung sei einvernehmlich für Nepal gefallen, weil vor allem dort "die Menschen diesem Armuts- und Wanderungsdruck ausgesetzt sind". Etwa 400.000 Nepalesen sollen derzeit in Katar arbeiten. Die Regierung des zentralasiatischen Staates gibt an, dass 1.700 Arbeiter ihr Leben in Katar gelassen hätten, seitdem die Bauarbeiten für die WM begannen. Infantinos FIFA behauptet, insgesamt habe es drei Tote auf den Stadienbaustellen gegeben.