Eine Rote Karte

Spieltagabsage in Beckum Der Amateurfußball und sein Gewaltproblem

Stand: 22.08.2023 18:21 Uhr

Als Zeichen gegen zunehmende Gewalt auf Amateurfußballplätzen hat der Kreis Beckum einen Kreisligaspieltag abgesagt. Stimmt der Eindruck, dass das Problem schlimmer wird?

In den Kreisligen A, B und C im westfälischen Beckum ruht am Wochenende der Ball. Der Fußballkreis hat alle Spiele abgesagt, "um ein Zeichen zu setzen", heißt es in einer Mitteilung. "In den vergangenen Jahren nehmen Respektlosigkeiten zu, die Gewaltbereitschaft auf den Plätzen steigt."

Schon in der vorangegangenen Saison hatte der Kreis viele Fälle von Gewalt registriert. "Diese Entwicklung hat zu Beginn der noch jungen Saison 2023/24 seinen vorläufigen Höhepunkt gefunden", schreibt der Verband.

Ein Kreispokalspiel wurde wegen einer Massenschlägerei abgebrochen, in einer anderen Partie wurde der Schiedsrichter so bedroht, dass er sich gezwungen sah, sich bis zum Eintreffen der Polizei in der Kabine einzuschließen.

Berichte zu Gewalt auf Fußballplätzen häufen sich

Immer wieder machen Berichte über Gewalt auf Fußballplätzen die Runde: über einen Jugendspieler, der in Frankfurt zu Tode kam, über Pöbeleien und Gewalt gegen Schiedsrichter sowie über rassistische Anfeindungen. Aber stimmt der Eindruck, dass das Gewaltproblem steigt? Neu ist das Problem jedenfalls nicht, schon 2006 hatte etwa der Kreis Siegen-Wittgenstein einen Spieltag wegen gehäufter Gewalt abgesagt.

Auch Vergleiche zu den 80er oder 90er Jahren, wo ebenfalls schon ein rauer Ton auf den Fußballplätzen herrschte, sind wegen fehlender Daten schwierig. Seit 2014 aber wertet der Deutsche Fußball-Bund (DFB) die Online-Spielberichte aus, in denen die Schiedsrichter Vorfälle notieren können.

Die Zahl der Spielabbrüche war demnach in den ersten Jahren konstant, dann kam Corona - und in der Saison 2022/23 gab es einen Anstieg von 0,05 auf 0,075 Prozent aller erfassten Spiele. 911 Spiele wurden deutschlandweit abgebrochen.

Vermutlich viele Fälle nicht erfasst

In 0,29 Prozent aller erfassten Spiele notierte der Schiedsrichter eine Gewalthandlung, in 0,20 Prozent eine Diskriminierung. Die Zahlen für die Saison 2022/23 sollen in Kürze veröffentlicht werden, viele erwarten eine weitere Steigerung.

Hinzu kommt: Der Umkehrschluss, dass mehr als 99 Prozent aller Spiele konfliktfrei verlaufen, sei nicht möglich, sagt Thaya Vester. Sie forscht an der Universität Tübingen zu Gewalt im Amateurfußball und berät den DFB. Denn nicht zu allen Spielen werden Berichte gemeldet und nicht alle Vorfälle werden auch notiert.

Negativspirale durch Berichte über Gewalt

Deswegen und auf Basis eigener Erhebungen zog Vester schon im November 2022 das Fazit: Die Gewalt im Amateurfußball nimmt tatsächlich zu, auch gegenüber Schiedsrichtern. Dazu passt die Beobachtung von Christian Brossmann, Jugendleiter von Hertha 03 Zehlendorf, dem Verein mit der größten Jugendabteilung Deutschlands. Mit Blick auf wiederkehrende Prügeleien auf und am Spielfeld sagte er dem Deutschlandfunk: "Es ist schon exorbitant nach oben gegangen nach der Corona-Zeit. Die Hemmschwelle, die natürliche Distanz ist einfach weg."

Vester befürchtet angesichts der vermehrten Berichte über Gewalt eine Negativspirale. "Es ist ein Hilferuf. Offensichtlich wissen sich die Verantwortlichen nicht anders zu helfen. Die Frage ist: Was erreicht man damit? Wird damit das Gewaltproblem gelöst? Sicherlich nicht", sagte Vester dem WDR. "Es wird sicherlich den ein oder anderen wachrütteln, dass die sich denken, vielleicht bremsen wir uns ein bisschen ein. Aber die Maßnahme ist insofern auch kritisch zu betrachten, weil auch diejenigen betroffen sind, die sich zu benehmen wissen. Da müsste man sich Gedanken machen, wie man zielgerichteter gegen Gewalt auf den Plätzen vorgehen kann."

Auch außerhalb des Fußballs: Zahl der Gewaltdelikte steigt

Der Fußball spiegelt die Gesellschaft wieder - offenbar auch in diesem Fall. Nach mehreren Jahren mit rückläufigen Zahlen führte die Kriminalstatistik 2022 fast 20 Prozent mehr Fälle von Gewaltverbrechen auf als im Vorjahr und knapp 9 Prozent mehr als 2019, vor Corona. Als mögliche Gründe werden oft genannt: die Folgen der Pandemie, die Inflation und die unsichere politische Weltlage.

Was der Fußball unternimmt

Initiativen zur Gewaltprävention gibt es viele, auch im Fußball. Mittlerweile haben alle Landesverbände eine Anlaufstelle für Gewalt- und Diskriminierungsfälle, der DFB verleiht jährlich seine "Fair-Play-Medaille" und weitere Preise, seit 2014 gibt es das Gewaltpräventionskonzept "Fair ist mehr".

Auch der Fußballkreis Beckum ist aktiv geworden, führte Anfang der Saison 2022/23 sogenannte "Fairplay-Treffen" durch. "Gemeinsam wurden Ideen entwickelt in der Hoffnung, dass das Fairplay bei den Spielen wieder in den Vordergrund rückt", schreibt der Verband. "Leider mussten wir am Ende feststellen, dass diese Maßnahmen nur wenig bzw. gar nicht gefruchtet haben." Die nun kurzfristig abgesagten Spiele vom Wochenende müssen zu einem anderen Zeitpunkt nachgeholt werden.

Der Fußball- und Leichtathletik-Verband Westfalen (FLVW), dem auch der Kreis Beckum angehört, versucht zudem ein anderes Mittel: Er hat höhere Geldstrafen bei Gewaltvergehen angekündigt. Unsportliches Verhalten kann demnach mit bis zu 5.000 Euro geahndet werden.