Der Kunstrasenplatz des TuS Odendorf ist von Schlamm bedeckt

Jahresrückblick 2021 Nach der Flutkatastrophe: Sportvereine bangen um Existenz

Stand: 31.12.2021 11:18 Uhr

Die Flutkatstrophe im Juli hatte auch verheerende Folgen für den Sport in den betroffenen Gebieten. Vereine stehen vor dem Aus. Denn ohne funktionierende Sportstätten gibt es kein echtes Vereinsleben. Kreative Lösungen sind deshalb gefragt.

Von Thorsten Poppe

Der Sportplatz voller Dreck und Schlacke, die Tennisplätze längst abgetragen, der Bogenschießstand weiter oben abgesenkt. Die drei Sportanlagen im nordrhein-westfälischen Swisttal-Odendorf, zwischen Euskirchen und Rheinbach gelegen, sind komplett zerstört. Sie lagen hier direkt nebeneinander, bis Mitte Juli - als die Flut kam.

Der Orbach, der durch das Sportgelände fließt, ist normalerweise ein kleines Rinnsal. Momentan ist er sogar völlig versickert. Doch an jenem fatalen Tag im Juli verwandelte sich auch der Orbach in einen reißenden Strom, der alles mitriss, was im Weg stand. In diesem Fall das Sportgelände auf dem drei Vereine ihre Heimat hatten.

Siggi Blum vom Landessportbund NRW inspiziert die zerstörten Sportstätten. Der 68-Jährige ist der Helfer in der Not, reaktiviert aus dem Ruhestand, um mit seiner langjährigen Expertise als "Manager" des Breitensports die betroffenen Sportvereine zu unterstützen. Für ihn bietet sich auch ein halbes Jahr nach der Katastrophe ein Bild des Schreckens: "Hier können und dürfen sie nichts mehr aufbauen. Denn solch eine Flutkatastrophe kann an dieser Stelle immer wieder passieren, deshalb müssen die Sportvereine an anderer Stelle völlig neu anfangen."

Ende Oktober hat der Landessportbund NRW in den Räumen des Stadtsportbundes Erftstadt ein Hochwasserhilfe-Büro eingerichtet, um den Vereinen bei diesem Prozess professionelle Unterstützung zukommen zu lassen. Denn viele der ehrenamtlich geführten Vereine sehen sich nun Aufgaben gegenüber, denen sie sich bisher noch nie stellen mussten. Wie der TuS Odendorf, dessen Sportplatz in der Senke mit seinem Kunstrasen ein Schmuckstück gewesen ist. Dieses gilt es nun an anderer Stelle aufzubauen. "Dafür müssen sich die Sportvereine sowohl mit grundlegenden Planungsfragen als auch mit den Anforderungen des Förderverfahrens für den Wiederaufbau auseinandersetzen. Da tut Unterstützung gut, weil nicht jeder ehrenamtlich Tätige darüber von vornerein Bescheid weiß", sagt Blum.

Neuer Sportcampus auf Rübenacker geplant

Die Gemeinde hat schnell reagiert und eine nahegelegene Ackerfläche für die Vereine gekauft. Direkt oberhalb des Orbachs soll der neue Sportcampus mit Fußballplatz, Tennisanlage und auch Bogenschießplatz entstehen. Hier trifft Siggi Blum Klaus Jansen, den ersten Vorsitzenden des Gemeindesportbundes, und Karl-Heinz Müller, Kassenwart des TuS Odendorf.

Zahlreiche Fragen sind noch offen bei den Planungen. Unter dem Gelände liegen Versorgungsleitungen, direkt neben dem Gelände verlaufen Stromkabel, und weiter hinten befindet sich ein Landschaftsschutzgebiet. All das muss mit einbezogen werden. Schon in drei Jahren soll der neue Sportcampus eingeweiht werden. Der ehrgeizige Zeitplan ist allerdings nur dann zu halten, wenn alles ideal läuft. Realistischer sind fünf bis sieben Jahre bis zur Fertigstellung.

Finanziert werden soll das neue Gelände über den Wiederaufbau-Fond. Von den 30 Milliarden Euro, die der Bund für die Beseitigung der Flutschäden bereitstellt, sind 90 Millionen Euro für den Sport vorgesehen. Auch hier sind noch viele Fragen ungeklärt, unter anderem ob das Geld auch für Zwischenlösungen verwendet werden kann. Also für Sportstätten, die nur temporär genutzt und dafür wieder hergerichtet werden sollen.

Wie etwa der zerstörte Sportplatz in Odendorf. Das alleine würde eine niedrige sechsstellige Summe kosten. Mindestens, denn noch weiß niemand so genau, wie groß der Grad der Zerstörung wirklich ist, bevor nicht die Schlammdecke abgetragen worden ist.

Ohne diese Zwischenlösung aber stehe die Existenz der Odendorfer Sportvereine auf dem Spiel, erklärt Klaus Jansen vom Gemeindesportbund: "Denn ein Verein ohne Vereinsheim, ohne zentralen Anlaufpunkt, das ist ein Verein ohne Seele."

Zwar sind die Sportler der Vereine vorerst auf oder in anderen Sportstätten untergekommen. Doch es sei eben etwas anderes, die Sportanlage in fußläufiger Entfernung zu haben oder über Jahre hinweg die Fahrerei zu einer weiter entfernten Anlage organisieren zu müssen. "Das Heimspiel immer auswärts bestreiten zu müssen, wird auf Dauer nicht funktionieren. Und das kann am Ende auch den Tod der Vereine bedeuten", glaubt Jansen. 

Neue Sporträume existentiell für betroffene Vereine.

Der TuS Obendorf ist nicht der einzige Verein, der vor diesem Problem steht. Siggi Blum hat mit dem TV Rheinbach 1905 e.V. einen weiteren Klienten, der Unterstützung benötigt. Der größte Mehrspartenverein in der 25.000-Einwohner-Stadt kurz vor der Grenze zu Rheinland-Pfalz sucht für seine knapp 1.500 Mitglieder ebenfalls schnell und kurzfristig Sporträume. Die Flut hat das alte Vereinsheim komplett zerstört.

Auch für Thomas Schloßbauer, den Vorsitzenden des Vereins, hängt die Existenz des TV Rheinbach davon ab, dass den Mitgliedern möglichst bald wieder vernünftige Sportstätten zur Verfügung stehen: "Was die Mitglieder wollen in einem Sportverein, ist Sport. Wir müssen in einigen Monaten wieder adäquate Sporträume schaffen, sonst endet auch vom treuesten Mitglied irgendwann die Loyalität."

Mitgliedsbeiträge sind die entscheidende Einnahmequelle für die Vereine. Je mehr Mitglieder den Verein verlassen, desto schwieriger wird es, die Existenz zu sichern. Um das Ende des Vereins zu verhindern, sind kreative Lösungen gefragt. Deshalb hat der TV Rheinbach mit Unterstützung von Siggi Blum eine freie Fläche identifiziert, wo es schon eine gewisse Sportinfrastruktur mit Sanitäreinrichtungen gibt. Denn ein Wiederaufbau an derselben Stelle wie bisher ist auch hier aus Gründen des Hochwasserschutzes nicht mehr möglich.

Die neue Fläche liegt oberhalb der Bäche, die das alte Vereinsheim bei der Flut zerstört haben. Dort soll in den kommenden Monaten eine moderne und lichtdurchflutete Lösung in Containerbauweise entstehen, erklärt Thomas Schloßbauer. Auch das sei wichtig, um die Leute im Verein zu halten. "Ich muss den Mitgliedern schon ein modernes und angenehmes Ambiente bieten, sonst springen sie uns ebenfalls ab", sagt der Vereinsvorsitzende: "Und wir müssen weitsichtig agieren, weil diese Übergangslösung am Ende vielleicht auch eine endgültige Lösung sein kann."

Bleibt die Frage, aus welchen Mitteln diese Übergangslösung finanziert werden soll. Die Kosten dafür werden sich im niedrigen sechsstelligen Bereich bewegen. Die Kommune zeigt sich jedenfalls für die Container-Lösung an dieser Stelle offen. Es ist ein erster, wichtiger Schritt für den Verein und auch die Stadt Rheinbach insgesamt, um eine sportliche, soziale und auch gesundheitspolitische Daseinsvorsorge gewährleisten zu können.

96 Vereine erleiden Totalschaden - Wiederaufbau in der Schwebe

Alleine in Nordrhein-Westfalen haben 96 Sportvereine durch die Flutkatastrophe einen Totalschaden erlitten. Diese Zahl hat der Sonderbeauftragte des LSB, Siggi Blum, ermittelt. Zählt man noch die leichten und mittleren Schäden dazu, sind allein in NRW insgesamt 341 Sportvereine betroffen. "Allein in Erftstadt haben sechs Sportvereinen eine komplette Zerstörung ihrer Anlagen erfahren müssen", berichtet Blum.

Überwiegend können diese Sportanlagen an alter Stelle wieder aufgebaut werden. Um Gelder aus dem Wiederaufbau-Fond zu erhalten, müssen die Vereine einen entsprechenden Antrag einreichen. Und dafür muss ihnen die Stadt oder Kommune bescheinigen, dass der Aufbau am bisherigen Standort auch erwünscht ist.

Doch viele Vereine hätten eine solche Bescheinigung noch nicht erhalten, sagt der Vorsitzende des Stadtsportbundes Erftstadt, Peter Kaulen-Windgassen: "Wir hoffen darauf, dass spätestens im Frühjahr die betroffenen Vereine Planungssicherheit besitzen." Denn alles andere wäre für die Existenz der Vereine "eine schlimme Sache".

Die Sportvereine leiden unter den Folgen der Flutkatastrophe aus dem Sommer. Es wird ein langer Weg werden, um zum Status quo vor der Flut zurückzukehren. Nur mit erheblicher Kraftanstrengung, entsprechender fachlicher Unterstützung und vor allem immensen finanziellen Mitteln werden viele Sportvereine es überhaupt schaffen können.

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